Philipps Entscheidung. Frank Springer
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Philipp konnte seine Überraschung nicht verbergen und sagte: „Du bist ein Mädchen?“
Wibke lachte: „Ja klar, bin ich das. Was dachtest du denn? Ist das ein Problem für dich?“
Philipp beeilte sich zu sagen: „Nein, nein, überhaupt nicht.“
Er musste immer noch sehr verwundert ausgesehen haben, denn Wibke lächelte freundlich: „Mach dir nichts draus. Es ist nicht das erste Mal, dass mich jemand für einen Jungen gehalten hat. Das ist mir schon öfters passiert.“
Philipp war die Situation äußerst peinlich. Am liebsten wäre er jetzt sofort im Boden versunken. Zum Glück hatte niemand außer Wibke seinen Irrtum bemerkt. Sie selbst schien es gelassen zu nehmen und war höchstens leicht amüsiert darüber.
Wibke trug vor sich einen Stapel Kisten und kam direkt auf Philipp zu.
Sie sagte: „Wenn du mir wirklich helfen möchtest, dann geh bitte einen Schritt zur Seite, damit ich an dir vorbei komme. Du stehst mir nämlich mitten im Weg.“
Philipp konnte nun sehen, dass in der obersten Kiste, die Wibke trug, sorgfältig aufgereiht mehrere Fische lagen. Die Fische sahen ihn mit ihren starren, toten Augen an und verströmten dabei eine unverkennbare Duftwolke.
Philipp konnte sich nicht beherrschen und rief: „Igitt, was ist den das?“
Wibke antwortete ruhig: „Das ist dein Abendessen. Heute gibt es frischen Fisch. Du kennst wohl nur Fischstäbchen aus dem Tiefkühlfach.“
Dabei aß Philipp sehr gerne Fisch. Selbstverständlich kannte er aus der Fischabteilung im Kaufhaus die verschiedenen Fischarten, die appetitlich aussehend in der Auslage auf Eis präsentiert wurden. Er liebte auch den Anblick, wenn der Fisch vor wohlschmeckend zubereitet vor ihm auf seinem Teller lag. Aber so unmittelbar und unvorbereitet damit im Rohzustand konfrontiert zu werden, erschreckte ihn im ersten Moment doch etwas.
Wibke bot ihm an: „Wenn es dich interessiert, dann kannst du mir dabei zusehen, wenn ich die Fische ausnehme.“
Philipp entgegnete: „Nein danke, darauf verzichte ich gerne. Ich konzentriere mich nachher lieber auf das Essen. Aber jetzt gibt es erst Mittagessen. Ich gehe dann mal.“
Wibke sagte: „Mach das und guten Appetit dabei.“
Wibke verschwand mit den Kisten im Hintereingang, während Philipp zum Vordereingang des Hauses lief. Er war wütend und enttäuscht. Weit und breit gab es nun niemanden mehr, mit dem er in diesen Ferien etwas erleben konnte. Dazu kam noch die unangenehme Blamage, dass er Wibke für einen Jungen gehalten hatte.
3. Der Sturm
Als Philipp den Speiseraum betrat, saßen seine Eltern und Schwestern bereits am Tisch. Er setzte sich schnell zu ihnen. Es gab einen leichten Imbiss, der nach dem Strandaufenthalt genau das Richtige war. Nur Philipp aß mit wenig Appetit. Er musste zuerst die vorangegangene Enttäuschung verdauen. Nach dem Essen gingen alle Gäste wieder hinaus an den Strand. Schon eine halbe Stunde später mussten sie aber zum Haus zurückkehren, da sich dicke Wolken vor die Sonne geschoben hatten und es zu kühl für den Strand wurde.
Philipp fühlte sich bestätigt: „Ich habe es ja gleich gewusst. Hier ist das Wetter viel zu unbeständig. Wir hätten doch ins Ausland fahren sollen.“
Herr Petersen schaute auf den Himmel und sagte: „Da braut sich ganz schön was zusammen. Es kommt heute noch mächtig was auf uns zu. Das geht schnell hier an der See. Dafür bleibt das Wetter nie lange schlecht. Morgen scheint die Sonne wieder.“
„Na, hoffentlich“, brummte Philipp.
„Kannst ’nem alten Seebär ruhig glauben“, entgegnete Herr Petersen freundlich.
Die Feriengäste beschäftigten sich bis zum Abend im Aufenthaltsraum. Philipp las sein Buch weiter und nahm von den anderen keinerlei Notiz. Draußen fing es heftig zu stürmen an. Der Wind heulte nur so ums Haus und der Regen prasselte an die Fensterscheiben. Zum Abendessen wurde tatsächlich der Fisch serviert, der nun schmackhaft zubereitet war. Philipp aß ihn mit großem Appetit. Immerhin war das Essen hier gut. Das war für Philipp aber auch das einzige Erfreuliche bei dieser Urlaubsreise.
Nach dem Abendessen veranstaltete Herr Petersen mit seinen Gästen einen bunten Willkommensabend. Für die Erwachsenen gab es steifen Grog zu trinken und die Kinder bekamen Kinderpunsch. Frau Petersen kam auch dazu. Sie arbeitete tagsüber bei einer Reederei und kam abends meist erst spät nach Hause.
Um seine Gäste zu unterhalten, stellte sich Herr Petersen in die Mitte des Raumes und begann mit seiner rauen, dunklen Stimme zu erzählen. Früher war er selbst als Fischer zur See gefahren, aber die harte körperliche Arbeit bei Wind und Wetter schadete seiner Gesundheit und er konnte nicht länger diesen anstrengenden Beruf ausüben. Daher verkaufte er seinen Anteil an dem Fischkutter und übernahm davon die Pension, die er nun bewirtschaftete. Nach diesen einleitenden Worten fing Herr Petersen an, richtiges Seemannsgarn zu spinnen. Er erzählte die unglaublichsten Geschichten vom Klabautermann und von Seeungeheuern. Wenn es besonders gruselig wurde, flüchteten sich Mimmi und Lenni auf den Schoß ihrer Eltern. Die beiden Kleinen waren es aber auch, die am lautesten lachten, wenn die Geschichten doch ein lustiges Ende nahmen.
Philipp hatte zunächst gar nicht bemerkt, dass Wibke inzwischen den Raum betreten hatte. Sie holte ein Schifferklavier hervor und spielte darauf. Philipp bewunderte Wibke, wie geschickt ihre kräftigen Finger dabei über die Tasten und Knöpfe glitten. Er selbst konnte kein Instrument spielen und war immer fasziniert, wenn andere Kinder darin so geübt waren. Ihr Vater sang dazu Seemannslieder. Alle waren in ausgelassener Stimmung und vergaßen dabei, dass draußen der Sturm tobte. Auch Philipp war nicht mehr ganz so trübsinnig. Immerhin erinnerte ihn dies hier an die bunten Abende, wie sie in den großen Ferienparadiesen veranstaltet wurden.
Es wurde spät. Mimmi war bereits in den Armen ihres Vaters eingeschlafen und Lenni schlief auch schon auf dem Schoß seiner Mutter. Philipp ging in sein Zimmer und fiel ins Bett. Er ließ sich weder von seiner Schwester noch von dem brausenden Sturm beim Schlafen stören.
Tatsächlich hatte sich der schwere Sturm über Nacht gelegt und am nächsten Morgen schien die Sonne wieder. Trotzdem wehte noch ein leichter Wind und die Luft war zu kühl, um am Strand baden zu gehen.
Als alle Gäste im Speiseraum beim Frühstück versammelt waren, kam Wibke herein und stellte sich mitten in den Raum.
Mit lauter Stimme verkündete sie: „Heute Nacht hatten wir einen kräftigen Sturm. Bei so einem Sturm wird besonders viel Treibgut angespült. Wer von den Kindern mag nach dem Frühstück mit mir zum Strand kommen und sich dort umsehen?“
Sofort waren alle Kinder bereit. Selbst Hans-Georg wollte freiwillig mitkommen. Philipp überlegte, da er sich für so eine Kinderveranstaltung zu alt fühlte. Ihm fiel jedoch nichts Besseres ein, so dass er sich anschloss.
Die Kinder trafen sich nach dem Frühstück vor dem Haus mit Wibke und machten sich gemeinsam mit ihr auf den Weg zum Strand. Wibke hatte ihre Latzhose bis über die Knie hochgekrempelt und trug einen dicken, warmen Troyer. Philipp hatte sich über seine Shorts noch eine winddichte Jacke