Flut über Peenemünde. Rainer Holl
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Читать онлайн книгу Flut über Peenemünde - Rainer Holl страница 15
Arne brachte die Zahnbürste für die DNA-Analyse selbst ins Labor. Ihm lagen schon fordernde Worte über die Dringlichkeit der Untersuchung auf den Lippen, als er merkte, wer Dienst hatte und er ein anderes Vorgehen wählte.
„Sag mal, Cornelia, kannst du dir die Freude eines bestimmten Kriminalhauptkommissars vorstellen, wenn er noch heute ein Ergebnis in der Hand hat? Oder noch besser, die Freude einer liebenden Ehefrau, wenn sie erfährt, dass das Blut im Auto ihres Mannes nicht von ihm selbst stammt?“
Dem Wort „liebend“ gab Bock eine leicht spöttische Färbung, die die Laborantin wohlwollend zur Kenntnis nahm, sich aber in diesem Fall über die Ursache täuschte.
Cornelia Machnit, verheiratet und noch kinderlos, reagierte erfahrungsgemäß sehr empfänglich für Schmeicheleien und war für Arne schon oft die Rettung in höchster Zeitnot. Sie lächelte charmant zurück. „Weißt Du eigentlich schon, wie und wann du alle meine guten Taten für dich wieder gutmachen kannst? Hast Glück, dass mein Auftragsbuch heute fast leer ist.“
„Wollen wir deine Frage unter uns oder zusammen mit unseren Ehepartnern ausdiskutieren?“
Arne kniff in Erwartung einer Antwort die Augen zusammen und zog die Mundwinkel leicht nach außen.
Cornelias Antwort war überraschend ernsthaft. „Das kann aber dauern, denn mein Mann ist seit voriger Woche für einige Zeit auf Dienstreise. Ohne Wochenendurlaub.“ Bei diesen Worten blickte sie sich erst um und dann Arne direkt in die Augen.
Der konnte es gar nicht fassen. Sollte sich hier eine neue Dimension eröffnen? Für Arne war es bisher nie mehr als ein Flirt.
„Wir sollten diese Situation auf jeden Fall im Auge behalten. So wie jetzt gerade.“ Arne spürte, wie er dabei war, die Kontrolle über sich zu verlieren. Und nicht nur er.
Cornelia errötete unmerklich und schwenkte zurück.
„Verschwinde jetzt, sonst schaffe ich es nicht in der von dir gewünschten unmöglich kurzen Frist“, versuchte sie mit einem verlegenen Lächeln den Abgang, ohne Arne vor den Kopf zu stoßen.
Nach dem Verlassen des Labors blieb Arne einige Sekunden stehen. Der Wortwechsel mit der Laborchefin hob seine Stimmung noch mehr.
Bei der begrenzten Auswahl in der Dienststelle war die attraktive und kluge junge Frau schon längere Zeit das willkommene Ziel seines männlichen Übermuts. Ihre heutige Reaktion bedeutete eine neue Qualität.
Mit etwas Wehmut dachte er an seine eigene Ehe, und an die sieben Jahre, auf die Rita Mesing angespielt und die er eigentlich glücklich überstanden hatte. Probleme gab es nicht erst seit ihrem Umzug an die Küste. Seine anfängliche grenzenlose Vertrautheit mit Kerstin war dabei, einem anderen Zustand zu weichen, einer Mischung aus Gewohnheit, zunehmender Selbstorientiertheit und Verwaltung der beiden Kinder. Der Lehrerberuf gab seiner Frau etwas mehr Möglichkeit zur flexiblen Tagesgestaltung als ihm. Daraus ergab sich aber oft eine Drei-zu-eins-Situation im Alltag – gegen ihn. Arne nahm sich vor, bewusst an der Erhaltung seiner Ehe zu arbeiten. In den wenigen Momenten, in denen er über die Konsequenzen einer Trennung nachdachte, wurde ihm sofort klar, dass er dann den Kontakt zu seinen Kindern verlieren würde. So oder so.
Und das schloss er für sich kategorisch aus.
Aber er konnte ja nichts dafür, dass er ein attraktiver Mann war. Die jüngsten Erfahrungen mit seiner Wirkung auf Frauen machten ihn insgesamt noch selbstsicherer.
Der Gedanke, dass seine eigene Frau sich ebenso verhalten könnte wie er selbst, kam ihm jedoch nicht.
Zurück im Büro sah sich Arne den Stapel mit Fotos aus dem Arbeitszimmer des Bürgermeisters an. Unter den vielen Bildern von offiziellen Terminen war auch eines mit genau der Symbolik von der Wandgrafik. Nur, dass es auf diesem Foto ein Tattoo auf einem menschlichen Oberarm darstellte. Jetzt wusste Arne, wo er das Symbol gesehen hatte: auf dem Körper der Toten. Ein Blick auf den Obduktionsbericht gab ihm Gewissheit. Noch ehe er über die Tragweite dieser Tatsache nachdenken konnte, öffnete sich nach einem kurzen Klopfen die Tür. Polizeidirektor Hartmut Westphal betrat das Zimmer und kam gleich zur Sache. „Schon wieder ein Vermisster. Und wieder eine Person des öffentlichen Lebens. Sehen Sie dort Zusammenhänge?“
Arne Bock hatte sich schnell gefasst. „Bis jetzt gibt es dafür keine Anhaltspunkte, auch wenn ich das, im Gegensatz zu meinen Mitstreitern, nicht grundsätzlich ausschließen kann.“
„Wir brauchen Ergebnisse, Bock.“
„Aha, kam also schon ein Hinweis von oben?“
„Wenn hier jahrelang so gut wie nichts passiert außer Diebstahl und Körperverletzung im Suff, dann können zwei, nein drei solcher Ereignisse in kurzem Abstand schon mal nachdenklich machen. Deshalb nehmen Sie das bitte nicht auf die leichte Schulter.“
„Jawoll, Herr Direktor.“ Arne erschrak selbst über die respektlose Formulierung und versuchte sofort, den Fehler gerade zu biegen. Solche Vertraulichkeit hatte er sich bisher gegenüber seinem Chef nicht herausgenommen.
„Nein im Ernst, wir haben das natürlich im Blick. Und beim aktuellen Fall sind wir mitten in der Situationsanalyse.“
Westphal blickte seinen Ermittler prüfend an, zögerte, schüttelte dann den Kopf.
„Also keinerlei Ergebnisse.“ Arne bestätigte die Einschätzung wortlos, die Bedeutung des Fotos mussten sie erst noch genau besprechen.
„Nein, ich erinnere Sie jetzt nicht an die anstehende Polizeireform. Da geht es um Standorte und um Personal.“
„Danke für das Nichterinnern.“
„Ich meine es nur gut, für … uns alle. Zurzeit wissen wir, woran wir mit unseren Leuten sind und müssen daraus das Beste machen. Damit wir uns nicht irgendwann alle in Greifswald oder Anklam wiederfinden. Obwohl unser Gebäude ganz neu ist.“
Mit erhobenem Daumen verließ Hartmut Westphal das Zimmer. Arne Bock überlegte, wie ernst sein Chef diese Aussage gemeint haben könnte. Das hätte natürlich auch Konsequenzen für ihn selbst. Er musste unbedingt den Druck erhöhen.
Wir brauchen Ergebnisse. Erschrocken merkte Arne, dass er die Worte seines Chefs laut vor sich hin sprach.
Aber der hatte Recht.
9 Freitag, 2. November, 9.15 Uhr
„Nun, auch das akademische Viertel ist verstrichen, lassen Sie uns beginnen“, eröffnete Museumsdirektor Werner Petersen die Beratung. Er schaute sich mit registrierendem Blick im Kreis der Teilnehmer um. Die unbequemen hölzernen Stühle im kleinen Beratungsraum des Museums hatte Petersen selbst ausgewählt, sie sollten auf diese Weise endlose Diskussionen zumindest eindämmen. Der Blick aus den Fenstern zum Innenhof zeigte eine schwarz-weiß gefärbte Originalrakete A 4.
„Unser neuer Bürgermeister Joachim Walter hat seine Teilnahme zugesagt, er muss wohl durch etwas Wichtiges verhindert sein. Und unsere schwedische Kollegin Frau Bergner hat sich entschuldigt?“, fragte Petersen in die Runde und sah den Verwaltungsleiter Bernd Hoffmann an. „Nein, ich habe keine Ahnung wo sie steckt“, kam sofort die Antwort.
Die Runde aus Museumsmitarbeitern, Kommunalvertretern und Mitgliedern des Museumsbeirates beriet erstmals über die Anforderungen,