Roulett. Peter Schmidt

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Roulett - Peter Schmidt

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malerisch hingeflegelt in fast dem gleichen Sessel mit Mütze und geknotetem Schal. Entweder stellte Kramer sich tot, oder die Spiralen waren weniger spitz als sie aussahen. Er verzog keine Miene. Die Bläue seiner Lippen hatte eine beängstigend dunkle Färbung angenommen.

      "Glauben Sie, dass er noch mal zu sich kommt, Ernie?“, fragte ich skeptisch.

      "Beten Sie zu den Urkräften des Universums dafür. Mord ist eine entscheidende Zäsur im Leben des Menschen. Sie werden nie wieder derselbe sein wie früher. Alles erscheint von da an im Lichte, fremdes Leben ausgelöscht zu haben.

      Ich rede nicht davon, dass Sie nachts aus dem Schlaf aufschrecken. Die Wirkungen sind subtiler. Auf subtile Weise gefährlich. Ihre Blickweise verändert sich. Sie müssen sich rechtfertigen. Sie werden sich selbst gegenüber entweder Ihre Schuld bekennen und daran zugrunde gehen oder aber Ausflüchte gebrauchen, die Ihre Seele verhärten und Sie zum Zyniker und Menschenverächter werden lassen – weil das, was Sie zerstört haben, unbedingt in ihrer Wertschätzung verkleinert werden muss."

      "Weil die Schuld sonst nicht zu ertragen wäre?"

      "Das ist der springende Punkt."

      "Haben Sie selbst schon mal jemanden umgelegt, Ernie?"

      Er saß auf der Couch und schlug seine Beine übereinander. Die Bügelfalten seines hellgrauen Sommeranzugs waren so scharf, dass man damit Papier schneiden konnte. Ein unmerkliches Lächeln ging über sein Gesicht.

      "Nun, sagen wir mal – ich war leider dazu gezwungen, in jungen Jahren."

      "Aber jetzt sind Sie, wie man so schön sagt, sauber?"

      "Ich habe dafür bezahlen müssen, Leo. Ich habe für mein Gewissen einen hohen Preis bezahlt. Ich habe die Bürde auf mich genommen, über mich und das Leben nachzudenken, und das ist kein leichtes Geschäft, wenn man es professionell betreiben will. Ein Haufen kleiner und großer Narren hat sich daran schon blutige Nasen geholt."

      Ernie versprach mir, er wolle die Sache in Ordnung bringen. Er sagte, er habe eine Idee, wie man Kramer loswerden könne. Am frühen Abend kam er mit einer Sofortbildkamera zurück, um ein Passbild von ihm anzufertigen. Seine echten Papiere verbrannten wir im Waschbecken.

      Unser Meisterdetektiv war wieder zu sich gekommen. Bis auf seinen Hinterkopf, an dem sich zwei mittelgroße Beulen gebildet hatten, sah er aus wie jemand, der zwar verzweifelt durch die Nase zu atmen versuchte (wegen der beiden weißen Handschuhe, die in seinem Mund steckten), aber ohne deswegen auch nur für einen einzigen Augenblick seine gesunde Gesichtsfarbe zu verlieren. Er verfolgte mit weit aufgerissenen Augen unsere Vorbereitungen.

      "Und wenn er herzkrank ist?“, fragte ich, während wir ihn im Schutze der Dunkelheit zu Ernies amerikanischem Straßenkreuzer zu bringen versuchten (aber das war im Indianerland leichter gesagt als getan), einem weinrot lackierten Unikum von Wagen mit Fenstervorhängen und Ladeklappe, auf dessen Kotflügeln kleine blaue Grablaternen montiert waren.

      "Sie meinen ...?"

      Neben meinem Kopf schlug einer von Amarillos Saugpfeilen in die Scheibe der Hoftür ein – der dazugehörende Indianer war nirgends zu entdecken, deshalb trugen wir Kramer eilig ins Treppenhaus zurück.

      "Halt, setzen wir ihn mal ab ... ist das da oben im Fenster nicht Francesca?“, fragte ich, als wir den zweiten Versuch starteten, um Kramer zum Wagen zu bringen.

      "Sie sollten jetzt lieber keine Gedanken an die Frauen verschwenden, Leo. Wir haben ernstere Probleme."

      "Ich glaube, sie hat uns beobachtet."

      4

      Wir fuhren die Küstenstraße entlang. In den Tunneln nebenan verlief die Eisenbahnlinie nach Marseille, und manchmal hörte man die schrillen Warnpfiffe der Lok, weil ein Bahnübergang aus den Bergen zum Meer hinunterführte. Um diese späte Stunde, kurz nach Mitternacht, war die Grenzabfertigung bloß noch eine Farce.

      Der Zöllner am Schlagbaum verließ nicht einmal sein Häuschen, er hob nur müde den Kopf und tastete nach seiner nicht vorhandenen Uniformmütze, als wir vorüberfuhren. Ernie grüßte freundlich zurück.

      Kramer lag hinten auf der Ladefläche unter Francescas Pferdedecke, Hand- und Fußgelenke so eng zusammengebunden, dass er in den Kurven auf der Seite liegen musste.

      Er schnaufte unwillig, wenn sein Kopf gegen die gepolsterten Wände des Laderaums stieß. Das Gefährt schien früher als Leichenwagen gedient haben; in der Ablage über dem Schaltknüppel war ein kleine Madonna aus Porzellan montiert. Ernie hatte seine Verbindungen zur Unterwelt von Toulon und Marseille spielen lassen und einen richterlichen Einweisungsbescheid erwirkt. Er würde in der Pförtnerloge des Pflegeheims bereitliegen, das er für Kramer als künftiges Domizil ausgesucht hatte.

      Dabei verlor er kein einziges Wort darüber, ob er gefälscht oder durch Bestechung erlangt worden war; es gehörte in den weitgezogenen Kreis seiner Betriebsgeheimnisse, die er mir erst viel später anvertrauen würde – wenn er das Gefühl gewonnen hatte, ich sei ein gelehriger Schüler und vertrauenswürdig genug, um zu lernen, was die Welt im Innersten zusammenhält.

      Hinter Antibes bogen wir in die Berge der Provence ab. Einmal sah ich schemenhaft aus dem Dunst neben der Straße das Hinweisschild Grasse auftauchen – die berühmte Parfümstadt. Als ich schon annahm, Kramers künftiges Heim liege mitten im Ort, umrundeten wir die von schwachen gelben Scheinwerfern angestrahlte Kathedrale. Es ging durch eine unbeleuchtete Toreinfahrt mit Regenpfützen, und gleich darauf befanden wir uns auf einer elenden Piste, die ein paar hundert Meter weiter zu einem von Pflastersteinen und Schlaglöchern durchsetzten Asphaltweg wurde.

      Ernie stieg aus, seine auseinandergefaltete Straßenkarte in der Hand, um im Nieselregen den verschmierten Wegweiser über einem rosafarbenen Bougainvilleastrauch zu lesen. Er leuchtete das Schild mit der Taschenlampe an.

      "Verfahren?“, fragte ich, nachdem er wieder eingestiegen war.

      "Ich war zum letzten Mal hier, um meine Mutter abzuholen. Die alte Dame hatte sich wieder so weit gefangen, dass ich sie in ein Sanatorium am Zürichsee einliefern konnte. Die Pfleger in Südfrankreich verstehen ihr Handwerk. Es ist die mediterrane Ausgeglichenheit, die sie weniger unduldsam mit Kranken umgehen lässt als in unseren Breiten."

      "Sie haben Ihre eigene Mutter in diese elende Gegend verfrachtet?"

      "Weil sie die Provence liebte. Sie hatte ein Zimmer mit Blick aufs Meer. Es ist zwar weit entfernt, aber an klaren Tagen glaubt man die Küste von Korsika zu erkennen. Vielleicht sind es ja nur dunkle Wolken, die wie Berge aussehen", meinte er bekümmert, als übermanne ihn bei diesen Worten die Erinnerung.

      Wir rumpelten weiter über den Asphaltweg. In den Kehren glommen unter uns die Lichter der Küstenstraße auf. Sie waren wie ein Bandwurm, der sich im Dunst der Halbinsel von Hyeres verlor.

      "Verraten Sie mir Ihr Geheimnis, Leo – wie haben Sie das Ungeziefer abgerichtet?"

      "Oh, wenn man ihre Zuneigung gewonnen hat, sind sie ganz lernwillig."

      "Zuneigung bei Kakerlaken?" Er lächelte unmerklich.

      "Ich glaube, sie mögen mich. Sie geben es mir dadurch zu verstehen, dass sie aufgeregt mit den Fühlern winken, wenn ich ihre Schachtel öffne. Bei Fremden würden sie in Panik geraten."

      "Bewusstsein

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