„Sag` ich doch, dann können wir ja loslegen und das Wohn- mobil startklar machen.“ Bereits am kommenden Tag wollen sie sich auf den Rück- weg machen. Ihre England - Schottland - Reise nähert sich so langsam dem Ende. In drei Tagen haben sie ihren Trans- port durch den Eurotunnel gebucht. Da sollten sie schon pünktlich in Folkstone sein. Ein wenig verkalkuliert haben sie sich aber doch. Deshalb muss London gestrichen wer- den. Monika gefällt das gar nicht. Ihre Enttäuschung ist nicht zu übersehen. Sie setzt mal wieder ihr Beleidigte-Leberwurst-Gesicht auf, verschränkt die Arme und steht einfach nur lustlos rum. Sie ärgert sich maßlos, auch über sich selbst, wo sie sich doch gerade auf London so sehr gefreut hat. Normalerweise ist sie recht pingelig, plant alles punktgenau, weiß am liebsten schon gestern was morgen zu tun ist. Aber diesmal ging ihre Planung wohl in die Hose. „Begeistert bin ich nicht, dass wir London nicht mehr schaf- fen“, so Monika in leicht schnoddrigem Ton. „Vielleicht soll- ten wir versuchen am Tunnel umzubuchen. Das müsste doch möglich sein. Wir haben doch alle Zeit der Welt und daheim läuft uns auch nichts weg. Was hältst du davon?“ Peter hebt seinen rechten Arm an, dreht betont langsam die Handfläche von oben nach unten und wieder zurück. Er scheint unentschlossen. Monika sieht die Skepsis auch in seinem Blick. Nach mehr als dreißig Ehejahren versteht man sich auch ohne Worte. „Nun mal langsam, probieren können wir es ja. Aber Lon- don läuft uns auch nicht weg. Denn dies war mit Sicherheit nicht unsere letzte Tour ins Vereinigte Königreich“, versucht er Monika zu trösten. „Von Folkestone bis London dürfte es doch nicht allzu weit sein. Und wenn wir Glück haben liegt unterwegs noch ein Gartenjuwel auf der Strecke. Du magst doch Gärten. Ich schau heut` Abend gleich mal im Internet nach.“ Geschlagen geben will sich Monika so schnell nicht. Aber ein bisschen ärgern tut sie sich immer noch. Ihre Nasen- flügel blähen sich nämlich wieder auf, ein todsicheres Zeichen. Während sie sich aufrappelt und versucht, beim Sauber- machen, Sortieren und Wegräumen auf andere Gedanken zu kommen, widmet sich Peter dem Wassertank. Ganz akribisch geht er dabei vor. Nachdem die Sitzpolster bei- seite geräumt sind, der Deckel der Truhenbank geöffnet ist, wird der Schraubverschluss aufgedreht. Dann erst kann Peter reinfassen und den Stöpsel ziehen um das Restwasser abzulassen. Danach wird der Tank desinfiziert und ausge- spült. Das mit dem Wassertank ist schon eine aufwändige Arbeit, wenn man es gewissenhaft angeht. „Na, hast du es bald geschafft? Wir wollen doch noch mit den Hunden los.“ „Ja bald, aber was muss das muss. Du weißt ja, Wasser ist wichtig, das wichtigste überhaupt. Ohne Wasser kein Leben“, antwortet Peter augenzwinkernd. Und wer weiß das besser als er. Das mit dem Wasser war doch in seinem früheren Leben, also dem Leben vor dem Ruhestand, mal sein Job. Da war er verantwortlich für Wasser, Energie und Verkehr, als oberster Chef eines großen Energieversorgungsunternehmens. Nach zwei Stunden intensiver Arbeit kann er jetzt endlich frisches Wasser einlassen, diesmal bis zum Überlauf. Schließlich muss es bis Deutschland reichen. Vorher soll nichts mehr nachgefüllt werden. Schade ist es trotzdem, dass sie aus Zeitmangel London streichen müssen. Aber zum Glück hat sich Monika zwischenzeitlich wieder einiger- maßen beruhigt. Und ganz so dramatisch sieht sie das jetzt auch nicht mehr. „Wenn das mit der Umbuchung nicht klappt, muss ich wohl damit leben. Dann haben wir wenigstens einen triftigen Grund um wiederzukommen“, so Monika recht locker. „Denn irgendwie mag ich diese Insel und ihre Menschen.“ Was ist plötzlich in sie gefahren. Die Putzerei hat ihr wohl gutgetan. Sie wirkt zumindest etwas entspannt und zufrie- dener. Mit ihren beiden Vierbeinern drehen sie noch eine weitere Runde auf dem Golfplatz. Der soll als Hundeklo herhalten. So hat es ihnen jedenfalls der Platzbetreiber erklärt. Wenn ihnen das jemand anderes gesagt hätte, sie hätten es nicht für möglich gehalten. Ein Golfplatz als Hundeklo. Peter schmunzelt, legt seinen Arm auf Monikas Schulter und versucht sie aufzumuntern. „Ich stelle mir gerade vor wie so ein affiger, perfekt raus- geputzter Golfer, hochkonzentriert nur auf seinen Ball, plötzlich ein warmes, weiches und wohliges Gefühl an seinem Fuß verspürt.“ Monika lacht. „Igitt, und anschließend puhlt er dann ein halbes Pfund Hundehaufen, extra frisch, aus dem komplexen Profil seines Golfschuhs.“ Peter kommt gerade in Fahrt und sinniert weiter. „Du kennst doch auch die strengen Golfregeln. Dann stell dir mal vor, ein Golfball landet mitten in einem solchen Hundehaufen. Was dann? Normalerweise muss der ja auch von dort abgeschlagen werden. Ich sehe förmlich das rat- lose Gesicht des leicht pikierten Golfspielers vor mir. Bestimmt zückt er sein Regelheft, was ja ein echter Golfer sicher immer mit sich führt, um nachzulesen was in so einem komplizierten Fall zu tun ist.“ „Und wenn er nicht gestorben ist, dann steht er dort noch heute“, amüsiert sich Monika. Aber zum Glück gibt es das Kästchen mit den Plastiktüten für die Hinterlassenschaften solcher Köter gleich hinter dem Tor direkt an einem Fairway. Und das lässt keine Zweifel. Dieser Campingplatz ist tatsächlich ein wahres Paradies für Hunde, für Golfspieler auch. „Wann steht unseren Vierbeinern schon mal ein so gepfleg- ter Rasen zur Verfügung für das Krumme-Buckel-machen“, freut sich Monika. „Unser Sohn als Freizeitgolfer wäre bestimmt hier auch happy“, so Peter. „Das kannst du wohl laut sagen. Den ersten Abschlag direkt vor der Haustür, wo hat er das schon.“ Aber die Beiden freut es natürlich vor allem wegen ihrer Vierbeiner. Und da gerade weit und breit keine Schläger- schwinger zu orten sind, die ihre wehrlosen Bälle kloppen, lassen sie Odin und Basco mal frei toben. Denen tut das gut, endlich mal ohne Leinenzwang. Und während die Hunde dem Tennisball hinterherlaufen, den Peter wirft, beobach- tet Monika ihren Mann. Es wäre gelogen, wenn sie sagen würde, er hätte sich nicht gut gehalten. „Für sein Alter sieht er eigentlich noch recht passabel aus mit seinen graumelierten Haaren, seinem Dreitagebart, und seinen stahlblauen Augen, die mir damals als erstes an ihm aufgefallen sind“, stellt sie zufrieden fest. Noch immer steht ein relativ ansehnlicher Männerkörper vor ihr, „alles im grünen Bereich, noch“, denkt sie.
Die nötige Bettschwere hat Monika zwar noch nicht, aber weil sie morgen zeitig loswollen, legen sie sich mit den Hüh- nern schlafen, sie stehen ja auch mit ihnen auf.
Auch heute Morgen leistet noch immer zäher Nebel Wider- stand. Egal, nach Fountains Abbey, einer beeindruckenden Klosteranlage, die seit 1986 zu den Unesco Welterbestätten zählt, da wollen sie unbedingt noch hin. Soviel Zeit muss sein. Und der Besuch dort lohnt sich wirklich. Neben den gigantischen Klosterruinen erwartet sie ein weitläufiger Landschaftsgarten und ein spektakulärer Wassergarten. Für Monika und Peter ist diese Anlage neben Dunrobin Castle in Schottland ein weiterer Höhepunkt ihrer Reise. Im High- moor Farmcamp nahe Harrogate erwischen sie dann einen geeigneten Übernachtungsplatz. Und wie jeden Abend machen sie es sich so richtig gemütlich. Peter holt schon mal die Gläser, gießt Rotwein ein und verkorkt die Flasche wieder. Mehr als ein Glas gibt es nicht. Das sei nämlich nicht gesund, wenn man einem Gesundheitsratgeber Glauben schenken darf. Monika bringt ein paar Käsehäppchen und ein Schälchen mit Walnüssen. Laut einer Studie soll das aber dem Körper gut tun, ein Glas Rotwein wegen seiner Polyphenole und ein paar Walnüsse. Die Beiden pflegen schon einen einigermaßen gesunden Lebensstil. Nur höchst selten wird mal über die Stränge geschlagen. Das war früher noch anders, vor Jahrzehnten, als sie beide jung waren. Da war an jedem Wochenende Halligalli mit Freunden ange- sagt. Aber dieses wilde Leben gehört der Vergangenheit an, alles zu seiner Zeit. Heute mögen sie es eher ruhig und ge- mütlich. Die vorderen Sitze werden zum Innenraum ge- dreht, die Rückenlehnen etwas nach hinten in eine beque- me Position gebracht. Und so sitzen sie da, Abend für Abend, und ziehen sich die Nachrichten rein. Um 19.00 Uhr die vom ZDF, um 19.30 Uhr die Landesschau Rheinland Pfalz und dann um 20.00 Uhr die von der ARD. Dies sind schon ganz feste Rituale. Aber was sie da gerade hören, erschreckt sie schon. „Peter, stell mal etwas lauter“, Monika glaubt ihren Ohren nicht zu trauen. In London sollen heute mehr als hundert Menschen in der Hauptstadt gestorben sein. In den letzten Tagen seien bereits mehrere Hundert Personen einem mysteriösen Leiden erlegen, Männer, Frauen und Kinder. Um keine Panik zu verbreiten hielt man es zunächst einmal vor den Bürgern geheim. Denn selbst die Ärzte stehen vor einem Rätsel. Was bisher recherchiert werden konnte hatten die Erkrankten weder Kontakt zueinander noch wohnten sie in unmittelba- rer Nachbarschaft. Sie kommen auch aus den unterschied- lichsten Bevölkerungsschichten. Und was das Schlimmste ist, fast täglich würden neue Personen mit ähnlichen Symp- tomen eingeliefert. Hohes Fieber hätten die meisten, oft begleitet von Schüttelfrost, Kopf - und Gliederschmerzen. Deshalb dachten die Mediziner zunächst einmal an eine Art Sommergrippe. Die nimmt ja oft einen schweren Verlauf. Ist es aber nicht. Man hofft nun, dass speziellere Untersuchun- gen weiterhelfen. Monika holt tief