Flut über Peenemünde. Rainer Holl

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Flut über Peenemünde - Rainer Holl

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sorgfältig formulierten Worten an die große Mission Weltraum, die hier auf den Tag genau sieben Jahrzehnte zuvor mit dem Start der ersten Rakete in knapp 90 Kilometer Höhe ihren ersten gelungenen Test bestanden hatte.

       Hornburg fuhr fort. „Mein alter Herr war dabei, als hier an dieser Stelle – streng genommen unweit von hier im Wald, wie Sie wissen, liebe Freunde – Weltgeschichte geschrieben wurde. Das Tor zum Weltraum war seitdem nicht mehr unüberwindlich. Einige aus unserer Runde, zumindest aber ihre direkten Vorfahren, waren unmittelbar daran beteiligt. Sie haben ihr Herzblut in eine Vision fließen lassen, die wenige Jahre später auch den Menschen seine bis dahin bestehenden Grenzen überwinden ließen. Keine Macht der Welt, kein Politiker, kein Schreiberling, keiner aus der heutigen Generation der Beliebigkeit kann ungeschehen machen, dass hier der erste Schritt auf einem Wege getan wurde, der längst nicht zu Ende ist.“

       Starker Beifall erhob sich, der nun nicht mehr verborgen bleiben musste.

       Bernwart Hornburg blickte, als auf sein Handzeichen wieder Ruhe eingekehrt war, genau nach Osten, zu einer etwas abseits stehenden Gruppe von drei Personen. Einer von ihnen hob eine grüne Flagge.

      „Start!“ Lautstark tönte der Ruf. Sofort erklang aus einem Radiorekorder der bei Raketenstarts übliche Countdown.

      „Zehn, neun, acht…“

       Fast gleichzeitig mit dem letzten Wort „Zero“ ertönten Kommandos und andere Geräusche aus einem Lautsprecher. Es war eine Tonaufnahme vom ersten Raketenstart am 3. Oktober 1942. Überwältigt ließ die Gruppe von Menschen die Zeugnisse dieses einzigartigen historischen Ereignisses auf sich wirken.

       Rune Alfredsson aus dem schwedischen Linköping stand ergriffen inmitten der kleinen Schar. Er dachte zum Schluss auch an die junge Pia Bergner, die unweit von hier bald ihre besonderen Aufträge erfüllen würde.

      10 Freitag, 2. November, 11.55 Uhr

      Jürgen Beckert lächelte. Der Blick auf das Betriebsergebnis im November bestätigte einmal mehr seine Entscheidung. Stolz ergriff ihn. Er stand auf, ging zum Hochschrank, nahm das dicke Buch aus dem obersten Fach heraus und ergriff die dahinter stehende Flasche. Nur ganz selten gönnte er sich einen Schluck des wertvollen Whiskys, ein Geschenk seines früheren Geschäftspartners. Der hatte es an seiner Seite aber nicht ausgehalten, und er, Beckert, auch nicht. Andere auszuhalten, war irgendwann unter seiner Würde, wie man den Begriff auch immer verstehen mochte.

      Jürgen Beckert sah sich schon immer als Visionär, seiner Umgebung weit voraus, und meist überlegen. Gerade deshalb zog es ihn an genau diesen Ort, an dem Jahrzehnte zuvor Leute seines Schlages ihre Spuren hinterlassen hatten. Als erfolgreicher Projektentwickler war es ihm gelungen, sich in Schleswig-Holstein einen Namen und einen soliden finanziellen Spielraum zu verschaffen. Sein Ruf litt jedoch mit der Zeit, denn Konflikte mit Partnern waren in diesem Geschäft unausweichlich. Er suchte sich eine neue Vision, nutzte die Wiedervereinigung Deutschlands. Der Kontostand eröffnete ihm alle Möglichkeiten für den Einstieg in das Hotelgeschäft im östlichen Teil der deutschen Ostseeküste. Beckert sorgte im späteren Ostseebad Karlshagen für den Bau eines Hotels, welches bald zu einem Aushängeschild für die ganze Insel Usedom werden sollte. Zunächst profitierte das Strandhotel „Nordstern“ lange von der Monopolstellung im Ort. Jürgen Beckert erweiterte das Hotel durch den Baltic Spa, einen großzügigen Wellness-Bereich, konnte dabei eine der Fördermitteltranchen nutzen, die für diese Branche des Tourismus vergeben wurden. Dabei ging sogar alles mit rechten Dingen zu.

      Doch ihn lockte das Spektakuläre, das Einmalige. Der Blick auf die Karte des Inselnordens zeigte ihm eine Stelle, die genau in der Mitte zwischen Erholung und Geschichte, zwischen Ostseestrand und dem Ort Peenemünde lag. Dort, wo der Wald der östlichen Inselhälfte an die Wiesen am Peenestrom grenzte, sollte sein neues Objekt entstehen, unmittelbar an der Straße und der Bahnlinie nach Peenemünde.

      Unter dem Namen Space Resort wollte Jürgen Beckert hier ganz neue Dimensionen schaffen, eine internationale Klientel an eben den Ort holen, der wie kein anderer auf Usedom, ja in ganz Deutschland, das Recht zu einem solchen Hotelnamen hatte. Obwohl die Bezeichnung Hotel für sein Projekt eher untertrieben sein würde. Ein neuer Haltepunkt war mit der Bahn so gut wie vereinbart, die Straßenanbindung mit wenig Aufwand in eigener Regie herzustellen. Dass sich nicht weit von dem Standort alte Bunkeranlagen befanden, hängte er lieber nicht an die große Glocke. Es reichte, wenn die Denkmalschutzbehörden und einige Einheimische davon wussten. Aber für einen künftigen Event-Urlaub waren es exzellente Voraussetzungen.

      Mit seinem jungen und engagierten Haustechniker Daniel Fischer hatte Beckert einen guten Griff getan. Zufällig erwischte er Fischer, wie dieser ein Stück seltsam geformtes Metall im Heizungskeller zwischenlagern wollte, stellte ihn zur Rede und erfuhr dabei von dessen Hobby.

      Fischer gab unumwunden zu, einer der zahlreichen Technikfreaks zu sein, die bis heute in dem weitläufigen Areal zwischen Peenemünde und Karlshagen nach alten, in irgendeiner Weise verwertbaren Raketenteilen suchten. Die meisten von ihnen wurden dann im Internet zu horrenden Preisen angeboten. Das war aber nicht das Ziel von Fischer. Er interessierte sich ausschließlich für Funktion und Wirkungsweise seiner Fundstücke.

      Beckert erkannte sofort den Nutzen, den Fischer für sich und seine Visionen darstellte. Von diesem Zeitpunkt an erforschte Fischer nicht mehr nur auf eigene Rechnung, sondern auch für seinen Arbeitgeber die Umgebung des künftigen Space Resorts.

      Mit großem Interesse und dem wohl angeborenen Geschäftssinn hatte Beckert von Beginn an die Entwicklung Peenemündes verfolgt, erahnte das Potenzial dieses Ortes bereits zu einem Zeitpunkt, als andere über die Ruinen schimpften. Und genau darauf baute er seine Pläne, dachte weiter als, jedenfalls nach seinem Urteil, die meisten Konkurrenten seiner Branche in der Region, ganz zu schweigen von den dafür verantwortlichen Verwaltungsmenschen und Politikern.

      Leider konnte er diese nicht ignorieren. Er kam an ihnen, die am langen Hebel der Genehmigungen saßen, nicht vorbei. Manchmal half nur der Einsatz seiner spezifischen und oft bewährten Mittel.

      Nun aber plagten Jürgen Beckert ganz irdische Sorgen. Wenn die Pläne zum Deichrückbau Wirklichkeit werden sollten, war dieses Projekt offenbar gefährdet. Wer würde das Gebiet nach Südwesten vor dem Wasser schützen? Noch stand kein Haus, als Merkmal bebauter und damit staatlicherseits vor Hochwasser zu bewahrender Gebiete. Das einzelne Gehöft an dieser Stelle hatte er zwar bereits gekauft, es war jedoch unbewohnt.

      Ärger auf Joachim Walter kam hoch. Er wollte ihn zur Rede stellen. Zwar musste er dabei etwas sensibel vorgehen, denn ohne Walters direkte, aber schwer nachweisbare Unterstützung hätte er nie die Baugenehmigung an dieser Stelle erhalten. Zum Glück war Walter damals noch in der Umweltbehörde des Kreises tätig. In unmittelbarer Nachbarschaft des Baugeländes befand sich ein besonders schützenswertes Biotop mit einem Seeadlerhorst.

      Und sein Kontostand bekam dadurch nur eine für seine Verhältnisse kleine Delle. Andererseits hatte er Walter damit gewissermaßen ebenso in der Hand. Ein gerade gewählter Bürgermeister, dem Korruption nachzuweisen war, gab kein gutes Bild ab.

      Was also tun? Beckert sah, dass seine Uhr gerade 12 Uhr anzeigte. Wollen wir doch mal sehen, wie genau die Beamten ihre Mittagspause nehmen, dachte er mit einem Anflug von Schadenfreude und bat seine Sekretärin, ihm eine Telefonverbindung zum Bürgermeister Walter herzustellen.

      „Moment, ich übergebe“, sagte sie kurz darauf und reichte ihm den Hörer mit einem besorgten Gesichtsausdruck.

      Beckert erfuhr, dass Joachim Walter heute nicht zum Dienst

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