Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis. Bettina Reiter
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Читать онлайн книгу Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis - Bettina Reiter страница 36
Henriette hielt ihre Schwägerin sanft an den Schultern fest. „Du musst dich beruhigen. Vor allem deinem Kind zuliebe.“
„Du hast ja keine Ahnung, was hier gespielt wird. Aber ich sollte tatsächlich auf mein Zimmer gehen, das hier hat ohnehin keinen Sinn. Begleitest du mich? Es gibt nämlich einiges, das du wissen solltest, Henriette.“ Ihre Schwägerin zog sie an der Hand mit sich.
„Willst du schon wieder die Flucht ergreifen?“, kreischte Françoise und stellte sich ihnen in den Weg. Diana ließ Henriette augenblicklich los, machte kehrt und eilte zur Treppe. Henriette folgte ihr, wie auch die Großtante und Élisabeth. Plötzlich wurde Henriette an den Haaren zurückgerissen. Sie schrie auf und konnte sich gerade noch am Geländer festhalten. Wie eine Furie drängte Françoise sie beiseite und verfolgte Diana mit einer Schnelligkeit die Stufen hinunter, die man ihr nicht zugetraut hätte. Unten im Foyer bekam sie ihre Tochter zu fassen und schubste sie in den Rücken. Diana strauchelte, behielt jedoch das Gleichgewicht und drehte sich zornig zu ihr um.
„Was willst du denn noch, Mutter? Mich umbringen?“
Henriette war wie erstarrt, als Françoise plötzlich schallend lachte. Aber es endete genauso abrupt wie es angefangen hatte. Mit verengten Augen stierte sie Diana an, die vor der Rosenholzkommode stand. „Du wirst keinen Ton sagen, hast du mich verstanden?“
„Und ob! Henriette sollte wissen, dass Luc nicht …“
Plötzlich stieß die Großtante einen wütenden Schrei aus und schubste Diana von sich. Mit weit aufgerissenen Augen taumelte sie nach hinten, verlor den Halt und prallte mit der Schläfe gegen die Kante der Kommode, bevor sie auf den Boden stürzte und hart mit dem Kopf auf dem Marmor aufschlug.
Das knacksende Geräusch fuhr Henriette bis ins Mark. „Diana!“, schrie sie auf, hetzte die Treppe hinunter und drängte Françoise zurück. Élisabeth wimmerte leise. Diana lag leblos vor ihnen. Henriette fühlte sich wie gelähmt, als plötzlich die Eingangspforte aufgestoßen wurde.
„Was schreit ihr hier so … Kind, was um alles in der Welt …“, Henriettes Mutter schlug sich die Hand auf den Mund und blickte auf Diana. Dann schaute sie Françoise an. „Was hast du getan?“
„Mach dich nicht lächerlich“, verteidigte sich die Großtante. „Es war ein Unfall. Sie wird schon wieder.“
„Das war kein Unfall!“, widersprach Élisabeth und blickte zur Treppe hoch. „Und Ihr? Was gafft Ihr wie Holzklötze? Macht, dass Ihr verschwindet.“ Die Marquise und Rosalie blickten verstört zu Diana und hatten wenige Sekunden später das Palais verlassen. Die Pforte stand weit offen. Ein kühler Lufthauch wehte herein.
„Wir brauchen einen Arzt.“ Die Mutter blickte sich um. „Wo sind die verdammten Dienstboten?“ Sie beugte sich zu Diana und legte Zeige– und Mittelfinger an ihren Hals. „Ich fühle einen Puls. Aber er ist schwach.“
Henriette zögerte, bevor sie sich zu Diana kniete und ihr über das wächserne Gesicht strich. Aus ihrem Mund floss ein dünnes Rinnsal Blut, an der Schläfe zeigte sich eine tiefe Fleischwunde. „Sie fühlt sich so kalt an.“
„Du meine Güte, Diana!“ Lotti kam aus dem Salon. Wut stieg in Henriette hoch. Die Großmutter musste den Streit gehört haben. Weshalb hatte sie nicht eingegriffen? „Was ist mir ihr?“
„Sie ist gestürzt“, sagte Henriettes Mutter und hielt die flache Hand über Dianas Mund. „Ihr Atem wird schwächer. Élisabeth, lauf zu den Stallungen. Einer der Burschen soll unser bestes Pferd nehmen und sofort nach Chinon reiten, um den Arzt zu holen. Los, lauf! Sonst stirbt sie uns unter den Händen weg.“
„Ich werde nach Chinon reiten!“
Henriette war wie vom Donner gerührt, als sie hochblickte.
Luc stand in Uniform und mit eherner Miene in der offenen Tür. Seine weiße Hose steckte in hohen schwarzen Lederstiefeln, die bis zum Schaft mit Dreck beschmutzt waren. Er trug einen blauen Rock mit rot–weißem Abzeichen. In den sehnigen Händen hielt er eine schwarze Pelzkappe mit weißer Kordel. Ihre Blicke trafen sich. Sekundenlang trat alles andere in den Hintergrund. Henriette spürte nur ihren schnellen Herzschlag. Nie zuvor hatte sie Luc im Ehrenkleid der Nation gesehen. War er ihr deswegen fremd und doch vertraut zugleich?
„Ein Desaster folgt dem nächsten! Was tust du hier?“ Lottis Stimme klang schrill. „Aber wenn du schon helfen willst, schaff einen Arzt herbei und damit ist deine Schuldigkeit getan. Gute Reise, wo auch immer sie dich als nächstes hinführt.“ Die Großmutter eilte in den Salon zurück und ließ die Tür mit lautem Knall hinter sich zufallen. Henriette war entsetzt über Lottis Gehässigkeit, die Mutter blickte Luc entschuldigend an.
„Ich bin bald zurück“, sagte er, legte die Sturmhaube auf die Kommode und hetzte hinaus.
„Für mich gibt es nichts mehr zu tun.“ Françoise ging auf den Salon zu.
„Nein, du hast genug getan“, pflichtete die Mutter ihr mit brüchiger Stimme bei. „Henriette, wir müssen Diana warmhalten. Hol eine Decke.“ Die Salontüre fiel erneut lautstark ins Schloss.
„Dafür ist keine Zeit.“ Mit fiebrigen Fingern öffnete Henriette die Schlaufe ihres Gürtels, zog sich den Morgenmantel aus und breitete ihn über Diana. Élisabeth sank auf die unterste Treppenstufe, als hätte sie keine Kraft mehr. Dann faltete sie ihre Hände und murmelte leise vor sich hin. Aus dem Salon hörte man gedämpften Streit.
„Wir müssen Dianas Wunde reinigen und verbinden. Ich hole Verbandszeug und Wasser.“ Die Mutter richtete sich auf und bat Élisabeth ihr zu helfen. Henriette blieb mit ihrer Verzweiflung allein zurück.
„Hen…riette?“ Dianas Lider flatterten.
Endlich! Sie war aufgewacht. Hoffnung kam in Henriette hoch. Gleichzeitig kämpfte sie gegen ihre Tränen an. „Schsch, keine Sorge, der Arzt ist bald da. Hast du Schmerzen?“
„Nein“, Diana lächelte tapfer, „ich spüre kaum etwas.“
„Du musst kämpfen. Für dich und das Kind. Außerdem brauchen dich Louis und dein Sohn, genau wie ich.“ Sie legte ihre Hand auf Dianas Bauch. Das Kind bewegte sich ohne Unterlass.
„Es ist …“ Dianas Stimme war nicht mehr als ein leiser Hauch. „Ich habe … nicht mehr viel Zeit.“
„Sag das nicht.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Bitte, sag das nicht“, flüsterte Henriette mit erstickter Stimme.
„Mir ist kalt … fürchterlich kalt“, auch Diana weinte und verzog schmerzvoll das Gesicht, „Ich will … Antoine aufwachsen sehen, aber …“, sie hielt sich plötzlich schwerkeuchend an Henriettes Arm fest. „Sag Louis und meinem Sohn, dass ich sie liebe und da ist noch etwas, das du unbedingt wissen …“ Diana stöhnte qualvoll auf. Das Strampeln des Kindes wurde schwächer. Henriette begann zu wimmern und spürte etwas Nasses unter sich. Als sie hinschaute, sah sie Blut, das durch Dianas Kleid sickerte. Sie schluchzte auf, weil die Kindsbewegungen schwächer wurden. Dann verharschten Dianas Züge, als würde sie unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte gegen den Tod ankämpfen … bis der Druck ihrer Hand nachließ, die schließlich auf den Boden sank.
Entsetzt starrte Henriette auf Dianas Brust, die sich nicht mehr hob. Auch ihr Kind bewegte sich nicht mehr. „Nein! Diana, nein!“