Flut über Peenemünde. Rainer Holl
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„Na na, allein mit Komplimenten kommen Sie aus dieser Sache aber nicht heraus.“
„Da haben Sie wohl Recht. Ich werde die Polizei benachrichtigen und kann mich zunächst nur entschuldigen. Zum Glück ist Ihnen ja wohl nichts passiert.“
Es war Andreas Schmidt, der Makler, der ihr das kleine Ferienhaus für die Zeit ihres Aufenthaltes vermittelt hatte. Schon beim ersten telefonischen Kontakt war Pia von der Stimme des Mannes fasziniert. Die Schlüsselübergabe vor Ort bestätigte dessen Ausstrahlung. Sie versuchte, den im Sinkflug befindlichen Ärger und ihre gleichzeitig steigende freudige Erregung über das erneute Zusammentreffen halbwegs glaubwürdig erscheinen zu lassen. Angesichts der unglücklich verlaufenen ersten persönlichen Begegnung wollte sie diese Chance unbedingt nutzen. Sie war damals schon im Begriff, sich mit dem Makler zu verabreden, als eine neu eintreffende Kundin dem Versuch ein Ende setzte.
Drei Wochen Aufenthalt in Deutschland hatten nicht nur räumlich etwas Abstand zwischen sie und Nils Pettersson gebracht. Obwohl sie mehrfach telefonierten, wurden die Zweifel bei Pia immer stärker, was die Perspektive einer dauerhaften Beziehung zu dem Raketenenthusiasten betraf.
Nach dem Schweden Nils war nun der Deutsche Andreas Schmidt der erste Mann, für den sie sich seit dem Tod ihrer Mutter ernsthaft interessierte.
Die Zeit bis zur Ankunft der Polizei für die Unfallaufnahme nutzten sie für ein Gespräch, das in einer angenehmen Atmosphäre mündete, beide gaben sich unbewusst einander einige Sympathiepunkte.
„Danke für das Gespräch, wir sollten uns nicht aus den Augen verlieren“, konnte er ihr gerade noch vorschlagen, ehe die Polizei eintraf.
„Gerne“, antwortete sie nach einer gebotenen sekundenlangen Pause, „kommen Sie doch heute um 14.30 ins Museum. Ich habe eine Führung zu leiten, Sie können sich anschließen. Oder kennen Sie das Museum schon?“ Sie nahm zur Kenntnis, dass er zwar zusagte, doch nicht auf ihre Frage antwortete.
Die Gruppe hatte sich zu ihrem Reisebus zurückgezogen. Pia und Andreas Schmidt standen etwas verloren auf dem Außengelände. Die Deutsch-Schwedin war mit ihrer Führung zufrieden, hatte sich auch gegenüber ihrem persönlichen Gast offenbar von der besten Seite gezeigt.
Pia wartete auf entsprechende Signale, denn sie kannte trotz aller Hemmnisse ihre Rolle als Frau, brachte es ohne Mühe fertig, sehr gut damit zu spielen. Statt ihm neugierig und erwartungsvoll in die Augen zu blicken, wie es ihr Inneres gerade empfahl, schaute sie so auffällig auf ihre Uhr, dass er es bemerken musste.
Schließlich kamen ihre Ohren doch noch zu ihrem Recht.
„Wollen wir die eben gesehene Vergangenheit vertiefen oder lieber über stürmisches Wetter plaudern?“, hörte sie seine Stimme. Der kaum merklich unsichere Klang blieb ihrem feinen Gespür jedoch nicht verborgen. Nun musste sie reagieren.
„Was halten Sie davon, dem Sturm mit der Vergangenheit im Rücken ins Gesicht zu blicken?“, gab sie zurück und rief bei ihm zunächst Schweigen hervor.
„Ich nehme jede Herausforderung an“, versuchte er nach einer kurzen Denkpause gegenzuhalten. Zufrieden stellte Pia fest, dass ihr Gegenüber nicht wusste, was sie meinte.
„Gut, des Rätsels Lösung heißt Die Scholle, ist eine Gaststätte am Peenemünder Hafen. Wenn man dort sitzt und das Museum im Rücken hat, bläst der Wind im Augenblick von vorn.“ Lächelnd blickte sie ihn an. „Wollten Sie mich vielleicht gerade dorthin einladen?“
Schmidt konnte kaum verbergen, wie überrumpelt er sich fühlte. „Sie nehmen mir mit Ihrer Ungeduld das Wort aus dem Mund. Außerdem bin ich Ihnen ja noch etwas schuldig“, begründete er die nun unvermeidliche, aber angenehme Einladung. „Halten Sie den Gegenwind bis dorthin aus oder wollen wir mit meinem Auto fahren?“, versuchte er mit einem freundlich-hinterhältigen Lächeln zu punkten.
„Ich kann Ihnen in Ihrer Position ja wohl kaum zumuten, in meinem zerbeulten Wagen Platz zu nehmen, und es weiß ja niemand, dass Sie selbst den Schaden verursacht haben“, parierte sie. „Ich fahre aber lieber mit meinem Auto rechtzeitig vom Museumsgelände, also treffen wir uns dort und stellen uns gemeinsam dem Wind“, machte sie dem Geplänkel vorerst ein Ende.
Pia freute sich auf die Herausforderung der kommenden Begegnung. Der Mann strahlte eine unaufdringliche Zielstrebigkeit aus, konnte zwischen den Zeilen denken und formulieren, ohne dass diese Fähigkeit dabei kalt und distanziert als Ergebnis von Kommunikationstraining erschien, was in seiner Branche eher die Regel als die Ausnahme ist. Bisher hatten sich alle ihre, wie sie zugeben musste, leicht träumerisch beeinflussten Erwartungen an diesen Mann bestätigt. Pia spürte eindeutige Signale aus ihrem Körper. Sie wurde immer entschlossener darin, ihnen etwas Auslauf zu gönnen.
Bei ihrer Ankunft in der Scholle ließ Schmidt Pia den Vortritt. „Sollen wir das Probesitzen hier draußen überspringen und uns gleich innen ans Fenster setzen?“
„Also Stille statt Wind im Gesicht?“, gab sich Pia aber nicht geschlagen.
„Wie wär’s mit Gedankentiefe statt Äußerlichkeiten?“, kam es von Schmidt zurück.
Der Mann hielt Pias prüfendem Blick stand, suchte die Offensive und wechselte dazu das Sujet. „Wenn wir so weitermachen, steuern wir auf ein Remis zu. Ich bin aber eher für die Suche nach kreativen Positionen für…“ er suchte nach einer originellen Fortsetzung, „…Dame und König.“
„Sind wir jetzt also beim Schach … Spiel?“ Pia ließ zwischen den beiden letzten Wörtern eine kleine Pause. Schmidt lächelte nur.
Nach kurzer Überlegung setzte Pia fort: „Was wären aber … Dame und König … ohne Bauern und Offiziere? Außerdem gibt’s beim Schach ja nur schwarz und weiß“, versuchte Pia, dem Gespräch etwas von dieser unbestimmten Substanz zu erhalten. „Von den Bauern ist hier nur noch einer übrig, wie ich gehört habe, Offiziere, genauer gesagt ehemalige, dafür umso mehr.“
Inzwischen hatten sie in dem mit einfachen Tischen und Stühlen eingerichteten Gastraum Platz genommen. Der Fensterplatz gab zwar den Blick auf den Hafen mit dem großen Museums-U-Boot und dem Fischkutter frei, aber beide Gesprächspartner waren ganz auf ihr spannendes Gespräch konzentriert.
Jetzt erst fiel Pia auf, wie unnatürlich das förmliche Sie gegenüber dem immer vertrauter werdenden Gesprächsverlauf wirkte. Außerdem war sie es aus Schweden gewöhnt, dass sich alle duzten und mit Vornamen anredeten. „Ich heiße übrigens Pia, und du?“
„Andreas“, sagte Schmidt und reichte Pia instinktiv und dann doppelt angenehm berührt die Hand.
„Ja, ich habe davon gehört, ich meine von den Offizieren“, nahm er den Gesprächsfaden wieder auf. „Und, es gibt ja sowohl schwarze wie auch weiße Offiziere, wenn du weißt, was ich meine. In unserer Familiengeschichte spielt ein Offizier eine entscheidende, gewissermaßen eine schwarze Rolle, aber zu der Zeit war er noch keiner.“
Pia akzeptierte, dass es zunächst bei Andeutungen bleiben würde. Andreas wollte aber wohl nicht ganz von diesem Thema lassen. „Familie scheint ja heute ein überholter Begriff zu sein, woran ich aber zweifle. Es wird vielleicht nur anders definiert.“
Pia blickte ihn erwartungsvoll an, als er fortsetzte. „Nicht formale Papiere sind entscheidend, sondern das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen