Hans der Pole. Gräfin Bethusy-Huc

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Hans der Pole - Gräfin Bethusy-Huc

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zu leben und zu arbeiten –“

      Herr von Mielosenski trat mit ausgestreckten Händen auf ihn zu.

      „Lassen Sie mich Ihre Hände drücken, Herr von Walsberg, wenn ich einen Sohn hätte, ich wünschte ihn mir nicht anders, als Sie sind, und mein Herz blutet, dass gerade ich es sein muss, der Ihnen das Erbe Ihrer Väter entreißen will!“

      Seine Augen schimmerten feucht, er sprach ein paar Worte in polnischer Sprache zu seinem Begleiter, auch dieser erhob sich und trat an Hans heran.

      „Glauben Sie auch mir, dass ich ganz mit Ihnen fühle, Herr von Walsberg, es ist ein schweres Schicksal, und wir bitten Sie, uns nicht zu zürnen wegen einer Sache, die zu ändern weder in Ihrer noch in unserer Macht steht“.

      „Ich kann das aber nicht glauben, dass es so hoffnungslos steht“, rief Hans, „ich bitte Sie, mir Zweit zu lassen, mich wenigsten persönlich genau zu informieren –“

      Wieder wechselten die Mielosenskis einige Worte in polnischer Sprache, während Herr von Wolffen heftig auf seinen Neffen einsprach.

      „Willst Du die einzige Chance, die sich noch bietet, vorüber gehen lassen, dann lege ich die Vormundschaft nieder, dann macht, was Ihr wollt“.

      Der ältere Mielosenski trat zwischen sie.

      „Was Herr von Walsberg verlangt ist nicht mehr als recht und billig“, sagte er, „mein Bruder und ich sind einverstanden damit, dass der junge Herr erst in alles Einsicht nimmt. Wir werden in drei Tagen wiederkommen und hoffen dann bestimmt die Angelegenheit zum Abschlusse zu bringen mit der vollen Zustimmung des Herrn von Walsberg, dem wir die Berechtigung zuerkennen, in diese Sache entscheidend mitzusprechen“.

      Als kurze Zeit darauf der Wagen mit den beiden Mielosenskis von der Rampe rollte, sagte Herr von Wolffen zu seinem Münder: „Na, wenn nun aus der ganzen Sache nicht wird, dann kannst Du und Deine Mutter betteln gehen – aber ich wasche meine Hände in Unschuld!“

      II.

      Vierundzwanzig Stunden später wusste Hans, dass ihm nichts anders übrig bleib als der Verkauf. Er hatte Rechnungsbücher und Wirtschaftsbeläge fast die ganze Nacht hindurch studiert, bis vor seinen, in solchen Dingen ungeübten Augen Zahlen und Worte in wirrem Durcheinander verschwammen. Er hatte lange Unterredungen mit Herrn von Wolffen und den Beamten gehabt, hatte dann wieder studiert und gerechnet – und nun wusste er genau, wie schlecht es um Warozin stand.

      Benno Arden war abgereist, Herr von Wolffen ebenfalls. – Hans ließ ein Pferd satteln und ritt mit heißem Kopf und schwerem Herzen hinaus, dem Walde zu. Noch einmal wollte er dort unter seinen Bäumen auf seinem Grund und Boden stehen, Abschied nehmen – Abschied nehmen! Die Augen wurden ihm feucht dabei. Rotgoldene Sonnenlichter lagen über dem grünen Kleefeld, an dem der Feldweg entlang führte. Und so üppig stand der Klee, so recht zur Freude des Landmanns. Dort am Rande des Waldes waren Rehe herausgetreten und ästen ruhig weiter, als wüssten sie, dass ihnen heut von dort her keine Gefahr drohte. Jetzt nahm der Wald den Reiter auf. Langsam ging das Pferd über den moosigen Weg. Hinter den Bäumen und Büschen war es Hans, als lugte liebe Augen nach ihm aus – Kindheits- und Jugenderinnerungen drängten sich um ihn, und die Zweige raunten und die Vogelstimmen im Walde riefen: Weißt Du noch, erinnerst Du Dich?

      Ja, ja er kannte sie alle. Hier hatte er seinen Vater auf einer Pirschfahrt begleitet, dort hatte er den ersten Hasen, dort den ersten Bock geschossen. Unter den Eichen am Wiesenrande war der Zauber der Waldeinsamkeit ihm zum ersten Male zum Bewusstsein gekommen, und auf dem Wege zwischen den Fichten hatte der alte Waldhüter ihm Schmugglergeschichten erzählt. Unwillkürlich schlug er den Weg zu dem ganz von Holz erbauten Waldhüterhause ein, das verloren am Wiesenrande unter uralten Eichen stand; aber auf halbem Wege wandte er sein Pferd. Nein, er konnte den Mann jetzt nicht sehen – was sollte er ihm sagen? Wie sollte jener, der im Laufe der Zeiten selbst wie ein Teil seines Waldes geworden war, es verstehen, dass der „junge Herr“ nicht für alle Zeit sein Herr und Herr des Waldes hier bleiben sollte? Hans ritt am Wiesenrande hin und bog in den Weg ein, der durch die Schonung führte. Er erinnerte sich, als Kind gesehen zu haben, wie sie gepflanzt wurde. Jetzt waren die Kiefern ihm schon über den Kopf gewachsen, und auf ihrem dunklen Zweigen standen die jungen lichtgrünen Triebe wie Kerzen, die sie zu freudigem Empfange dem Herrn des Waldes entgegenstreckten. Dem Herrn des Waldes! Morgen oder übermorgen kamen die Mielosenskis.

      Unter einer der hohen Samenkiefern, die die Schonung überragte, war eine halbzerfallene Moosbank. Hans stieg vom Pferde, strich über den glänzenden Hals des Tieres und warf ihm die Zügel über den Kopf.

      „Bleib‘ hier, Schwarzer“, sagte er. Und das Pferd senkte den Kopf und knabberte an den Gräsern auf dem Wege, als habe es verstanden, dass es galt, hier zu rasten. Sie kannten einander ja schon von der Fohlenkoppel her – und sie waren immer gute Kameraden gewesen der „junge Herr“ und der Schwarze. Hans setzte sich auf die Moosbank uns sah dem Pferde zu.

      Von dem musste er sich nun auch trennen! Eine halb entwurzelte junge Fichte stand am Wege. Noch trugen ihre Zweige die lichtgrünen Maitriebe – aber Luft und Sonne würden die bloßliegenden Wurzeln austrocknen, und dann musste sie zugrunde gehen.

      „Das ist mein Bild“, murmelte Hans, „die Wurzeln der heimischen Scholle entrissen, dem Untergange geweiht“ – er stützte den Kopf in die Hände, und schloss die Augen. Das Leben schien ihm so wertlos!

      Aus dem Forst tönte das Gurren der wilden Tauben. In den Büschen am Wiesenrande begannen die Nachtigallen zu locken. Wie das alles Hans an seine Kindheit erinnerte! Vor seiner Seele stand die Gestalt seines Vaters, wie er ihn zuletzt hier an dieser selben Stelle gesehen hatte – kraftvoll und lebensvoll. Hans war ein zehnjähriger Junge. Ein Förster machte damals seinem Vater irgendwelche Vorstellungen; und durch den Nebel der Vergangenheit hindurch hörte Hans die Stimme seines Vaters, die längst für immer verstummt war, antworten: „Ach was, ich pfeife drauf! Ich tue, was ich will, auf alles andere pfeif‘ ich!“. Und dann hörte er plötzlich das leise heimliche Lachen seiner Mutter. Sie lachte und sang nur, wenn sie mit Hans allein war. In Gegenwart des Vaters duckt sie sich, wie ein scheuer Vogel. Was hatte Hans doch für eine sonderbare Kindheit gehabt zwischen diesen beiden Menschen, die nichts Gemeinsames zu verbinden schien. Warum hatten sie sich geheiratet – warum musste Hans ins Leben gesetzt werden – wozu war denn sein Leben nütze? Wenn er Warozin daraus ausstrich – was sollte er noch? Wäre es nicht besser, nicht zu sein? Wie der Gedanke ihn lockte! Hier unter den Bäumen, umtönt von all den vertrauten, lieben Waldstimmen auslöschen – nicht mehr denken, nicht mehr leiden. – Freilich – die Mutter war noch da; aber sie freute sich ja so über das Geld, das nach dem Verkauf übrig blieb. Trotz garte in Ihm auf. – Mochte sie doch das ganze Geld haben, allein für sich – sie würde sich schon trösten!

      Etwas Warmes, Weiches berührte seinen Kopf. Hans fuhr auf. Der Schwarze stand vor ihm, beschnupperte ihn und sah ihm mit großen braunen Augen ins Gesicht, als habe die Regungslosigkeit seines Herrn ihn beunruhigt. Auf den Waldwipfeln lag der letzte Goldglanz des Abends, und der Frühlingshimmel spannte sich lichtblau verheißungsvoll darüber aus.

      O Gott, es war doch schön, das alles!

      Hans atmete rief auf; und plötzlich griff er nach einem breiten Holzscheit, das am Wege lag und begann die losen Wurzeln der Fichte in den weichen Waldboden einzugraben. Dann richtet er das Bäumchen gerade und stampfte den Boden mit den Füssen fest.

      „Dir konnte ich noch gerade helfen“, murmelte er – und er freute sich, dass der junge Baum nun wieder fest stand, und der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, dass er in zehn Jahren wohl wiederkommen und nachsehen könnte, was aus seinem Pflegling

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