Zu dumm zum Beten. Heiko Rosner

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Zu dumm zum Beten - Heiko Rosner

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waren).

      „Die Zeiten werden religiös, mein Freund“, monologisierte der Edelfederich weiter. „Wenn die Menschen keinen Sinn mehr sehen, suchen sie den, aus dem sie gekrochen sind.“ Der Katholik zeigte ein wölfisches Lächeln, für das kein Protestant ein Sorgerecht übernommen hätte. „Religion ist ein wichtiges Identitätsmerkmal, das sich im säkulären Maskenball unserer Zeit nicht wegschminken lässt. Aber jetzt schlägt das Pendel um. Denn wir sehen nicht die Lösung und scheitern an dem Versuch, unser eigenes Paradies zu errichten. Das macht die Menschen krank. Sie leiden an Burnrout, Einsamkeit und Depressionen. Die schöne neue Welt ist ausgeblieben, und wir bleiben zurück mit unserer Schuld und Hybris. Die meisten merken aber dann doch, dass wir nicht das sind, was wir sein sollten. Sie spüren, dass ihnen etwas fehlt in ihrer DNS. Der Teil, der sie wieder leben, spüren und fühlen lässt. Deshalb fangen sie an zu suchen, selbst wenn sie dafür Prügel beziehen und an den Pranger gestellt werden. Die Christen sind die Sex Pistols von heute, mein Freund. Alle verachten sie, aber ihre Zeit wir kommen. Das nenne ich gottverdammten Fuck’n’Roll!“

      Das Gesicht des katholischen Brillenfischs verkrampfte sich zu einem Ausdruck der Zufriedenheit: „Gott ist ein Kraftwerk, ohne das es den Menschen niemals geben würde. Sein Strom versiegt nie. Er wälzt den Stein. Haben Sie schon einmal einen Stein gewälzt?“

      Siebzehn hörte seit der Stelle mit dem Maskenball nicht mehr zu. Für Außerirdisches war er nicht zuständig. Er kam schon in Harburg kaum zurecht. Die Frage nach den rollenden Steinen brachte ihn daher leicht aus dem Konzept.

      „Offen gesagt nein“, ließ er sich nach einer Denkpause zu einer Antwort herab. „Um genau zu sein, mein Job ist es eher, Steine umzudrehen.“ Siebzehn nahm die routinierte Pose eines Kammerjägers von der Reeperbahn ein, obwohl seine Oberarme nur halb so dick waren wie der Hals eines Pferdes. „Aber im Moment bin ich privat.“ Er zückte kurz seine Superspar-Kundenkarte und betonierte seine Stimme ein. „Mein Dienst fängt erst nachts an. Immobilien, Stechomobilien, Ponderabilien, alles was ansteht. Goldman & Wesson. Da haben wir nicht viel Gott.“

      „Oh, wie interessant.“ Der christliche Abenteurer war ganz von den Socken. Nein, mehr noch, er glühte vor Begeisterung, als wäre er auf den heißesten Erzengel jenseits der Lorelei gestoßen. „Das ist ja toll. Sie sind also im – Gewerbe?“ Er sprach das Wort aus, als müsste er seinen Mund danach zehn Rosenkranzwochen lang mit Sünden-Ex desinfizieren.

      „So nennen wir das nicht.“ Siebzehn blickte zum ersten Mal frontal in das ziegelrot angelaufene Gesicht des Dysopten. „Wir sagen Tittenpogo dazu. Ist griffiger und international gebrandet.“

      Wim Tölpel sperrte den Mund auf, als würde er in Gedanken das Wort „Tittenpogo“ mitschreiben. Big G brachte zwei Biere mit Geschoss. Siebzehn kippte den Kurzen, als ob er nahende Kopfschmerzen wegtrinken wollte. Nicht schlecht, das Donnerwasser. Auf den Heiland. Fuck’n’Roll.

      „Aber ich rede nicht gern über Geschäfte“, sagte Siebzehn mit gebührend ernster Miene. „Ist bei uns gottgegeben. Wir leben von der Diskretion.“

      Der Kulturjournalist hielt den Atem an, offenbar gebannt von der authentischen Streetability dieser sicher extrem gefährlichen Kiezgröße. „Und wenn Sie so einen Stein umdrehen, was – finden Sie da?“

      Eine lange Pause. „Schlechte Dinge meistens. Nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Aber sie dürfen vorher beten.“

      „Das ist gut.“

      „Wenn sie noch am Stück sind.“

      „Oh. Und dann?“

      „Werfen wir sie weg. Hamburg hat einen tiefen Hafen. Wird alles ins Meer gesaugt. Schon praktisch, so ein Müllschlucker vor der eigenen Haustür.“

      Wim Tölpel nickte mitfühlend. Gott mochte schlechte Dinge auch nicht. „Und wieviele... ich meine, wie viele haben Sie schon – beten lassen?“, fragte er gebannt (und in Gedanken weiter mitnotierend, so eine Geschichte war wie ein Pulitzerpreis aus dem Kaugummiautomat).

      „872.“

      Der Schreibler zuckte zusammen. „Was, so viel?“, fragte er sichtlich beeindruckt.

      „Nicht einer mehr, nicht einer weniger. Ich führe sehr genau Buch. Muss man in meinem Job. Bürokratie ist ein Monster. Da kommen selbst wir nicht dran vorbei.“ Siebzehn schüttelte den Kopf wie ein Einzelhandelskaufmann, der die steigenden Milchpreise aus Brüssel beklagte. „Ich hasse diesen Papierkram. Macht bald keinen Spaß mehr.“

      „Meine Rede“, bestätigte der Christenmann, dessen stürmische Entrüstung nicht den über 800 Morden galt. „Alles wird reglementiert, alles wird verboten. Wir leben in einer Diktatur der Entmündigung, mein Freund. Hemingway wäre in dieser Welt verrückt geworden. Jesus auch. Was sollen wir uns nicht noch alles gefallen lassen?“ Er schlug erneut mit der Faust auf den Tisch, dass die Biergläser wackelten und sein Krückstock fast umfiel. „All Rubbish! Alles Sesselfurzer, die von nichts eine Ahnung haben!“ Die letzten Worte brüllte er so laut, als würde er auf der Bühne des Thalia Theaters stehen und nur die hintersten zwei Reihen wären ausverkauft. „872 ARE MUCH TOO FEW! KILL THEM ALL!“

      Siebzehn war sich bewusst, dass der Schreihhals vom Sturmgeschütz einen schweren Dachschaden hatte, den sich andere mühsam ansaufen mussten. Als er dem Ministrantenwicht jetzt aber in die Augen sah, zuckte er trotzdem zusammen. So einen irren Blick hatte er vorher nur bei Kristina Schröder oder Charles Manson gesehen.

      „Lassen Sie mich bei 873 dabei sein“, züngelte der Vielschreiber Gottes und seine dunklen Augen quollen hervor, als wäre in seinem Kopf Jack Nicholson eingezogen. „Ich verspreche, ich sehe nur zu. Ich misch mich nicht ein. Wir machen etwas wie ,Kaltblütig‘ von Norman Mailer draus. Das wird ein Top-Seller. Die Leute gieren nach authentischer Gewalt. Weil sie die Normalität eines Lebens in Frieden und Wohlstand nicht mehr aushalten. Die wollen wissen, wie das ist, wenn einer wirklich stirbt.“ Er packte Siebzehn energisch am Ärmel, eine Unart, die der Berührungs-Allergiker wenig schätzte. „Natürlich ohne Namen. Alles bleibt im Anonymen. Das macht es nur realistischer. Na, wie wäre das?“

      Siebzehn hatte noch nie ein Buchangebot bekommen. So gesehen, fühlte er sich geschmeichelt. Andererseits hatte er längst eine ganz andere Idee: „Und was springt für mich dabei raus?“, fragte er argwöhnisch.

      „Wir machen halbe, halbe. Keiner haut den anderen über’s Ohr“, raunte der Tölpel.“ Das ist der Deal.“

      „Siebzig, dreißig, dann haben wir einen Deal.“

      „Sechzig, vierzig.“

      Siebzehn platzierte unauffällig sein Bein auf der Fussleiste des Hockers, über den die Körpermasse des Vielgöttlers flutete. „Könnte eine Verhandlungsbasis sein“, sagte er nach einer Denkpause. „Ich muss mir das überlegen.“

      Tölpel zog die Hand weg. „Was gibt es da zu überlegen?“, fragte er verdrießlich.

      „Oh, eine Menge. Erst laberst du vom Big Brother im Himmel und als nächstes bist du ganz wild auf die letzte Schaufel. Da frage ich mich natürlich, wie passt das zusammen? Schon mal vom siebten Gebot gehört?“

      Das wusste der Orthoxe besser: „Fünftes“, sagte er strafend.

      „Dann eben fünftes. Da steht drin: Du sollst nicht töten.“

      „Ach, was da drin steht“, wehrte der Vatikan-Insider

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