Dafür und Dagegen. Eckhard Lange

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Dafür und Dagegen - Eckhard Lange Antike Sagen - für unsere Zeit erzählt

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der Wert des Geldes dahin, Armut und Elend nahmen ringsherum sichtbar zu. Die Last des verlorenen Krieges, die immensen Forderungen der Sieger machten alle Anstrengungen der unterschiedlichen Regierungen zunichte, die Währung stabil zu halten und die Wirtschaft zu fördern. Da war zusätzlicher Verdienst durchaus angebracht und erwünscht, zumal er meist direkt ausgezahlt und so auch rasch wieder ausgegeben werden konnte.

      Seit Herbst des Jahres 1922 war der Verfall der Währung unübersehbar geworden, alle sprachen nun von der drohenden Inflation, und bald stiegen die Beträge in schwindelnde Höhe, die man für das tägliche Brot zu zahlen hatte. Der monatliche Wechsel des Vaters, zwar längst jedes Mal erhöht, war am Ende des Monats nur noch ein Zehntel wert und bald noch weniger. Da wurde jede zusätzliche Zahlung zum Geschenk, das so rasch wie möglich gegen Ware getauscht werden musste. Bald waren diese Einkünfte wichtiger als die Unterstützung aus Platikow, und Ulrich begann, hektisch für möglichst verschiedene Blätter zu schreiben.

      Und nun, teils aus der Not heraus und teils aus lange verdrängter Lust am Experiment, bediente er Zeitungen ganz unterschiedlicher Tendenz mit ebenso unterschiedlichen Berichten über ein und dasselbe Ereignis, getarnt durch mehrere Pseudonyme. Das zahlte sich nicht nur finanziell aus, denn er konnte schließlich nicht mehrere Veranstaltungen gleichzeitig besuchen, wohl aber über dieselbe mehrfach berichten; es wurde auch zu einer zynischen Erfahrung, wie weit er gehen konnte im Verzicht auf jene innere Wahrheit, wie weit er seine Seele verkaufen konnte, ohne dass sein Gewissen ihm Einhalt gebot.

      Der Freund erfuhr von alledem nichts, und manchmal schien es, als würde er auch vor sich selbst dieses Geheimnis hüten, viele Seelen in sich zu tragen, die doch letztlich seelenlos waren. Längst war es wie ein Zwang geworden, diese pure Lust am Formulieren, diese bedenkenlose Bedienung jeglicher Propagandamaschinerie ohne Rücksicht auf Wahrheit, auf die innere Wahrheit.

      Ulrich von Pendragon hatte den Pakt mit dem Teufel geschlossen, und der geforderte Preis war, dass er bald selbst nicht mehr seine eigene Wahrheit kannte, dass er sich zu oft wie jener Dr. Jekyll in Mr. Hide verwandelt hatte beim Verfassen seiner Artikel, um noch jederzeit zurückkehren zu können in das andere Leben. Ja, es geschah immer häufiger, dass er während des Schreibens das, was er gerade zu Papier brachte, selber für wahr hielt.

      Und noch einen anderen Preis hatte er zu zahlen: Reichte es anfangs, dass er ein Pseudonym nutzte, um den wahren Autor zu verbergen und zu schützen, so wurde es zunehmend notwendig, auch sich selbst, sein Aussehen, seine ganze Erscheinung dem jeweiligen Inhalt, und damit auch dem jeweiligen Auftraggeber, anzupassen. Niemand durfte auch nur ahnen, dass er ebenfalls der Konkurrenz zu Diensten war - und es konkurrierten hier ja nicht nur verschiedene Herausgeber, sondern verschiedene Parteien, verschiedene und einander bekämpfende Weltanschauungen. Folglich begann er sich zu verkleiden, bevor er sich auf den Weg zur jeweiligen Redaktion machte, die Pseudonyme verwandelten sich in Pseudo-Existenzen.

      Dabei war er längst nicht mehr nur als Lieferant gelegentlicher Berichte tätig, es erschienen immer häufiger auch längere Artikel, Kommentare, Essays, und irgendwann stieg er auch in die journalistische Elite auf, wurde der Ehre als Leitartikler teilhaftig. Für wen und worüber er auch schrieb, stets wurden sein geschliffener Stil, seine einprägsamen Formulierungen, seine scharfsinnigen Schlussfolgerungen gerühmt, und zunehmend auch sein ätzender Spott, seine Häme gegenüber Andersdenkenden gefürchtet.

      Die Krönung dieses fast schon schizophrenen Handelns war eine wortgewaltige, bissige und hinterhältige direkte Auseinandersetzung zwischen den Leitartiklern des sozialdemokratischen „Vorwärts“ und des neugegründeten Organs eines gewissen Julius Streicher mit Namen „Der Stürmer“, das der damals noch unbedeutenden Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei nahestand.

      Und niemand konnte auch nur ahnen, dass die beiden Kontrahenten in Wahrheit ein und dieselbe Person waren. Dabei hatte Ulrich das Studium der Rechte mehr und mehr vernachlässigt, auch wenn er –vor allem dem Vater gegenüber – an dieser Fakultät festhielt. Ob er allerdings je hier ein Examen ablegen würde, überließ er einer Zukunft, die ihm selbst immer ungewisser erschien. Aber als höheres Semester bei den Juristen konnte er sich unverstellt als Ulrich von Pendragon geben, den Sproß eines pommerschen Adelsgeschlechtes, bodenständig, pflichtbewusst, bescheiden. Und ganz ohne politische Ambitionen. Nur so blieb ihm auch die Freundschaft mit Merlin erhalten, die er einfach brauchte, um irgendwo noch einen Halt zu finden, ein letztes Stück innere Wahrheit.

      DIE GRENZE

       Artur legt den Passierschein sorgfältig gefaltet in seinen Reisepaß. Sein kleiner brauner Lederkoffer ist leicht: Außer den üblichen Reiseutensilien für das Bad hat er nur einige weiße Oberhemden und natürlich den dunklen Anzug hineingelegt. Einziges Gewicht stellen drei Exemplare seines letzten Romans dar, der bislang nur in einem Ostberliner Verlag erschienen ist. Als Autor hat er das Recht, eigene Druckerzeugnisse als persönliche Geschenke in den Westen mitzunehmen. Er legt den Koffer offen auf den Rücksitz, daneben wirft er seinen Trenchcoat. Es ist immer noch regnerisch und schon herbstlich kühl, er würde ihn brauchen, zumal auf dem Friedhof, wenn er die Lederjacke gegen den Sakko tauschen muss. Aber noch weiß er nicht, was ihn dort drüben, in dieser anderen Welt, erwarten würde.

       Den Vater hat er nicht mehr gesehen, seit der nach den Unruhen im Juni 1953 die DDR verlassen hatte. Obwohl er mehrfach auch in Westberlin gewesen war anlässlich von Lesungen oder auch zu Kongressen, nie hatte er den Weg nach Tempelhof gefunden, wo Ulrich von Pendragon ein schmales Stadthaus besitzt. Um genau zu sein: Er hat dieses letzte, aber entscheidende Stück Weg von der Gartenpforte bis zur Haustür nicht gefunden, als er einmal die Straße langsam hinauf und wieder hinunter gefahren war, um wenigstens von außen zu sehen, wo sein Vater lebt. Der Anblick des Hauses, die undurchsichtigen Gardinen vor den Fenstern, der ungepflegte Vorgarten – das alles hatte ihn merkwürdig berührt, hatte für kurze Zeit auch ein Gefühl von Sehnsucht in ihm wachgerufen, aber er war draußen geblieben, aus mancherlei Gründen.

       Er wusste, dass man seitens der Staatssicherheit auch ihn überwachen würde, wenn er in den Westen fuhr, und er wusste auch, dass dort eine Kontaktnahme mit jenem Pendragon wohl kaum auf Verständnis stoßen würde, selbst wenn dieser Republikflüchtling der eigene Vater war. Doch das hätte ihn kaum abgehalten von einem Besuch. Es war dieser unheilbare Bruch zwischen Vater und Sohn, diese unüberwindbare Fremdheit, die ihn an jenem Tag und auch all die Zeit danach draußen bleiben ließ.

       Selbst der Tod der Mutter hatte sie nicht zusammengeführt. Artur war, obschon er von ihrer Krankheit wusste und auch davon, dass sie nur noch wenige Tage zu leben hätte, mit einer Delegation ans Schwarze Meer gereist. Und er war froh, dass er damit eine Ausrede hatte. Das Grab der Mutter hatte er viel später einmal aufgesucht, ohne jedoch Trauer zu empfinden.

       Der Mann mit dem schon etwas schütteren, aber noch durchgehend dunklen Haar, das seine hohe Stirn bereits freigegeben hat, streift sich die Lederhandschuhe über, die er stets beim Autofahren trägt, weil seine Hände rasch feucht werden – eine unangenehme Eigenschaft, die ihn immer wieder unsicher macht, wenn er auf irgendwelchen Empfängen viele Hände schütteln muß. Und er weiß: Er wird auch jetzt wieder schwitzen, wenn er sich den Grenzkontrollen nähert.

       Er versucht, den Gedanken zu verdrängen, während er den Wagen startet. Langsam steuert er auf die Heinrich-Heine-Straße zu, er hat es nicht eilig. Er hat sich drüben ganz in der Nähe des Flughafens ein Hotelzimmer reservieren lassen; auf keinen Fall wird er im Haus des Vaters übernachten. Aber er wird es betreten müssen, endlich einmal hineingehen müssen, er wird herumgehen und sich umschauen, in den Manuskripten des Vaters blättern, und vielleicht wird er auch auf irgendwelche Menschen treffen, die dort mit dem Vater gelebt haben mögen. Auch das weiß er nicht. Was weiß er überhaupt? Die Frage beschäftigt ihn noch, während er den Wagen langsam vor den Grenzanlagen ausrollen lässt, um auf die Weisung des

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