Zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Hans Müncheberg

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zwischen Wunsch und Wirklichkeit - Hans Müncheberg страница 2

Автор:
Серия:
Издательство:
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit - Hans Müncheberg

Скачать книгу

für Helga jedoch immer mehr zugespitzt. Der zum Schriftsteller gewordene Schlosser war nach einem ersten Wurf in selbst zerstörerischer Weise dem Alkohol verfallen. Der sehnlich erhoffte Höhenflug als Schriftsteller wollte ihm nicht weiter gelingen. Auch für das Studio konnte er, nach Anfangserfolgen, bald nicht mehr liefern als sporadische Beiträge zu einer spannend unterhaltenden Sendereihe. Dabei wurde er dann von einer fachspezifisch arbeitenden Dramaturgin betreut, die mit jenen offiziellen Stellen verbunden war, die ihm stets die zu verwendenden Fakten vorgaben. Neben dieser, wie er sagte 'Brotarbeit', versuchte er bald und immer häufiger, sich mit flüchtigen sexuellen Abenteuern eine Bestätigung als potente Persönlichkeit zu verschaffen. Schließlich vergaß er jegliche Rücksicht auf die eigene Familie.

      Helga und Georg hatten bei ihren seltenen Begegnungen nicht einmal in Andeutungen über ihre enervierenden Verhältnisse gesprochen. Erst als das unwürdige 'Familienleben' für Helga unerträglich geworden war, suchte sie bei Georg Rat und Hilfe. Sie sah in ihm nicht nur den einstigen Dramaturgen ihres Ehemannes, sie wusste inzwischen, dass er seit vielen Jahren als vertrauenswürdiger Schöffe an einem Berliner Stadtbezirksgericht tätig war. Nun sollte er ihr raten, wie eine Scheidung ohne 'schmutziges Wäschewaschen' zu vollziehen sei. Sie fürchtete, eine öffentliche Debatte um alles in dieser Ehe Erlebte nicht durchstehen zu können.

      Georg entdeckte verblüfft in ihren persönlichen Problemen Parallelen zu manchem gerichtlichen Verfahren, an denen er als Beisitzender Richter beteiligt war. Sah er es zunächst als seine Schöffenpflicht an, zu versuchen, auch diese Ehe um des Sohnes willen zu erhalten, musste er bald begreifen, wie sehr, und mit welcher Engelsgeduld sie sich darum bemüht hatte. Mit seinem Verständnis für ihren unumkehrbaren Entschluss wuchs auch die Erkenntnis, dass er in Helga nach all den Jahren doch die Frau sehen konnte, der er sich mit allen Konsequenzen anvertrauen und dauerhaft verbinden wollte.

      Sie wusste seit jenen frühen Jahren um seine stille und bleibende Verehrung für sie. Jetzt entdeckte sie in ihm den Mann, der sich nach vielen gescheiterten eigenen Versuchen in allem Ernst und mit aller Konsequenz eine feste Gemeinsamkeit wünschte.

      Zunächst taten sich Helga und Georg nur zu gemeinsamen Ausflügen und Konzertbesuchen zusammen. Oft nahm auch ihr Sohn daran teil. Zwischen Georg und dem bald volljährigen Reinhard wuchs mehr und mehr ein vertrauensvolles Verhältnis, ein gegenseitiges Verstehen. Auf indirekte Fragen gaben sie dem jungen Mann zu verstehen, sie seien dem Alter einer Familiengründung wohl schon entwachsen.

      In Helgas vierzigstem Lebensjahr meldete sich dann aber, beide überraschend, in ihr erneut werdendes Leben an. Da sie seit dem tragischen Verlust ihres zweiten Kindes an einer Herzkrankheit litt, rieten ihr wohlmeinende Ärzte dringend ab, ein drittes Kind auszutragen. Ein nicht sehr einfühlsamer Mediziner meinte sogar ihr attestieren zu müssen, sie könne doch schon Großmutter sein.

      Helga jedoch war bereit, selbst ein ernsthaftes Risiko auf sich zu nehmen. Sie wollte das Kind, wollte endlich in einer neuen und rundum harmonischen Familie leben.

      Georg hielt mit aller Liebe und Konsequenz zu ihr. Im März des Jahres 1970 heirateten sie. Einzig ihr Reinhard war Zeuge der amtlichen Zeremonie. Ein halbes Jahr später konnten sie sich über einen gemeinsamen Sohn freuen. So ungewöhnlich wie ihre späte und beglückende Gemeinsamkeit sollte sein Name sein. Sie nannten ihn Malte.

      Der neu ins Leben getretene Knabe besaß zur Freude seiner Eltern vom ersten Tag an einen treuen Freund, seinen ins Erwachsenenleben strebenden Halbbruder Reinhard. Sofern es dem jungen Mann seine schulischen, bald auch seine Studienpflichten erlaubten, suchte und fand er Möglichkeiten, mit Malte zu spielen, mit ihm herumzutoben, bald auch, mit dem aufgeweckten Knaben sportliche Übungen zu proben. Doch mehr und mehr wurde ihm der große, ja allzu große Altersunterschied bewusst. Und so war er es auch, der dem überaus munteren Knaben wünschte, dass er nicht auch als Einzelkind aufwachsen sollte. Für Malte wäre es ideal gewesen, zusammen mit einem Zwillingsbruder auf die Welt zu kommen.

      Als auch der um eigenständiges Urteilen bemühte Reinhard einsehen musste, dass schon Maltes Weg in diese Welt zu einer Gefahr für das Leben seiner Mutter geworden war, dass folglich von einer weiteren Schwangerschaft nicht die Rede sein durfte, wünschte er Malte, wenn anderes nicht mehr möglich war, für seinen künftigen Weg wenigstens einen brüderlichen Gefährten.

      Die Gesetze des Landes machten es möglich, dass sich Helga während Maltes erstem Lebensjahres ganz auf das Kind und ihre neue Familie konzentrieren konnte.

      Wenn sie abends an Maltes Bett standen, kam es schon vor, dass Georg an die wiederholten Fragen Reinhards erinnerte. Sollte Malte, wie sein inzwischen erwachsener Bruder, ein Einzelkind bleiben?

      Als Malte einjährig in die Kinderkrippe gebracht wurde, war schnell zu erkennen, wie gern er sich mit anderen Kindern zusammentat. Bald wurde von den 'Tanten' in der Krippe festgestellt, dass er stets versuchte, der 'Spielführer' zu sein.

      Diese Haltung verstärkte sich, als Malte mit drei Jahren in den Kindergarten kam. Mit seiner lebhaften Fantasie und seinem kaum zu bändigenden Bewegungsdrang forderte er von seinen Eltern immer stärker ein Mitspielen. Er wollte auch daheim der 'Spielführer' sein und akzeptierte kaum die Gründe seiner Eltern, auch andere Aufgaben zu haben. Glückliche Stunden für alle, wenn der immer stärker geforderte Leistungssportler Reinhard sich Zeit für den kleinen Bruder nehmen konnte.

      Kapitel II.

      Als Malte fünf Jahre alt wurde, war Reinhard bereits verheiratet. Er hatte nur noch selten Zeit für Malte, der mit beginnender Selbstständigkeit verstärkt nach Freunden und Spielgefährten suchte.

      Ihn mit seinen Fragen und Sehnsüchten zu erleben, erinnerte Helga an die Freude, mit der Reinhardt einst die Geburt seines Bruders Arthur begrüßt hatte. Wie konnte es auch anders sein, jedes Kind möchte in Gemeinsamkeit mit Gleichaltrigen aufwachsen.

      An einem Abend des Frühjahrs 1975 war sie es dann, die abrupt aufstand und den Fernsehapparat ausschaltete. Zu dem verdutzt abwartenden Georg sagte sie: „Vielleicht sollten wir es doch versuchen.“

      „Du meinst ... wegen Malte?“

      „Ja.“

      „Mit einem Pflegekind?“

      „Ja.“

      „Gut, dann lass es uns reiflich überlegen.“

      Helga hatte bereits alle Möglichkeiten durchdacht. Nun sollte Georg auch aus der Sicht eines Schöffen Detail für Detail kritisch und juristisch prüfen.

      Es brauchte mehr als ein abendliches Gespräch, um alles Für und Wider sorgsam abzuwägen, ehe sie einen Brief an das Referat Jugendhilfe beim Rat ihres Berliner Stadtbezirks formulierten.

      Eine erste Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Sie wurden um genaue Auskünfte zu ihren persönlichen Verhältnissen gebeten. Danach dauerte es einige Wochen, bis sie auf das Amt gebeten wurden. Ihre Angaben waren vermutlich überprüft worden. Wer wusste schon, welche Stellen dazu noch Stellung zu nehmen hatten.

      Die Leiterin des Referats Jugendhilfe, in ein knapp sitzendes Kostüm gezwängt, schien ihre Autorität auch optisch betonen zu wollen. Mit einer Geste verwies sie auf die beiden Stühle vor ihrem Schreibtisch, wartete, bis Helga und Georg Platz genommen hatten, und blickte abwechselnd auf die vor ihr ausgebreiteten Schriftstücke und die nach Alter und Beruf außergewöhnlichen Antragsteller.

      Die sich mit ihrer späten Familienplanung auf dieses Amt bemüht hatten, waren aus dem Blickwinkel der Amtsperson zwar im fortgeschrittenen Alter, doch die Frau wirkte

Скачать книгу