Flut über Peenemünde. Rainer Holl
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Beckert brachte lange keinen Ton heraus. „Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen“, endete die Sekretärin und legte auf.
Jürgen Beckert versuchte, die Situation zu analysieren. Joachim würde ja wohl nicht so dumm sein und gefährliche Unterlagen in seinem Büro aufbewahren. Diese Gefahr schloss er aus. Wer könnte ein Interesse am Verschwinden Walters haben? Wem war er auf die Füße getreten? Solche wagemutigen Handlungen konnte sich Beckert allerdings bei Walter kaum vorstellen. Vielleicht der Deichrückbau? Beckert war selbst Zeuge der Amtseinführung Walters, hatte sich auch schon beim ersten Mal vehement gegen die Pläne gestemmt, die Bürgerinitiative unterstützt, wenn auch nur insgeheim, denn mit der Verwaltung durfte er sich nicht öffentlich anlegen.
Gut möglich, dass jemand ganz spontan sein Mütchen kühlen wollte.
Oder hat vielleicht Erika genug bekommen von Joachims speziellen Aktivitäten? Nein, ausgeschlossen, denn sie hat ihn ja als vermisst gemeldet. Beckert dachte kurz nach. Aber das eine muss doch das andere nicht ausschließen!
Vielleicht ist er einfach abgetaucht! Hat alles vorgetäuscht! Für Jürgen Beckert gab es kaum etwas Undenkbares, denn er betrachtete andere mit den Maßstäben seines eigenen Handelns.
Auch nach längerem Nachdenken kam Jürgen Beckert zu keinem Ergebnis. Seine Gedanken konzentrierten sich schließlich auf die Befürchtung, dass im Zuge eventueller Untersuchungen doch noch etwas von seinem Deal mit Walter an die Öffentlichkeit dringen würde. Und dass sein Projekt dadurch wieder ins Wanken geraten könnte.
Er dachte nach. Im Grunde war, nein, ist Walter ein cleverer Mann, mit dem immer gut auszukommen war. Der wusste sofort, worauf es ankam, hatte die nötigen Verbindungen und fand wie ein Trüffelschwein meist den richtigen Zugang. Beckert mochte Walter und hatte zu ihm ein Verhältnis aufgebaut, das man vorsichtig als vertrauensvoll bezeichnen könnte, wenn es das zwischen Wirtschaft und Verwaltung ohne die besonderen Zutaten überhaupt geben konnte.
Ein leises, lange nicht gehörtes akustisches Signal ertönte ein einziges Mal. Nach kurzer Überlegung, woher es stammen könnte, erinnerte er sich und nahm sein, wie er es nannte, „individuelles Handy“ zur Hand, auf dem eine Nummer angezeigt wurde. Wie für solche Fälle vereinbart, rief er sofort zurück, ohne seinen Namen zu nennen.
Während des etwa zweiminütigen Gesprächs nahm er zwar eine konkrete Bitte entgegen, konnte diese aber nicht in den Rahmen aktueller Ereignisse einordnen. Mit entsprechend verhaltener Nachdrücklichkeit bat er daraufhin die Sekretärin, nach Daniel Fischer zu suchen. „Der hat heute frei, ist erst morgen früh wieder im Dienst“, kam sofort die Antwort.
„Dann soll er morgen früh gleich zu mir ins Büro kommen.“
11 Freitag, 2. November, 12.30 Uhr
Diana Schakowski schaute regelmäßig auf die vielen Monitore, für deren Überwachung sie zuständig war. Aus der ganzen Welt trafen in der Warnemünder Außenstelle des Deutschen Wetteramtes ständig neue Informationen ein, und genau das faszinierte die Frau seit mehr als dreißig Jahren an ihrem Beruf – diese unbegrenzte Weite. Für sie gab es weder Länder- noch Kontinentalgrenzen. Schon zur Zeit der scharf bewachten DDR hatte sie das Gefühl, über diesen zu stehen, ja bereits die Globalisierung zu leben, von der damals erst in Anfängen die Rede war.
Und dann die Unberechenbarkeit. Mit nachsichtigem Lächeln verfolgte sie die oft in den Medien kommentierten langfristigen Prognosen von Möchtegern-Experten, die lediglich Aufsehen erregen wollten. Einmal in den Schlagzeilen erwähnt zu werden, schien deren Ziel zu sein.
Diana Schakowski war dagegen Seriosität gewohnt, die sie selbst auch konsequent durchsetzte. Immer noch dachte sie belustigt an den Anruf des Rügener Touristik-Managers, der ihr mitten in der Sommersaison erklärte, wie wichtig eine Wetterprognose sei, die niemanden von der Fahrt an die Ostseeküste abhalten würde. Ob sie denn nicht ihre Toleranzbreite entsprechend ausreizen könne.
Mit diesem Gedanken sah sie auf die Wetterprognose aus Richtung West. Das Sturmtief „Silvia“ erregte ihre Aufmerksamkeit. Nachdem lange Zeit alle Tiefdruckgebiete weibliche Namen trugen, wurde dieses System geändert. In ungeraden Jahren bekamen die Tiefs männliche und die Hochs weibliche Namen, in geraden war es umgekehrt. Offenbar wurden mit einem Tiefdruckgebiet negative Emotionen verknüpft, die dann nicht noch zusätzlich mit dem weiblichen Geschlecht verbunden werden sollten. Diese Art von Gedankengängen war Fachleuten wie Diana Schakowski völlig fremd, sie mussten von selbst ernannten Feministinnen stammen.
Situationsmeldungen zu „Silvia“ aus Großbritannien und Irland lagen bereits vor. Ein Vergleich kam ihr in den Sinn. Wenn man von den Ostfriesen sagt, dass sie schon morgens sehen können, wer abends zu Besuch kommt, dann traf das für die Mecklenburger in anderer Hinsicht auch zu. Mit Blick auf die europäische Wetterkarte können sie viel besser berechnen, was an Elementargewalt auf die Ostseeküste zukommt, denn die Herkunftsregion von Stürmen war in den allermeisten Fällen der Atlantik im Westen. Automatisch griff bei ihr ein Mechanismus, für möglicherweise eintretende Gefahrensituationen ein Gefühl zu entwickeln.
Vorsichtshalber gab sie eine Warnung an ihre Vorgesetzten weiter: In der kommenden Nacht würde sich der schon tagelang anhaltende starke Westwind an der deutschen Ostseeküste noch verstärken. Das bedeutete Gefahr für Sturmhochwasser an den Küsten des Darß und der Insel Hiddensee, aber Niedrigwasser an den Ostküsten von Rügen und Usedom. Zu erwarten waren Böen mit mehr als hundert Stundenkilometern. Wie zur Bestätigung schlug das nicht gesicherte Fenster des Büros mit lautem Knall zu.
Hoffentlich würde dann der Wind nicht so bald drehen. An ein solches Szenario wollte sie lieber nicht denken. Mit diesen Überlegungen beendete Diana Schakowski für diesen Tag ihre spannende Arbeit, die nur für Außenstehende den Anschein von Routine hatte.
12 Freitag, 2. November, 15.30 Uhr
Pia Bergner blickte aus dem Fenster ihres kleinen Büros auf die Gruppe von etwa fünfundzwanzig Besuchern, die auf ihre Führung wartete. Solche Aufgaben übernahm sie gerne. Sie musste auf vielfältige Fragen die Antwort parat haben. Das war für sie mittlerweile mehr als Routine geworden. Überdeutlich war aus den Fragen das große Interesse der Besucher für die technischen Leistungen der damaligen „Peenemünder“ herauszuhören. Leider konnte Pia auf viele Detailfragen mangels technischer Grundkenntnisse nicht antworten. Als besondere Freude empfand sie den Rundgang mit einer Gruppe schwedischer Besucher einige Tage zuvor, die ebenso erfreut waren, ohne Dolmetscher dieses im Norden sehr bekannte Museum erkunden zu können.
Die heutige Führung hatte noch einen besonderen Teilnehmer. Sie begrüßte den Verursacher ihres morgendlichen Unfalls kurz mit einem freundlichen Nicken.
Völlig unverhofft war er mit seinem dunklen Audi aus einem Waldweg auf die Straße zwischen Karlshagen und Peenemünde gekommen, an einer Stelle, an der Pia gar nicht mit einer solchen Möglichkeit rechnete. Durch ein blitzschnelles Ausweichmanöver mit ihrem kleinen Volvo konnte sie zwar einen Frontalzusammenstoß verhindern, dabei streifte sie jedoch den Holzzaun, der gegen die Schwarzparker an der Straße gebaut worden war. Zum Glück war ihre Geschwindigkeit in der Kurve nicht hoch, sie kam kurz darauf zum Stehen.
Wütend war sie ausgestiegen und hatte den Schaden betrachtet. Die langgezogene Delle an ihrem Auto konnte nicht übersehen werden. Nachdem auch der Fahrer des Audi seinen Wagen verlassen hatte, erkannte sie ihn mit seinen auffallend dunklen, gegelten Haaren und gewann langsam ihre Fassung zurück. „Sie sind das also. Mit dem Ferienhaus waren Sie aber freundlicher