Roulett. Peter Schmidt

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Roulett - Peter Schmidt

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Freude, Angst, Entsetzen ..."

      "Ja, da mögen Sie recht haben. Eine bemerkenswerte Einsicht."

      "Sobald wir das verstanden haben – ich meine, wirklich im tiefsten Innern realisiert und nicht bloß als kalte intellektuelle Einsicht wie ein Insektenforscher, der ein paar Fühler abtrennt, um hinter das Geheimnis ihrer Mechanik zu gelangen – werden wir die Tötung eines Tieres nur noch als Mord bezeichnen können."

      "Deshalb leide ich mit ihnen, wenn sie krank sind oder im Restaurant vom Kellner zertreten werden."

      "Sie sprechen mir aus der Seele, Leo. Aber diese ... Kakerlaken sind doch nicht Ihre Freunde geworden, weil Sie sie einfach als Partner betrachten? Sie müssen doch irgendeinen einen Dreh gefunden haben, um sie zu domestizieren? Erkennen die Viecher Sie überhaupt?"

      "Manchmal sind sie ungehorsam. Dann zeige ich ihnen meine Sammlung aufgespießter Artgenossen. Das bringt sie wieder zur Räson."

      "Hallo, Schwester Annette", sagte Ernie weit vorgebeugt in das Glasfenster der Pförtnerloge hinein. "Das ist aber eine Überraschung, Sie altes Unikum immer noch unter den Lebenden zu sehen! Sind Sie denn gar nicht tot zu kriegen?"

      Ein uraltes Mütterchen mit weißer Schwesternhaube trat aus der Tür, um einen Blick auf mich und Kramer zu werfen – auf Kramer, der, von grün-roten Pillen aus Ernies Handschuhfach betäubt, kraftlos zwischen uns hing und sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Ihr zahnloser Mund bewegte sich, um einen französischen Fluch auszustoßen – aber ihre alten Augen waren voller Wiedersehensfreude.

      "Das ist unserer neuer Patient. Er weigert sich, französisch zu sprechen. Versucht den Leuten weiszumachen, er sei Deutscher. Kümmern Sie sich nicht darum! Von diesen Pillen täglich eine", sagte Ernie und legte das Glas mit den grün-roten Kapseln in Schwester Annettes Hand (ich bemerkte, dass darunter eine größere Franc-Note lag). "Vergessen Sie um Gottes willen nicht seine Pillen, es würde seine epileptischen Anfälle nur verschlimmern."

      Ernie bekam einen Briefumschlag ausgehändigt, den ein Bote vor zwei Stunden mit dem Motorrad abgeliefert hatte. Er musterte die Tafel mit dem Namen des Bereitschaftsarztes, dann wurden wir in die Aufnahme geführt. Ich versuchte Kramer davon abzuhalten, aus dem ebenerdigen Fenster in die Rosensträucher zu springen.

      "Haben Sie das gesehen, Dr. Musseau?“, fragte Ernie den jungen Arzt, der mit einem Stethoskop um den Hals hereinkam. "Der Ärmste versucht sich wahrhaftig das Leben zu nehmen." Er reichte ihm Kramers neue Papiere, den Einweisungsbescheid und ein psychiatrisches Gutachten, das aus Toulon stammte. "Willem phantasiert in fremden Sprachen. Kümmern Sie sich nicht darum. Sein Vater ist ein Gemüsehändler aus Marseille, seine Mutter stammt aus Holland."

      "Wir werden ihn erst mal in die geschlossene Abteilung bringen", sagte Doktor Musseau. "Später kam man weitersehen."

      Ernie nickte bekümmert und schlug eine Fluse von seinem Hosenbein. "Ich halte es für dringend erforderlich, ihn vor seinem eigenen Zerstörungsdrang zu beschützen. Willem macht momentan die schwierigste Phase seines Lebens durch. Er glaubt, er sei Detektiv. Er hat alles, was er bei sich selbst nicht akzeptieren kann, in seine Umwelt projiziert, und versucht es auf diese Weise – im Namen des Gesetzes, als Streiter irgendeiner dubiosen Agentur für Recht und Ordnung – zu bekämpfen."

      "Wir hatten schon schwierige Fälle hier als ihn", sagte Doktor Musseau. Dabei versuchte er seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu geben, aber angesichts seiner Jugend – er schien eben dem Hochschulalter entwachsen zu sein –, wirkte sein Bemühen eher rührend als überzeugend. "Ist Willem Ihr Verwandter?"

      "Ich versprach seinem Vater, meinem verstorbenen Freund, am Totenbett, für Willem zu sorgen."

      "Was ist mit seinen Händen?"

      "Eine ansteckende Hautkrankheit. Halten Sie ihn lieber von den anderen Patienten fern."

      "Wir werden für ein schönes Zimmer im geschlossenen Trakt der Anstalt sorgen", sagte Doktor Musseau und griff freundlich nach seinem Arm. "Nicht wahr, Willem – mit Aussicht auf die Küste?"

      Willem warf ihm einen düsteren Blick zu, der alles mögliche bedeuten konnte, aber sicher keine Zustimmung. Ich war überzeugt, dass er weniger als fünf Worte Französisch verstand.

      Auf der Rückfahrt kamen wir am frisch renovierten Kasino vorüber. Ein weißer Würfel mit Begonien an den Seitenkanten und einem Portal wie ein orientalischer Torbogen. Ernies Kinn deutete zu den dunkel getönten Türscheiben. Er sagte, er würde gern auf unseren gemeinsamen Erfolg einen Perron-Perdon (irgendeine selbst erfundene Mischung) mit mir trinken, aber die Bar sei noch nicht wieder geöffnet. Sein Gesicht hatte beim Anblick des weißen Würfels einen geradezu heiligen Glanz bekommen – als sei er ein frommer Muslim, der sich der Kaaba näherte. Vielleicht war Ernie ja Spieler und nur hier um die Neueröffnung des Kasinos abzuwarten?

      "Da drinnen gibt es keine Uhren, Leo – und keine Fenster. Nur Glaskuppeln auf dem Dach, damit man in den Büros natürliches Licht hat. Die Spieler dagegen sind von der Zeit und vom Tageslicht abgeschnitten, um sich ganz ihrer Leidenschaft widmen zu können."

      "Ich bin nicht sehr erfolgreich im Glücksspiel."

      "Das lässt sich leicht ändern. Was halten sie davon, wenn ich Sie unter meinen Fittiche nehme und Ihnen ein paar kleine Tricks beibringe?" Er war rechts an den Bordsteinrand herangefahren. Vor uns lag das Portal des Kasinos. Die steinernen Löwen zu beiden Seiten der Treppe musterten uns in der Dunkelheit wie eine leicht zu jagende Beute.

      "Vielen Dank für das Angebot, Ernie. Aber ich weiß nicht, ob ich zum Kasinolöwen tauge. Bei so vielen Menschen bekomme ich immer Platzangst."

      "Wir sollten Sie gründlich durchstylen, Leo. Innerlich und äußerlich. Sie müssen neues Selbstvertrauen gewinnen, jetzt, wo Sie überall in Europa so erbärmlich aufgelaufen sind mit Ihrer Dressurnummer. Ich bin gerade in der glücklichen Lage, etwas Zeit für Sie erübrigen zu können – bis zur Eröffnung des Kasinos. Deswegen bin ich nämlich hier."

      "Wenn Sie das für mich tun wollen ...?"

      "Hand drauf."

      Er stieg aus, und ich folgte ihm langsam um den Kasinobau. "Sehen Sie sich das an", sagte er, als wir an der Rückseite angelangt waren. "Glatte Wände, keine Fenster, keine Lieferanteneingänge. Nur ein paar Lichtkuppeln auf dem Dach. Die einzige Zufahrt außer dem Hauptportal ist über dem Häuschen des Wachpostens, wie bei einer mittelalterlichen Burgwache. Von dort aus wird das eiserne Schiebetor bedient. Ist man erst mal drin, dann sitzt man in der Mausefalle, weil die Betonwände der Einfahrt viel zu hoch sind, um wieder herauszukommen. Das Ganze ist besser gesichert als mancher sogenannte Hochsicherheitstrakt."

      "Aber von vorn spaziert man einfach ungehindert hinein, oder?"

      Er blieb stehen, musterte mich anerkennend und lächelte breit. Von einer der Dachlampen fiel etwas Licht auf sein Gesicht und seinen halbgeöffneten Mund und ließ den kleinen goldenen Adler mit ausgebreiteten Schwingen aufblitzen. "In die Kasinoräume, ja. Aber vor den Zugang zum Tresorraum haben die Götter die ausgefeilteste elektronische Sicherungsanlage des ganzen Kontinents gesetzt."

      "Sind Sie denn auf den Tresor scharf, Ernie?"

      "Na, sagen wir mal, es gehört zu meiner Lebensphilosophie, auf alles scharf zu sein, was mir einen sorgenfreien Lebensabend verschaffen könnte."

      "Sie haben nichts in die Rentenversicherung eingezahlt?"

      "Ich

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