Einer von Zweien. E. K. Busch
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Читать онлайн книгу Einer von Zweien - E. K. Busch страница 3
Mutter machte, wurde sie umarmt, einen eigenartig morschen Eindruck. Sie rührte sich dann nicht, stand steif da, als könne ihr auf Grund einer falschen Bewegung der Arm abbrechen.
Vater kam mit einem Besen und einem Lappen herbei.
„Sei nicht traurig, Frederik. Es ist doch nur eine Glaskugel.“
Schon machte er sich daran, den kläglichen Rest des Weihnachtsgeschenks aufzufegen.
„Vielleicht seid ihr noch zu albern für solches Spielzeug“, erklärte Mutter und warf Vater einen tadelnden Blick zu, der diesem entging.
Frederik weinte noch immer. Mit nasaler Stimme erklärte er: „Die Kugel war so schön...“, und vergrub sein verheultes Gesicht in Mutters Schürze.
Ich stand neben meiner regungslosen Mutter und meinem Bruder, der sich fest an ihre Beine klammerte, und neben Vater, der noch die letzten Tropfen aufwischte. Meine Hände hatte ich tief in den Hosentaschen vergraben und hielt meinen Blick gesenkt. Wie so oft in meinem Leben kam ich mir nutzlos und dumm vor. Dann kam mir ein Gedanke und ich schlug vor: „Weißt du was, Frederik, du kannst meine Kugel haben!“
Vater sah mich freudig an.
„Das ist aber lieb von dir, Kon...“
Als ihm Mutter bereits ins Wort fuhr.
„Es ist Freds eigne Schuld, dass seine Kugel zerbrochen ist. Was ist er auch immer so unvorsichtig?“
Einen Moment herrschte Schweigen, dann brachte ich leise hervor: „Wenn Fred dann nicht mehr so traurig ist, gebe ich sie ihm aber gerne!“
Die Augen meines Bruders weiteten sich vor Dankbarkeit und Vater lächelte. Mutter dagegen erklärte trocken: „Wie du willst, Konrad.“
War ich denn nicht ein herzerweichend selbstloser Junge? Ein wahres Muster an Nächstenliebe?
Wenn ich ehrlich bin, dann war ich schon damals von Grund auf verdorben. Denn ich wollte nichts lieber, als ein guter, ein besserer Junge sein. Um über meinen Bruder zu triumphieren - ich wäre bereit gewesen, jedweden Preis zu zahlen.
*
Ein Erlebnis kommt mir in den Sinn, da waren wir vielleicht neun Jahre. Es war ein heißer Tag, einer der wohl heißesten des Jahres. Ich schätze, im August.
Frederik und ich folgten gemeinsam dem Feldweg, der sich an Wiesen und Äckern entlang zum Wald schlängelte. Der Weg war staubig und in der Ferne zitterte die Luft.
Wir machten gerne zusammen diese Streifzüge, folgten dem Weg erst und liefen dann querfeldein, verloren uns schließlich in den großen Wäldern. Die meisten anderen Kinder waren ohnehin in die Ferien gefahren. Manchmal entdeckten wir auf unseren Wanderungen etwas Besonderes: Einen Schmetterlingsflügel zum Beispiel oder eine tote Maus. Aber meistens konnten wir nur Grashüpfer fangen oder schöne Steine, Blätter oder Kiefernzapfen sammeln. Und wir vertrieben uns die Zeit mit dem Fragespiel.
Ich stellte Frederik dann eine Frage: „Was ist das für ein Baum dort?“, oder: „Erkennst du den Vogel?“, und er antwortete. Meistens wusste Fred die richtige Antwort nicht, selbst wenn ich ihm die Frage schon einige Tage zuvor gestellt hatte.
Ich meinte dann freundlich: „Aber Frederik, guck dir doch noch mal genau die Blätter an!“
Er starrte hinauf ins dichte Laub, das da grün funkelte im warmen Wind. So als könnte sein angestrengter Blick den Baum bezwingen. Doch bald schon sah Fred ein, dass dieser Riese sein Geheimnis eisern hütete. Ohnehin war mein Bruder nicht gerade mit Geduld gesegnet.
Sein Blick richtete sich nun hilfesuchend auf mich.
„Das ist eine Eiche, Fred. Sieh doch, wie wellig die Blätter sind!“, erklärte ich und fügte hinzu: „Die Eicheln kann man übrigens essen. Und am Mittelmeer gibt es auch Korkeichen. Die haben eine Borke aus Kork. Du weißt schon: Kork. Daraus macht man die Flaschenkorken. Es gibt hier bei uns Stiel- und Traubeneichen und…“
Frederik hörte immer sehr geduldig, scheinbar interessiert zu, merkte sich aber herzlich wenig. Er genoss es wohl lediglich, meiner Stimme zu lauschen, gab sich während meinen Ausführungen seinen eignen Träumereien hin. Ich dagegen erzählte auf diesen Spaziergängen nur allzu gern, wo sich doch sonst niemand für meine Abhandlungen interessierte.
Tatsächlich hatte ich wohl von jeher eine Vorliebe zu elendigen Monologen.
„Lass uns zum Fluss gehen“, rief Frederik und unterbrach damit jäh meinen Bericht über die verschiedenen Entwicklungsstadien des Schwalbenschwanzes. Seine Augen strahlten, schon rannten wir gemeinsam in Richtung Fluss. Frederik wühlte sich durch ein Weizenfeld, ich nahm einen Weg zwischen diesem und dem nächsten Acker. Denn hatte uns beim letzten Mal nicht der junge Winkler, der Sohn vom alten Bauern, gehörig zurechtgewiesen? Besser gesagt: Er hatte mich zur Rede gestellt, denn Frederik war sogleich davongelaufen, als er den brüllenden Traktor vernommen hatte.
Fred hatte bereits seine staubigen Sandalen abgestreift und ließ sich an eine Wurzel geklammert zum Wasser hinab, als ich die Böschung erreichte.
Ich rief ihm zu: „Frederik... Sei lieber vorsichtig. Wir können noch nicht gut genug schwimmen, um allein...“
„Ich will doch gar nicht schwimmen, nur ein wenig durchs Wasser laufen. Am Rand, wo’s nicht so tief ist. Meine Füße sind ganz heiß und schmutzig.“
Er schlitterte weiter den Abhang hinunter, dass die trockene Erde aufwirbelte. Ich zog nun ebenfalls meine Schuhe aus, stellte sie ordentlich nebeneinander ins Gras und folgte ihm.
„Aber sei vorsichtig!“, rief ich ihm zu, als er bereits seine Zehen ins Wasser tauchte. Er verzog das Gesicht.
„Ganz schön kalt!“
„Warte auf mich, ja?“
Er murmelte nur: „Mmmh“, war aber bereits ein Stück ins Wasser gelaufen. Es umspülte seine wie eh und je verkratzten Knie. Nun war auch ich unten angekommen und stellte mich mit verschränkten Armen ans Ufer.
„Du solltest nicht so weit hineingehen. Die Strömung ist ziemlich stark, auch wenn der Fluss viel weniger Wasser führt als sonst. Das liegt an der Hitze und Trockenheit der letzten Tage.“
Irrigerweise war ich damals überzeugt, jedes Wissen müsse auf der Stelle verkündet werden. Erst später würde ich begreifen, dass es sich gerade andersherum verhielt.
Fred watete durch das Wasser und ich folgte ihm trockenen Fußes auf seinem Weg flussaufwärts. Er musste sich ganz schön anstrengen, um gegen die Strömung anzukommen. Meine Arme waren weiterhin verschränkt. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete ich ihn, während ich über die teilweise recht spitzen Kiesel stolperte.
„Du wolltest doch im flacheren Wasser bleiben“, rief ich ihm in Erinnerung.
„Ach was, Konrad! Die Strömung ist gar nicht stark. Ich könnte sogar noch weiter