Zu dumm zum Beten. Heiko Rosner

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Zu dumm zum Beten - Heiko Rosner

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dich kommen sehen, und zack weg.“

      Siebzehn war sich nicht ganz sicher, ob Grazziano damit ausdrücken wollte, dass es besser wäre, die Finger von seiner Tochter zu lassen oder ob er nur einen Scherz unter Männern machte (Männer, die fast gleichaltrig waren und mehr als zwanzig Jahre älter als Letitia, Sportsfreunde eben). Daher ließ er es mit einem ironischen Nicken bewenden: „Hat eben einen guten Geschmack, deine Tochter“, sagte er, ohne einer Lüge zu nahe zu kommen. „Ganz der Vater.“

      „Liegt in Familie, bleibt in Familie. So soll sein.“ Der kleine, dicke Italiener lachte gutmütig. „Hab übrigens Tipp für dich. Falls du Interesse hast.“ Die letzten Worte sagte er mit vertrauensvoll gesenkter Stimme.

      „Immer“, sagte Siebzehn, der eine Renditeoptimierung aus berufenem Mund niemals ausschlug. „Um was geht’s?“

      „Nachher. Wenn leerer ist“, raunte Grazziano. „Ist gutes Geschäft. Viel Gewinn.“

      „Klingt gut,“ sagte Siebzehn. „Merk uns vor.“

      Als hätte Grazziano nichts anderes erwartet, wischte er sich geschäftig die wurstigen Finger an der Schürze ab und gab Siebzehn eine High-Five. „Bene“, sagte er und grinste wie der offene Schlitz eines Portemonnaies. „Sehn uns, mi Amigo.“

      Mit diesen Worten flutschte trotz seiner Leibesfülle wie eine Billardkugel weg, um seiner Frau und Nichtennichten beim Bedienen der zahlreichen Gäste zu helfen. Dabei brauchte ihn zwar niemand, aber als Grüßonkel richtete er keinen Schaden an und erfreute die Stammgäste mit seinen Coppola-Honneurs.

      Siebzehn war kein Menschenfeind, jedenfalls meistens, aber Grazziano hatte er vom ersten Moment ins Herz geschlossen. Wahrscheinlich weil sie ähnlich herrschaftsfrei tickten und an ein Modell des reinen Marktes glaubten. Den sie zugebenermaßen unterschiedlich auslegten. Siebzehn handelte im weitesten Sinn mit Gebrauchwaren, Grazziano mit – Beihilfe und Empfehlungen. Insofern ergänzten sich beide ideal.

      Hinzu kam die dumme Sache mit der Axt. Hätte übel ausgehen können, aber Big G vermittelte dem Richter glaubhaft, dass Siebzehn ein „grundsätzlich friedfertiges Wesen“ sei und niemals grundlos auf wildfremde Menschen losgehen würde. Obwohl der Mercedes-Lutscher angeblich Todesängste ausstand und ein Gutachter etwas von Schockzuständen und chronischer Schlaflosigkeit faselte. Big G kannte einen anderen Gutachter. Freispruch. Geht nichts über gute Connections.

      Wie lange war das her? Drei Jahre. Die Bild-Zeitung machte daraus eine große Geschichte: „Die Axt von Altona.“ In fetten Zehnzentimeter-Buchstaben auf der ersten Seite, daneben ein unverpixeltes Bild von Siebzehn, das ihn mit geschulterter Axt beim Verlassen des Gerichtsgebäudes zeigte. „Schlappe Hamburger Justiz: So etwas läuft in Hamburg frei herum“, brüllte es aus der Textzeile unter dem Foto. Und dazu die bange Frage: „Wann schlägt er wieder zu?“

      Nun, das dauerte nicht lange, das passierte gleich am nächsten Morgen vor dem Kaffeeautomat der Lokalredaktion. Siebzehns Gegendarstellung dauerte eine zehn Sekunden. Der karrieregeile Jungschreibler hatte entweder nicht gewusst, dass die Axt von Altona einen Hausausweis besitzt oder die anderen hatten ihn absichtlich nicht gewarnt, jedenfalls ging sein Nasenknorpel auf Wanderschaft und einige seiner Schneidezähne sorgten für eine bessere Belüftung des Gehirns.

      Das war seine letzte Amtshandlung im Hause Springer. Seitdem verlief Siebzehns Leben in geordneten Bahnen. Größtenteils.

      Die Axt lag übrigens bis heute unter dem Fahrersitz von Siebzehns schrottreifer Karre. Weil die Motorhaube klemmte und nur unter Gewaltanwendung zuging.

      „Na Cowboy, lange nicht mehr gesehen.“

      Siebzehn schreckte auf. In Gedanken versunken, hatte er gar nicht mitbekommen, wie Letita aufgetaucht war. Siebzehn war sofort hellwach. Alle anderen Männer am Hufeisen-Rund auch, denn ihr bauchfreies Top und ihr geradezu alpines Dekollete hätten selbst den abgebrühesten Mormonen zur Monogamie bekehrt

      Ihre Augen strahlten ihn an wie zwei glühende Lichtfinger, denen man besser nicht zu nahe kam, es sei denn man wollte schwerste Verbrennungen riskieren.

      „Lass mich raten: Spaghetti Bolo mit Käse?“

      Schnell umschaltend, stellte er sich Letitia mit Kinderwagen vor. Das half ein wenig. „Äh.. nein. Heute nehme ich...“ Fast ohne ins Schwitzen zu kommen, ließ er den Blick über die Schiefertafel hinter Letitia schweifen, auf der die Menüs des Tages angeboten wurden. Im obersten Preissegment wurde er fündig. „...Heute nehme ich die Grazzianoplatte Terra-Mare. Mit extra viel Lachs, wenn’s geht.“

      Letitia sah erstaunt auf: „Uh! Hast du im Lotto gewonnen?“

      „So ähnlich. Und ein Bier.“

      „Terra-Mare und ein Bier. Schon in Arbeit.“ Sie tippte die die Bestellung ein und beugte sich dabei so weit vor, dass Siebzehn nicht umhin kam, eine andere Sitzhaltung einzunehmen. „Sonst noch was?“, stahlte sie ihn an, ihre Haltung beibehaltend, aber zu ihm aufsehend.

      „Nein“, krächzte Siebzehn, weiter auf seinem Hocker fuhrwerkend. „Das wäre, äh...alles für den Moment.“

      „Prima. Willst du so lang was lesen?“

      Bevor er antworten konnte, hatte sie ihm schon die Mopo hingeflatscht. Wenn das kein Service war.

      Letitia hüpfte davon. Siebzehns Blutdruck regulierte sich. Verächtlich beobachtete er die Business-Männer, die sich hinter ihren Laptops verschanzten, aber heimlich auf Letitias Arsch schielten. Wo sollten sie auch sonst hingucken? Konnte er ihnen nicht mal verdenken. Was für ein verruchtes Luder. Sie machte sich über ihn lustig, das war ihm schon klar. Aber nicht mit ihm. Um

      sich abzulenken, vertiefte er sich in die Zeitung. Was nicht so einfach war, denn für die Mopo brauchte man normalerweise nicht mehr als drei S-Bahnstationen. Wenigstens war die Schlagzeile ansprechend: „Hamburger Schüler immer besoffener.“ Eine Studie hatte ergeben, das 70 Prozent aller Hamburger Hauptschüler betrunken von der Schule nach Hause kamen. Das wunderte Siebzehn gar nicht. Er fragte sich, was die anderen 30 Prozent mit ihrer Zeit anfingen.

      Auf den Seiten 2 und 3 beklagten Polizisten der Davidswache, dass ihre Klos verstopft waren, es folgten Artikel über Männer, die Schminkkurse belegten und und rumänische Bettler, die am Jungfernstieg den Diamantenverkauf sabotierten. Dazwischen Meldungen über einen angeblichen Bauskandal der CDU und einen Lebensmüden, der auf dem Geländer der Köhlbrandbrücke einen Kopfstand gemacht hatte. Ganz hinten das Fernsehprogramm, die Naturbrüste-Doppelseite („Achtung! Neue Girls auf drei Etagen!“), Flutkatastrophen in Asien und der Krebspromi vom Dienst („Star aus ,Verbotene Liebe‘: Ich weine jede Nacht“).

      Gut, dass es diese Zeitung gab. Sonst würden noch viel mehr Leute glauben, Hamburg wäre eine Stadt von Welt.

      Er legte das Blatt beiseite und sah sich um. Trotz Urlaubszeit und kochenden Mittelmeertemperaturen herrschte im Mercado reger Publikumsverkehr. Ältere Frauen schleiften ihre trödelnden Männer hinter sich her wie unangeleinte Pudel. Gesichtsverkleisterte H&M-Gören belagerten als Germany’s Next Top Modells in Wartestellung den Sushi-Stand gegenüber und drückten in ihren Händen herum, ohne ein Wort miteinander zu reden. Einkaufswütige Gesichter panzerten durch das Gedränge, als wäre Nachkriegszeit und Merkel gleichzeitig. Dazwischen ein paar Blaue, die seit kurzem das Stadtbild versauten, weil in Hamburg irgendein Christustag war. Siebzehn hatte davon nichts mitbekommen, aber angeblich waren die Nachrichten voll davon. Es hieß sogar, der Papst würde kommen. Neuerdings trieb sich in der Stadt

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