Kriminalisiert. Hans-Joachim Schmidt

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Kriminalisiert - Hans-Joachim Schmidt

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mit freizeitraubenden Reinigungsarbeiten in Haus und Gelände waren das Resultat.

      Der Sturm legte sich mit den Monaten. Aber schon wegen der kleinsten Andeutung in Richtung Unzufriedenheit verwies man auf jenen ersten Tag.

      Während meiner Lehrzeit wurde mir – nicht wie üblich von der kommunalen Wohnungsverwaltung, sondern von der Abteilung für Innere Angelegenheiten – eine Wohnung zugewiesen. Bei der Besichtigung war mir sofort klar: „Es ist nicht das, was mir als Wohnung vorschwebt, aber eben meine eigenen vier Wände.“

      Diese Einraumwohnung lag auf einem Hinterhof in der vierten Etage. Das WC befand sich im Treppenaufgang, eine halbe Etage tiefer. Der erste Eindruck bei der Zuweisung erinnerte mich eher an ein Haus, welches abgerissen werden soll. Der Hof war zugemüllt und der Treppenaufgang verdreckt. Das Geländer war lückenhaft und dadurch instabil. Als ich die Wohnung betrat, dachte ich zunächst, zu weit hochgegangen zu sein. Ich dachte wirklich, ich bin auf dem Dachboden. Abgesehen davon, dass keine Farbe und schon gar keine Tapete an den Wänden war, fehlte auch hier und da der Putz. Das, was die Küche darstellen sollte, konnte ich als solche, auch mit sehr viel Fantasie, nicht als Küche erkennen. Eine Kochstelle, ein Wasch- oder Abwaschbecken: alles Fehlanzeige. Ein Bleirohr, welches am Ende mit einem Holzpfropf verschlossen war, ragte aus der Wand. Von den Türen und deren Zargen, in denen die Türen mehr lehnten als hingen, will ich gar nicht erst sprechen. Überall lag Taubenkot, was auch von anderen Kleintieren herrühren konnte, herum. Alles in allem eine Zumutung!

      Trotzdem war ich froh über diese Wohnung – eine andere stand auch nicht zur Diskussion –, weil ich endlich die Heime hinter mir lassen konnte.

      Jedes Haus hatte einen HGLer, den Hausgruppenleiter, der auch das Mieterbuch führte. Unser Mann, der sich um uns Mieter kümmerte, hieß Zippe. Er war es auch, der sich meine Sorgen anhörte und dafür sorgte, dass die kommunale Wohnungsverwaltung alle Mängel, betreffend des Hofes und des Treppenaufgangs, ziemlich flott beseitigte. Sie übernahm auch die Putzerarbeiten an den Wänden meiner Wohnung und stellte mir einen Gaskocher mit zwei Flammen und ein Metallbecken zur Verfügung. Farben, Pinsel sowie Tapeten nebst Kleber konnte ich mir in einem Lager der KWV aussuchen. Nur renovieren musste ich noch selbst. Dabei half mir der Zippe, unser Hausgruppenleiter. Das empfand ich schon einmal als einen guten Anfang.

      Vom letzten Heim, einem Jugendwohnheim, aus dem ich entlassen worden war, bekam ich für die Ersteinrichtung der Wohnung einen Gutschein. Eigentlich war es nur ein Zettel mit einem Stempel des Heimes. Weiterhin war auf ihm zu lesen, bis zu welcher Summe das Konto des Heimes belastet werden durfte. Es war nicht der Scheck, wenn man es einmal so nennen darf, der mir alle Wünsche erfüllt hätte, aber es reichte für das Nötigste, welches ich durchweg vom An- und Verkauf am Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte holte.

      Dann endlich, am 1. Juli 1973, war meine Wohnung renoviert, eingerichtet und von mir bezogen.

      Etwa vier Wochen nach meinem Einzug mussten wir Lehrlinge auf den Appellplatz der Lehrstätte Aufstellung nehmen, der Direktor der Einrichtung trat ans Rednerpult und sagte: „Wie Sie alle wissen werden, haben gestern die zehnten Weltfestspiele begonnen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie alle Ihrer Arbeit in den Ausbildungsbetrieben nachgehen. Sie dürfen gern nach der Arbeit dort hingehen. Aber um eines möchte ich Sie bitten, zeigen Sie sich von der besten Seite. Und wer glaubt, er könne sich vor der Arbeit drücken und sich lieber amüsieren gehen, dem sei nur gesagt, wir werden keine Fehltage dulden, was eine Krankschreibung einschließt.“

      Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, wovon der da vorne sprach. Also erkundigte ich mich bei einem meiner Ausbilder, was es genau mit den Weltfestspielen auf sich hatte. Und er sagte mir, dass sich in Berlin die Jugend der Welt traf, um den Frieden zu feiern. Na fein, dachte ich, die Kommunisten feiern sich wieder einmal selbst.

      Nachdem der Leiter seine Rede beendet hatte, wurden wir aufgefordert, unsere Lehrräume aufzusuchen. Nach gut einer Stunde wurden wir mit einem Bus, von der GST andere auch mit Bussen der NVA oder Polizei, direkt von der Schule ins Gaswerk am Blockdammweg gefahren.

      Nun hatte ich nicht einmal die Wahl zwischen Arbeiten am Ofen oder zu schauen, was sich am Alexanderplatz so tat. Aber, um nicht den Unmut unseres Lehrkörpers zu wecken und um mich umzuhören, was die Weltfestspiele in der Tat waren, nahm ich mir vor, mich zu fügen.

      Und was soll ich sagen, ein Kollege, mit dem ich zusammenarbeiten musste, war schon auf dem Alexanderplatz und voll begeistert von der Stimmung. Ich war so sehr in Fragen vertieft, dass ich mich beim Abdichten der Ofentür mit Lehm am Arm verletzte. Die Brandblase war handtellergroß und platzte, wie ein zu prall aufgeblasener Luftballon, auf, als ich daran herumfingerte. Mir spritzte regelrecht das Wundwasser ins Gesicht.

      Der Betriebsarzt versorgte meine Wunde und sagte, bevor er mich wieder an den Ofen schickte: „Da haben Sie aber Glück gehabt, dass es nur die Oberhaut erwischt hat. Es werden keine Narben zurückbleiben.“

      Er muss wohl Order, von wem auch immer, bekommen haben, um genau so zu entscheiden. Ich sagte zu ihm: „Mit der Wunde am Arm kann ich doch nicht arbeiten“, und er antwortete darauf: „Doch, können Sie … Die Wunde ist zwar großflächig, aber nicht tief genug, um einen Krankenschein ausstellen zu müssen.“

      Weil mir der Meister auch noch unterstellte, dass ich mir die Wunde absichtlich zugefügt hatte, stellte ich mich etwas ungeschickt an, sodass die Binde ständig verrutschte und die Wunde offen lag. Der Kohlestaub auf der offenen Wunde verlangte nun einen erneuten Arztbesuch, aber diesmal wählte ich einen Arzt in der Charité. Der Meister rief zwar beim Betriebsarzt an, um mich anzukündigen, aber das interessierte mich nicht. Ich bestand auf freier Arztwahl.

      „Er hatte seine Chance und hat sie versaut“, sagte ich dem Meister. Also verabschiedete ich mich ordentlich und suchte die Unfallchirurgie des Krankenhauses auf. Dort fragte man mich, wie es zu dieser Verletzung gekommen war. Ich erzählte, dass ich Lehrling sei und Männerarbeit ausführen müsse. Ich habe richtig dick aufgetragen, was den Eindruck erwecken musste, dass diese Arbeit nicht altersgerecht war. Der Arzt schrieb mich krank, natürlich in erster Linie wegen dieser großen Wunde.

      Den Krankenschein schickte ich per Post ab, denn ich wusste, dass es Ärger geben würde, wenn ich mit einem Krankenschein auf der Arbeit antanzte. Und so hatte ich mir einen kleinen Zeitpuffer geschaffen. Allerdings erfuhr ich im Nachhinein, dass der Betrieb bei meinem Hausarzt angerufen hatte, um mein Erscheinen anzukündigen. Zweck war es auch, dass er mir einen Krankenschein verwehrte, eben aus der Begründung her, dass ich selbst schuld an dem Unfall bin.

      Noch am selben Abend bin ich zum Alexanderplatz gefahren. Dort war der Teufel los. Überall Musik, Tanz und flotte Mädels. Erst gegen 3 Uhr morgens bin ich wieder nach Hause gefahren, nein, nicht allein. Eine fesche Französin hatte ich für die nächsten Tage an meiner Seite. Aber eben nur so lange, bis eines Vormittags die Nachricht vom Tod Walter Ulbrichts mit großen Lettern an einer Leuchttafel am Alexanderplatz bekannt gegeben wurde.

      Wir, also meine schicke Französin und ich, wollten uns einen schönen Tag machen. Eigentlich wollten wir ins Interhotel Stadt Berlin, aber man ließ mich dort nicht hinein. Also entschieden wir uns, wieder zu mir zu gehen. Sie wollte mir als Entschädigung etwas kochen, dafür kauften wir zuvor im Centrum-Warenhaus und im Intershop ordentlich ein.

      Doch daraus wurde leider nichts, wir wurden abgefangen. An jenem 1. oder 2. August warteten schon zwei Herren vor meiner Wohnungstür. Mein Glück dabei war noch, dass es etwa gegen 15 Uhr war, als ich zu Hause mit ihr eintrudelte, sodass sie mir später wegen meiner Krankschreibung nichts konnten. Meine Begleitung ließen sie gleich wieder laufen, aber ich durfte erst tags darauf wieder gehen, das heißt, sie fuhren mich, weil sich die Keibelstraße unweit des Geschehens der Weltfestspiele befand.

      Es versteht sich von selbst, dass sie mich zuvor über jenes Mädchen ausfragten.

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