Zu dumm zum Beten. Heiko Rosner

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Zu dumm zum Beten - Heiko Rosner

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jetzt wahrscheinlich das rote Telefon.

      Siebzehn trottete über die Eulenstraße, vorbei am „Leaf“ (ein Veganer-Restaurant, vor dem sie letztens einen Kübel Schweineblut ausgekippt hatten) und dem Wucher-Gourmet-Schuppen „Große Brunnenstraße 19“ (ein Lammfilet an Rosmarienkartoffeln und Selleriedipp, 18 Euro 99, fast geschenkt!), in der es früher ganz normale Hamburger Hausmannskost und Labskaus hoch und runter gab. Er überlegte, was die von der Motte wohl unter „offenen Angeboten“ verstanden. Gab es auch geschlossene Angebote? Machte da jemand die Tür auf und zu, oder wie sollte man sich das vorstellen? Wieso schrieben sie nicht gleich „billige Angebote“, das war doch wohl gemeint. Klang wahrscheinlich zu ideologisch. Damit machte man sich in diesem bürgerlichen Wohnviertel verdächtig. Der Aufstand gegen zu hohe Mieten, leerstehenden Wohnraum oder NPD-Demos am Altonaer Blutsonntag sollte selbstverständlich geführt werden, aber bitte innerhalb des Rahmens. Wir sind doch hier nicht bei den Räubern. Nee, aber bei grünen Oberstufenlehrern. Siebzehn kannte das Pack, das im Plenum der Motte hockte. Wegen solchen Lurchen würde es sich ernsthaft lohnen, CDU zu wählen. Nur damit man ihr blödes Geschwätz nicht mehr hören musste.

      Vor Teufels Küche kam ihm Fatih entgegen. Mit der Schauspielerin Nina Petri an seiner Seite. Die wohnte auch ums Eck. Siebzehn grüßte kurz. In Ottensen wohnten eine Menge Promis, Hannelore Hoger mit ihrem Bonanza-Rad, Peter Franke, der meistens im Roth Hof hielt, Peter Lohmeyer, den es aber eher selten aus dem „Pudel“ unten an der Elbe spülte, und natürlich die Fatih-Akin-Gang um Moritz, Adam und Chico. Allerdings gehörte es in Ottensen zum guten Ton, um diese Filmpeople kein sonderliches Aufsehen zu machen. Man kannte sich vom sehen, das reichte. Obwohl Siebzehn und Schädel Fatih sogar etwas besser kannten, denn sie hatten in einer Gaststättenszene von „Soul Kitchen“ am Tisch gleich neben der Kamera gesessen. Das verbindet. Fatih winkte erkennend zurück, Siebzehn nickte und schlurfte weiter.

      Wahrscheinlich fragte sich Nina Petri, wer dieser gutaussehende Mann war, der mitten im Sommer so eine dicke Lederjacke trug.

      Am Spritzenplatz wankte ein Betrunkener aus Möller’s Gaststätte und verkündete lauthals, dass die Erde in exakt drei Stunden untergeht. Seltsam war, dass er weder Hose noch Unterhose trug, dafür ein blütenweißes Hemd und einen karierten Schlips, als hätte er erst gestern wichtige Verhandlungen mit der Deutschen Bank geführt (wenn Cash bezahlt wurde, achte man bei Möller nicht auf Äußerlichkeiten). Eine rothaarige Frau stürzte ihm hinterher, immerhin angekleidet, aber noch betrunkener, und dem Hosenlosen in wenig Zuneigung verbunden. Es entspann sich ein lauter Disput, der sich um ein unbezahltes Kind, Mietschulden und eine Susie drehte, die der Rothaarigen lieber nicht mehr unter die Augen kommen sollte. Einn normaler Ehestreit, nur mit dem Unterschied, dass er in aller Öffentlichkeit auf dem Spritzenplatz ausgetragen wurde und beide zu besoffen waren, um sich verprügeln zu können.

      Siebzehn schob an dem krakeelenden Pärchen vorbei und passierte die gesichtslose Zaratomtailorstarbuck-Ödniss der Ottenser Hauptstraße. Die Schreierei hinter ihm ging weiter, vielleicht war Susie dazu gekommen. Manchmal war Siebzehn richtig froh, dass er in den gefährlichen Jahren frauenlos geblieben war. Am Ende hätte er sonst auch so eine unegale Kreischfurie am Hals. Nicht auszudenken. Ihm reichte schon Luistrenker.

      An der Beisser-Metzgerei erregte ein Stand seine Aufmerksamkeit. „Wem gehört die Stadt?“, fragte es von einem riesigen roten Transparent. Daneben Plakate mit Inschriften wie „Weg mit Luxusbauten“ und „Wir wollen keine Yuppies in unserem Viertel.“ Dass es so etwas noch gab. Als ob die Yuppies mit ihren Designershops und Kettenboutiquen nicht längst ganz Ottensen in ihren Besitz genommen hätten. Siebzehn trat trotzdem näher, neugierig, auch ein bisschen sentimental berührt. Die jungen Leute am Stand trugen T-Shirts mit „Miethaie raus, Migranten rein“-Aufdruck. Sie hätten Siebzehns Söhne oder Töchter sein können, mit ihren bunten Haaren und Anschraubern auf den Lippen, die furchtbar beim Küssen stören mussten. Ob sie die vorher abnahmen? Nicht, dass ihn diese Frage furchtbar beschäftigte, aber man machte sich halt so seine Gedanken.

      Auf dem Tisch lagen die üblichen „Bundeswehr raus aus dem Iran“-Sticker und Anti-Hartz-IV-Flyer. Er griff nach einem der Flugblätter. „Hamburg wird luxussaniert,“ laß er. „In der Bergstraße, die einmal Hamburgs erste Fußgängerzone war, sind die Mieten dank des Ikea-Baus um bis zu 70 Prozent gestiegen. Die kleinen Läden machen dicht, die alten Einwohner werden verdrängt. Wir weigern uns, diese Stadt in Marketing-Kategorien pressen zu lassen. Wir glauben: Eure ,Wachsende Stadt‘ ist in Wahrheit eine segredierende Stadt, wie im 19. Jahrhundert: Die Promenaden den Gutsituierten, dem Pöbel die Mietskasernen außerhalb. Wir fordern: Bezahlbarer Wohnraum für alle! Wir stellen die Frage, die in den Städten heute auch eine Frage von Territorialkämpfen ist. Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Leben in dieser Stadt auch für die lebenswert machen, die nicht zur Zielgruppe der ,Wachsenden Stadt‘ gehören. Denn die ,Wachsende Stadt‘ ist eine untergehende Stadt. Wir wollen leben! In Ottensen, St. Georg, im Gängeviertel und anderswo! Sonst ist bald jeder Tag ein 1. Mai!“

      Der subtile Umgang mit der Gewaltfrage gefiel Siebzehn. Das hatten sie früher ungeschickter gehandhabt.

      „Der nächste Mietspiegel kommt bestimmt“, laß er weiter. „Aber wir wissen, wo eure Fettautos stehen. Haut lieber ab.“

      Eine klare Ansage. Erfrischend, dass es es so etwas heute noch gab. Ein schlankes Mangamädchen mit viel Kajalschwarz um die Augen und einem makellosen Gesicht wie mit Fotoshop gemeiselt trat auf ihn zu. „Hallo“, sagte sie einladend lächelnd. „Wohnst du hier in der Gegend?“

      War das eine Anmache? „Wieso, du nicht?“, fragte er zurück. In Gedanken ertappte er sich bei einer Männerphantasie, die er in keinster Weise brüderlte.

      „Nee“, sagte Kajalauge. „Bin nur eingeteilt. Aber wenn du im Viertel wohnst, darfst du unterschreiben.“

      Sie schob ihm einen Klemmblock zu, auf dem eine schon zu zwei Dritteln ausgefüllten Unterschriftenliste im Wind flatterte. Überschrift: „Miethaie raus aus Ottensen!“ Daneben ein schlecht gemalter Hai, der mehr aussah wie eine Forelle mit Piranhazähnen und mit dem Kopf in einer Guillotine steckte.

      Für dadaistische Kunst hatte Siebzehn etwas übrig. „Aber nur zu gern“, sagte Siebzehn und schnappte sich den Block. Er trug fein säuberlich ein „Karl-Heinz Bredstedt, Eulenstraße 55, 22765 Altona“ ein. Nur bei der Sparte „Beruf“ zögerte er kurz. War das datenrechtlich erlaubt? Aber er wollte die Zeile vollkriegen, deswegen schrieb er „Kunstwissenschaftler“ hin. Atomingenieur hätte zu angeberisch geklungen.

      Die kleine Manga-Göre ließ ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen. „‘Ne coole Jacke hast du da an“, sagte sie, als Siebzehn ihr den Klemmblock zurückreichte. „Dreh dich mal um.“

      Den Gefallen tat ihr Siebzehn nur zu gern. Im richtigen Moment zog er den Hintern ein, kaum merklich.

      „Cool,“, sagte Kajalauge beim Anblick des Büffel-Totenschädels unter dem Western-Schriftzug DAKOTA. „Wie die Fahne von St. Pauli.“

      „Nur mit anderen Knochen.“ Siebzehn drehte sich wieder um und sonnte sich in der ungeteilten Aufmerksamkeit der Manga-Queen. „Ist ein Einzelstück“, sagte er, ohne angeben zu wollen. Was sogar stimmte, denn auf dem Flohmarkt der Altonale hatte es im letzten Jahr nur diese einzige Dakota-Jacke gegeben und er hatte sie für zehn Euro geschossen. „Jeder Knochen ist handgenäht. Gibt auf der ganzen Welt keine zwei Dakota-Jacken, die gleich aussehen.“

      Das hatte er zwar gerade erfunden, tat der Bewunderung des Manga-Mädchens aber keinen Abbruch. „Echt cool. So eine hätte ich auch gern. Aber - ist die nicht zu warm für‘n Sommer?“

      Siebzehn wiegte bedächtig den Kopf, denn gerade in der heißen Jahreszeit hatte er ganz und gar nichts gegen dünne

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