Einer von Zweien. E. K. Busch
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Читать онлайн книгу Einer von Zweien - E. K. Busch страница 19
Die Luft in der Hütte war mir unerträglich und ich stellte etwas frustriert fest, dass vom ganzen Putzen und Räumen am frühen Nachmittag nichts mehr zu bemerken war. Der Boden klebte vor vergossenem Punsch. Es kostete mich einige Überwindung meine Rücksicht über Bord zu werfen und mich grob durch die Menge zu wühlen.
So oder so, sagte ich mir, er war mein Bruder, heute war sein Geburtstag und ich konnte doch auch ein bisschen Größe beweisen und über seine kleinen Tricksereien hinwegsehen. Wie er selbst sagte: Jeder machte es doch so. Was regte ich mich denn auf in meiner übertriebenen Rechtschaffenheit? Und Fred hatte sich doch mehr als sonst bemüht, mir am Vorabend der Klausur noch diverse Fragen gestellt, die ich denn so gut wie irgend möglich beantwortet hatte.
Frederik kümmerte sich, zumindest hatte er das vorgehabt, um die Musik und hatte sich daher vermutlich ein klein bisschen Platz hinter dem Plattenspieler gesichert. Ansonsten war es dermaßen voll in der Hütte, dass man sich kaum rühren konnte. Die anderen Gäste warfen mir tadelnde Blicke zu, weil ich meine Jacke nicht ausgezogen und auf den großen Stapel draußen geworfen hatte. Ich entschuldigte mich immerzu, bemühte mich um größtmögliche Höflichkeit und geringsten Körperkontakt. Trotzdem hätte ich nicht wenig Lust gehabt, mir mit den Ellbogen einfach den Platz freizukämpfen. Was sollte das alles denn? Und wieso musste Fred seinen Geburtstag überhaupt feiern? Es war ja von gestern auf heute auch nur eine ganz normale Nacht vergangen.
Ich schalt mich für meinen Verdruss. Es war ja wohl nichts dagegen einzuwenden, dass Fred seinen Geburtstag feierte und mich gerne dabei hatte. Im Grunde war das sogar sehr nett von ihm. Und an meiner Stelle hätte es sich eigentlich gehört, sich zu amüsieren. Zumal auch ich Geburtstag hatte. Aber ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, wie man sich amüsierte.
Auf etwa halber Strecke trat mir ein Mädchen in den Weg und ich bemühte mich um ein freundliches Gesicht. Sie schien etwas jünger als ich zu sein. Ein eigentlich recht hübsches Mädchen mit dunkelblondem Haar und weichen Zügen. Sie kam mir irgendwie bekannt vor und ich rätselte, wo und wann ich sie schon einmal gesehen hatte. Aber erst nachdem ihre Stimme ertönte, wurde mir klar, dass sie der Leichtathletikmannschaft beigetreten war, kurz bevor ich dieselbe aus Zeitmangel hatte verlassen müssen. Wie ich mich zu erinnern meinte, war das hochgewachsene und schlanke Mädchen gut im Hochsprung gewesen. Bei den Anlagen keine sonderliche Leistung.
„Konrad“, rief sie laut, um die Musik zu übertönen, und riss mich damit aus meinen Überlegungen. Sie umarmte mich und mir entging nicht, dass ich mich dabei beinahe so steif anstellte wie meine Mutter es tat.
„Alles Gute zum neunzehnten Geburtstag!“
Ich rang mir ein Lächeln ab.
„Danke schön, Ulrike!“
Mir war in letzter Minute ihr Name eingefallen. Etwas schleppend war er mir über die Lippen gekommen. Einen Moment sahen wir einander etwas dümmlich an. Dann nippte sie verlegen an ihrem Plastikbecher mit Punsch. Vermutlich wäre es jetzt an mir gewesen, etwas zu sagen. Etwas Lustiges oder Originelles am besten, wie es Fred zu jeder Tages- und Nachtzeit vermochte. Mir fiel aber nichts ein. Überhaupt nichts.
Wäre sie eine meiner alten Damen gewesen, hätte ich wohl gefragt: „Wie geht es Ihnen denn heute? Und Ihr Rücken?“
Aber Ulrike war keine meiner alten Damen, tatsächlich war sie mit ihren samtig wallenden Haaren und der makellosen, wenn auch leicht geröteten Haut Beispiel blühender Jugend.
„Meine Großmutter redet immer so gut von dir“, erklärte sie nun: „Wüsste ich's nicht besser: Man könnte meinen, sie wäre verliebt in dich.“
„Frau Falks?“, fragte ich peinlich berührt.
Wieso musste sie jetzt dieses unsägliche Thema ansprechen? Es ließ sich nicht gerade brüsten mit meiner Fürsorge den alten Damen gegenüber. Eher deuteten die meisten meinen Kontakt mit den Gebrochenen und Einsamen als Zeichen meiner eignen Aussätzigkeit. Denn es hatte zwar jeder Mitleid mit den sozialen Restposten aber wer wollte sich schon wirklich mit ihnen abgeben? Und ich selbst kam manchmal nicht umhin, mich zu fragen, ob es sich wirklich um Nächstenliebe meinerseits handelte oder ob ich im Grunde nicht ebenso arm dran war wie diese unsäglichen Geschöpfe.
„Ich habe sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen“, erwiderte ich, fügte dann hinzu: „Aber sie lädt mich ab und an auf ein sehr gutes Stück Kuchen ein und überhaupt: Sie ist eine sehr nette Frau.“
„Findest du?“, erwiderte Ulrike keck grinsend und fügte dann, ehe sie ihre Nase erneut in den Plastikbecher steckte, hinzu: „Ich finde sie manchmal ziemlich garstig.“
„So wollte ich es jetzt nicht unbedingt ausdrücken“, entgegnete ich prompt und erbleichte ob meiner dreisten Erwiderung.
Es war doch sonst nicht meine Art, schlecht über andere zu sprechen.
Ulrike kicherte und meinte dann: „Großmutter weiß ja selbst, dass sie hin und wieder unausstehlich ist“, und Ulrike verdrehte die Augen: „Aber wir haben sie natürlich trotzdem gern.“
Sie nippte erneut an ihrem Becher. Ich blickte etwas ungeduldig zu Fred herüber, konnte ihn hinter all den Menschen jedoch nicht ausmachen.
„Sag mal, Ulrike, weißt du, ob Fred noch da hinten ist, und Musik aufgelegt?“, wechselte ich etwas unhöflich das Thema. Doch mir stand nicht der Sinn nach weiterer gezwungener Konversation. Zudem bekam ich andauern Ellenbogen in die Rippen.
Ulrike erwiderte gelassen: „Ich denke schon. Zumindest hab ich weder ihn noch Marion hier vorbeikommen sehen.“
Ich sah sie ungläubig an, fragte dann beinahe hysterisch: „Marion ist hier? Bist du dir sicher?“
„Natürlich. Ich bin ja gemeinsam mit ihr gekommen. Sie ist doch die beste Freundin meiner Cousine...“
Doch ich hörte Ulrike gar nicht mehr zu, sondern bahnte mir bereits meinen Weg Richtung Fred.
Und tatsächlich: Mein Bruder stand noch immer beim Plattenspieler, eine Bierflasche in der Hand. Marion stand neben ihm und rief ihm etwas ins Ohr, betatschte dabei seine Schulter über Gebühr. Er grinste dümmlich und der Anblick ließ mir den Schweiß auf die Stirn treten. Meine dicke Bekleidung in dem überhitzten und sticken Raum tat ihr übriges. Ich musste auf jeden Fall dringend an die frische Luft und schob mich brutal zum Ausgang, drängte etliche Leute grob beiseite, die mich ärgerlich ansahen. Dann stand ich endlich in der Kälte. Die Raucher nahmen nur kurz Notiz von mir, widmeten sich dann wieder ihrem Gespräch. Ich atmete tief durch. Ein und aus. Ein und aus. Doch der Rauch bekam mir nicht sonderlich und auch kam ich mir reichlich dumm vor so nutzlos vor der Tür. Also machte ich mich davon in den angrenzenden Wald.
Es war eine sternenklare Nacht und ich hatte das Gefühl, die Luft klirre mit jeder meiner Bewegungen. Meine Jacke rauschte und meine Schritte ließen den gefrorenen Boden knirschen. Ich machte mich auf in Richtung Weiher. Der war hier ganz in der Nähe. Nur noch den Hügel hinauf und dann rechts. Die Musik wurde immer leiser, drang jedoch bis zum Weiher als nerviges Gedüdel zwischen den kahlen Bäumen hindurch. Fred hatte einen grauenhaften Musikgeschmack. Ich setzte mich auf die Bank, auf der ich im Sommer mit Marion gesessen hatte und starrte auf das gefrorene Wasser hinaus. Früher einmal hatten Vater, Fred und ich hier die Enten mit altem Brot gefüttert. Das schien mir Jahrhunderte her zu. Die Erinnerung an