Einer von Zweien. E. K. Busch
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„Sie möchte in der Stadt leben, wo sie in die Oper kann und ins Ballett. Und ich finde dieses ganze intellektuelle Tamtam einfach nur aufgesetzt. Sie ist genauso Landpomeranze wie die andren Mädchen hier.“
Er reichte mir die Pfanne.
Obwohl Fred offenbar abgeschlossen hatte mit Marion, machte er keine Anstalten, sich eine neue Freundin zu suchen, auch ging er kaum noch aus. Er litt sichtlich unter der Trennung und wann immer er Marion über den Weg lief, spannte sich sein ganzer Körper schmerzerfüllt an und er musste den Blick abwenden. Ich bemühte mich um ein wenig mehr Würde und begegnete ihr zumindest erhobenen Hauptes, konnte ein Stechen in der Brust jedoch ebenfalls nicht ignorieren.
Sie dagegen schien kaum unter der Trennung von Fred zu leiden und wurde schon bald von einem neuen Verehrer auf Schritt und Tritt begleitet. Zu Freds großem Leidwesen handelte es sich um Tizian Effner, gegen den er noch aus Kindertagen einen tiefen Groll hegte. Ich konnte das Gefühl nicht loswerden, dass Marion gerade deswegen mit diesem Widerling anbandelte. Denn wenn gleich der Kerl später sicherlich vorzüglich verdienen würde und auch zum Studium der Betriebswirtschaft in die Stadt zöge, konnte der feiste und schmierige Kerl unmöglich nach ihrem Geschmack sein. Und tatsächlich hielt sie ihn trotz all seiner Mühen auf eisiger Distanz. Immerhin aber durfte er sie nun anstelle meines Bruders zur Ballettstunde fahren. Für die kalten Monate war dies auch recht vorteilhaft, denn er besaß schon einen eigenen Wagen, einen lavendelfarbenen Alfa Romeo. Fred ballte die Fäuste, wann immer er den Kerl sah.
Doch wie schrecklich es mir auch in den Latein-Stunden ergehen mochte, wenn Marion direkt vor mir saß und ich ihre leisen Wortwechsel mit ihrer besten Freundin nur allzu schlecht überhören konnte, ihr baumelnder Pferdeschwanz beinahe eine hypnotische Wirkung auf mich hatte, so hatte die ganze unschöne Angelegenheit zumindest einen Vorteil: Fred und ich kamen uns wieder näher.
Im Dezember verbrachten wir viele gemeinsame Stunden beim Mastermind-Spielen. Ich trank dann Tee, er heiße Schokolade. Und oft saßen wir auch nur gemeinsam in unserem früher gemeinsamen und jetzt meinem alleinigen Zimmer und lasen. Während ich mich mit meinen neusten Errungenschaften plagte, denn ich kaufte mir in diesen Jahren nichts weiter als Bücher, dies jedoch in einem Ausmaß, dass der mürrische Buchverkäufer mich mit größter Zuvorkommenheit behandelte, begnügte sich Fred mit jenen Büchern aus meinem Sortiment, die ich bereits gelesen hatte und ihm wärmstens empfehlen konnte. Sherlock Holmes mochte er sehr gerne und auch gefielen ihm Nathan der Weise und Die Schachnovelle. Zu lang und aufgeplustert durften die Geschichten nicht sein und Sachbücher fand er generell öde. Dennoch herrschte stets eine melancholische Stimmung, wenn wir so beisammen waren und mir war allzeit bewusst, dass Fred stumm litt. Dabei gefiel er sich jedoch durchaus in der Rolle des unglücklich Verliebten und pflegte sein Elend. Es kam eine ruhige und tiefgründige Seite an ihm zum Vorschein, die ich nicht gekannt hatte, die meinem Wesen jedoch erstaunlich entsprach. Wenn wir gemeinsam spazieren gingen oder er mir im Laden half, denn auch gab er sich nun weit interessierter an den familiären Angelegenheiten, dann war ich immer wieder erstaunt, ob der ähnlichen Ansichten und Vorstellungen, die wir beide hegten. Fort war alle Albernheit und Vergnügungssucht, alle Verantwortungslosigkeit und Unrast. Jedoch schien auch all seine überschäumende Energie dahin, sein Charme und seine Ausgelassenheit. Dann schmerzte es mich, dass er nun ebenso ein düsteres Geschöpf geworden war wie ich.
*
Kurz nach dem Jahreswechsel stand unser gemeinsamer Geburtstag bevor und wenngleich Fred nicht sonderlich zum Feiern zu mute war, meinte er doch: „Man hat nur eine begrenzte Anzahl von Geburtstagen, Konrad. Man sollte jede Chance nutzen. Und den Tag nicht zu feiern: Da kann man das ganze neue Jahr gleich zum alten tun und beide abstempeln von wegen: Verpfuscht. Dabei war nicht alles schlecht und überhaupt: Ich habe bisher immer gefeiert. Nur weil Marion jetzt... Das Leben ist jetzt nicht vorbei, nur weil sie Schluss gemacht hat mit mir. Und es wird auch Zeit, dass ich mich wieder zurückmelde.“
Fred lud also seine Freunde ein und wenn gleich ich an besagtem Tag, einem Freitag, ebenfalls Geburtstag hätte, war ich nur als Gast geladen. Fred hätte zwar auch gemeinsam mit mir gefeiert, hatte mich sogar etliche Male dazu aufgefordert, doch da ich im Grunde keinen einzigen Freund außer ihm selbst besaß, schien mir dies reichlich abwegig.
Karl war so freundlich, Fred die Gartenhütte seiner Familie zur Verfügung zu stellen, die direkt am Waldrand auf einer Obstbaumwiese stand, und ich fragte mich, wie die dreißig bis fünfzig Gäste da hineinpassen sollten. Meinen Bruder trieb wohl die selbe Frage um und an besagtem Morgen stellten wir beide besorgt fest, dass es zwar nicht regnen oder schneien, es aber eisig kalt würde. Januar eben. Der Silvesterschmutz lag noch immer auf den Straßen und ein wenig wunderte es mich, dass die Menschen schon wieder Lust auf Gesellschaft hatten. Ich selbst hatte ehrlich gesagt nie sonderlich viel Lust auf Gesellschaft, ob es nun Sommer oder Winter war. Große Menschenansammlungen wirkten zu diesem Zeitpunkt sogar regelrecht bedrohlich auf mich. Später fände ich solche Veranstaltungen einfach nur belästigend. Wenn überhaupt, dann vermochte ich immer nur, mich über andre, nicht mit ihnen zu amüsieren. Und dieses Vergnügen wandelte sich, wenn ich ehrlich bin, auch recht schnell in Überdruss, wenn nicht gar in Bitterkeit.
Frederik zu Liebe konnte ich der Veranstaltung auf jeden Fall nicht fern bleiben und mit den Vorbereitungen hatte ich ihm natürlich voller Eifer zu helfen. Karl, der ebenfalls hatte helfen wollen, entpuppte sich im Laufe des frühen Nachmittags, vor allem als großartiger Delegierer. Dabei waren wir nur zu dritt. Aber es war ja auch wichtig, dass einer den Überblick behielt!
Ich kam erst mit einiger Verspätung auf die Feier, weil Fred erst das Bad besetzt hatte und ich dann noch Mutter mit der Abrechnung hatte helfen müssen. Es waren 367 Pfennig aus der Kasse verschwunden uns sie hatte mich beschuldigt, falsch abgerechnet oder gar das Geld gestohlen zu haben. Letzteres war aber selbst ihr ein wenig lächerlich vorgekommen. Ich hatte also alles noch einmal überprüft. Doch tatsächlich fehlte von den 367 Pfennigen jede Spur. Ich hatte schließlich den fehlenden Betrag aus meinem eignen Portemonnaie in die Kasse gegeben. Ich wusste, dass das einem Schuld-Eingeständnis gleich kam. Aber was nützte es schon?
Schon von der Straße unten war einiger Lärm zu hören. Zuerst traf ich auf die Raucher, die Plastikbecher mit Punsch in den Händen hielten und mir zur Feier des Tages zumindest ein Nicken schenkten. Ich stakste den Hügel weiter hinauf zur Hütte. Die Tür stand offen und man blickte auf ein Menschengedränge in ihrem Innern, wie ich es nie zuvor gesehen hatte. Mir graute bei der Vorstellung, mich dort hineinbegeben zu müssen, aber da es mir an den Füßen schließlich allzu kalt zu werden drohte, atmete ich noch einmal tief ein und trat auf die Tür zu. Ich würde Fred kurz vor Augen treten und mich dann wieder davonmachen. Auf Fred war ich momentan ohnehin nicht gut zu sprechen. Meinen ganzen Nachmittag hatte ich ihm geopfert und er hatte sich nicht einmal bei mir bedankt. Dabei konnte ich mir für meinen eignen Geburtstag weit Schöneres vorstellen, als den Dreck von Karls letzter Feier zu beseitigen.
Tatsächlich aber, und ich schämte mich ein wenig dafür, war ich aus einem anderen Grund ärgerlich. Am Morgen hatten Fred und ich nämlich unsere Geschichtsklausuren zurückbekommen. Und nicht nur, dass ich mit zwölf Punkten weit schlechter als gewöhnlich abgeschnitten hatte, Fred hatte auch noch 13 Punkte und damit die beste Note erhalten. Nun hätte ich meine Missgunst durchaus hinunterschlucken können, wie ich es für gewöhnlich tat. Denn schließlich stand jede Leistung für sich und im Grunde sollte ich mich doch freuen für Fred. Geschichte war trotz Dr. Eichingers Bemühungen ohnehin nie mein Fall gewesen.
Und ich hätte mich ja vielleicht noch beherrschen können, selbst wo Herr Henning Fred über alle angebrachten Maße gelobt hatte, während er für mir nur einen hämischen Blick voller stiller Genugtuung übrig gehabt hatte. Aber Tatsache war doch: Fred hatte wie eh und je betrogen mit seinem blöden Spickzettel im Federmäppchen!