Zu dumm zum Beten. Heiko Rosner
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Читать онлайн книгу Zu dumm zum Beten - Heiko Rosner страница 10
„Ich gehe zurück nach Italia“, sagte sie vergnügt. „Oma hat Mann für mich gefunden.“
Siebzehns gute Laune verflog schneller, als er seine Kinnmuskulatur unter Kontrolle hatte. „Wie bitte?“ Er starrte Letitia ungläubig an: „Du willst heiraten?“
„Ja.“
„Aber wen denn?“
„Weiß ich nicht. Hat Oma ausgesucht.“ Sie kicherte wie ein übermütiges kleines Mädchen, das vor dem ersten Tanzball ihr Kleid ausprobiert. „Ist bei uns so Sitte, weißt du?“
Siebzehn fehlten die Worte. „Aber – das geht doch nicht...“, stammelte er völlig entgeistert, obwohl er sich natürlich nicht anmerken lassen wollte, wie entsetzt, nein nicht entsetzt, wie persönlich beleidigt er war.
„Wieso soll das nicht gehen?“ Sie versetzte ihm einen Stubs auf die erbleichte Nasenspitze. „Oma weiß, was für mich am besten ist. Freust du dich mit mir?“ Sie wartete seine Antwort nicht ab. „Du kannst mein Trauzeuge sein, wie wäre das?“ Letitia klatschte in die Hände, als wäre ihr diese tolle Idee erst eben gekommen. „Papa würde sich so freuen! Mein Mann bestimmt auch.“
Siebzehn wischte sich eien Strähne aus der Stirn. „Werd sehen, was sich machen lässt“, sagte er ganz cool. Der Tag war gelaufen, so oder so. „Kannst mir ja ‘ne Einladung schicken. Bin die nächsten Wochen nur leicht ausgebucht.“
„Schön!“, begeisterte sich Letitia, als hätte sie gar nicht zugehört. „Aber dann darfst du nicht diese verweste Cowboy-Jacke tragen. Ich will dich im weißen Anzug sehen. Mit einer Rose im Knopfloch.“
Siebzehn sah auf sein Glas hinunter, als hätte er das Bier ganz vergessen. „Mhm,“ brummte er und in seinem Magen wühlte etwas, das sich wie etwas sehr Kratzendes, Entzündetes anfühlte. „Wünsch dir nur das Beste“, sagte er beherrscht, aber freundlich, und er wollte gerade noch etwas hinzufügen, aber so weit kam er nicht, denn von hinten schlingerte Big G mit einer Riesenplatte Terra Mare (mit extra viel Lachs) heran, die er mit dem Stolz eines fünfsternigen Marlon Brando kredenzte. Letitia entschwand und schnalzte mit der Zunge. Warum auch immer.
„Alles okay?“, fragte Grazziano.
„Alles okay“, sagte Siebzehn.
Nichts war okay.
Als er die Zangen des Hummers aufbrach, dachte er an die Spiele mit den Handschellen. Der gestürzt Reis hatte genau ihre Körbchengröße. Die Kruste des Hühnchenschenkels mit der pechschwarzen Olive in der Mitte... kaum auszudenken. Und jetzt rannte sie einfach weg, wegen so einem Ölberlusconi, den ihre verkalkte Oma aussuchte? Wie bescheuert war das denn? Zwangsheirat. Voll das Mittelalter. Dass Big G so etwas zuließ. Italiener halt. Die Araber Europas. Taten kosmopolitisch und sonstwas, schawenzelten aber hinter jedem nächstbesten Kreuz her. Die einen waren vom Islam versaut, die anderen vom Vatikan. Nee, Siebzehn hatte fertig. Die Olive flippte er mit der Gabel weg. Am liebsten wäre er nach Italia gefahren und hätte dieser alten Inzest-Schrapnelle den Hals um...
„Die allerbesten Grüße im kostbaren Namen von Jesus. Der Herr der Liebe ist mit Ihnen.“
Siebzehn lächelte engmaschig. Millimeterdünn öffnete sich ein roter Riss.
„Darf ich Ihnen diese frohe Botschaft überbringen? Es ist ein Wort des Friedens und der Wahrheit.“
Vor Siebzehn stand ein etwa vierzehnjähriger Blaujüngling mit kinderpopoglatter Gesichtshaut, weit aufgerissenen Mein-Herz-ist-rein-Augen und Kühlergrill vor den Zähnen. Mit so einem würde man nicht mal Kinderpornografie hinkriegen. Der Kleine drückte Siebzehn eine Hochglanzbroschüre in die Hand, die die naive Zeichnung eines „Herr der Ringe“-Saruman im Schlafanzug zeigte, der auf einem Berghügel stand und bekifft zum Himmel aufblickte. Darüber in Indiana-Jones-bunten Buchstaben die Überschrift: „Gott ist das Liebeslicht des Universums.“
„Und was soll ich damit?“, knurrte Siebzehn, der nicht gern beim Essen gestört wurde. Schon gar nicht von so einer Katholikenfluse. „Ich nehme keine Werbung“, beschied er der Zahnspange kurz angebunden.
„Das ist keine Werbung“, lächelte der Blaujüngling das vermeintliche Missverständnis beiseite. „Es ist das Evangelium unseres Herrn: Liebet einander, wie ich euch geliebt habe. Das ist die Quelle des Glücks, die in jedem Menschen verborgen ist. Danach sollten wir streben. Einander lieben. Einander helfen. Einander vertrauen. Dann wird uns das Himmelreich sein.“
Siebzehn spürte deutlich, dass es ihm nach etwas ganz anderem strebte. Nur war der dressierte Klosterbello leider noch ein halbes Kind. Der rote Riss wurde trotzdem größer. „Von mir aus kannst du lieben, wenn du willst, aber nicht mich,“ schlug er einen unmissverständlicheren Tonfall an. „Und jetzt schieb ab und geh woanders beten.“ Damit war wohl alles gesagt. Dachte er.
Den Saruman-Prospekt warf er hinter sich.
Nur hatte er die Hartnäckigkeit des Kühlergrill-Missionars unterschätzt. „Sie sollten tief bereuen“, sagte der Bläuling und diesmal schob sich ein Tonfall wirklich enttäuschter Dinglichkeit in seine Kindergartenstimme. „Es gibt keine Freiheit ohne Gott. Nicht in diesem Leben und in keinem anderen.“ Er hob den weggeworfenen Flyer auf und säuberte ihn sorgfältig mit den Händen. „Wer wie ein Blinder tappt im Dunkeln, wird auf seinem Weg kein Glück finden. Und er wird Gewalt und Unrecht leiden müssen ein Leben lang.“
Konnte das wahr sein? Jetzt drohte ihm der Knülch auch noch. Was für eine gottverdammte Gehirnwäsche hatten sie diesem Bengel bloß verpasst?
Siebzehn versuchte es ein letztes Mal im Guten: „Hör zu, du Äffchen“, sagte er musterte den Jesusjunior mit dem Ausdruck kühler Verachtung. „Du störst mich beim Essen. Du laberst mich voll. Deine Sekte ist ein Haufen gequirlter Scheiße.“ Um seinen Worten den nötigen Überzeugungsgehalt zu verleihen, tippte er bei jedem dieser Sätze fest und immer fester auf das spindeldürre Jochbein des Zwergkatholiken, der seltsamerweise sein zinsloses Lächeln nicht einstellte (als wäre er illuminiert vom himmlischen Liebeslicht). „Wenn du klug bist, ziehst du daraus die nötigen Schlüsse, sonst erlebst du das nächste Halloween nicht mehr. Cappice?“
Der Junge betrachtete Siebzehn mit einem eindrucksvollen Stirnrunzeln, wirkte aber weder verängstigt, noch schockiert. Im Gegenteil, es sah eher so aus, als hätte er in Siebzehn Finstermiene etwas entdeckt, das ihm vorher nicht aufgefallen war, aus welchen Gründen auch immer.
„Sie sind ein guter Mensch, Sie wissen es bloß noch nicht“, sagte als hätte eine obskure Energie von ihm Besitz ergriffen. „Der Herr ist mit Ihnen. Ja, jetzt sehe ich es, der Herr ist mit Ihnen.“
Spätestens da platzte der rote Riss endgültig, da hätte auch keine fromme Musik mehr geholfen. „GEH MIR MIT DEINEM KACKJESUS WEG UND SCHER DICH ZUM TEUFEL, DU FICKFEHLER!“, röhrte Siebzehn so laut, dass in der nahe Douglas-Parfümerie fast die Pröbchen umfielen. „DEIN HERR KANN MIR DEN BUCKER RUNTERRUTSCHEN, UND DU GLEICH MIT. UND JETZT SUBTRAHIER DICH, SONST WANDELT GLEICH JEMAND GANZ ANDERES IN EWIGER DUNKELHEIT! JEHOVA!“
Das musste mal gesagt werden, an so einem – Letitia-Tag. Warum Siebzehn „Jehova“ brüllte, wusste er übrigens selbst nicht so genau, das kannte er aus einem alten Monty-Phyton-Film.
„JEHOVA! JEHOVA!“
Verrückt,