Doppelspitze. Gerhard Weis
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Doppelspitze - Gerhard Weis страница 12
Einen besonders pittoresken Fleck hätten wir dann beinahe übersehen. Ein verwittertes Holzschild machte uns gerade noch rechtzeitig darauf aufmerksam, dass wir unser nächstes Zwischenziel fast schon passiert hatten. Viel hätte nicht gefehlt, und wir wären vorbeigelaufen. Auf den ersten Blick konnte man nicht annehmen, dass diese schlichte Hütte bewirtet wurde. Die Ranhartalm verfügte über keinen Strom und lag abseits ausgetretener Pfade. Die Ruhe dort war überwältigend. Klaus Ernst, ehemaliger Vorsitzender der Partei Die Linke, wird es nicht anders empfunden haben. Als Porschefahrer war er für einen vergleichsweise aufwendigen Lebensstil bekannt, als er bei einer Einkommensvergleiche in die öffentliche Kritik geriet. Im Sommer 2010 gab er dem ZDF auf der Ranhartalm ein Interview. Man vermutete, dass er auf dieses Schmuckstück der Genügsamkeit zurückgriff, um einen bescheidenen Lebenswandel vorzutäuschen. Hatte er doch seit Jahren in der Nachbarschaft eine zweistöckige Almhütte als Urlaubsdomizil gepachtet.
Was auch immer der Grund dafür gewesen sein mag: die traumhaft schöne Natur, das Fernbleiben der Fraktion Ernst & Lafontaine oder einfach nur die ohrenbetäubende Stille an diesem malerischen Flecken Erde. Ich beging jetzt einen folgenschweren Fehler. Mich im Paradies wähnend, nahm ich mich selbst von der Leine. Mit zwei Flaschen Bier spülte ich meine ursprüngliche Absicht die Kehle runter. Eigentlich wollte ich tagsüber keinen Schluck Alkohol trinken und abends nur in homöopathischen Dosen. Das wäre in Anbetracht meiner jüngsten Erfahrungen auch vernünftig gewesen. Von der Ranhartalm machten wir uns nur ungern wieder auf. Der Abstieg bot uns dann noch einmal die Gelegenheit zur Einkehr. Die nutzten wir weidlich. Meine guten Vorsätze sind spätestens hier ertrunken. Ich fühlte mich großartig und dachte nicht im Traum daran, dass sich der Zauber dieses herrlichen Tages schon bald als trügerisch erweisen sollte.
Am nächsten Morgen kam, was kommen musste. Was sich in meinem Innern rücksichtslos Bahn brach, war von einer äußerst feindseligen Beschaffenheit. Der 1. Juni 2002 wurde für mich zum Alptraum. Die vielen Bierchen, das üppige Abendessen, der enge Tanz mit Bodo zu den Klängen einer heimischen Combo, die anstrengenden Liegestütze auf der vollbesetzten Terrasse eben dieses Lokals, die diversen Cocktails mit einer Gruppe adretter Ellmauerinnen … und, und, und. Mein Übermut wurde hart bestraft. Der Hämorrhoidenpatient Giselher Finger hätte wissen müssen, dass die von seinem Verdauungstrakt abzuarbeitende Mischung hochexplosive Probleme für seinen Canalis analis mit sich bringen würde. Wäre ich doch nur meiner anfangs eingeschlagenen Linie treu geblieben! Dann hätte ich an diesem sonnigen Samstagvormittag womöglich mit meinen Freunden quietschfidel durch die Gegend latschen können. Aber ich wäre nicht Giselher Finger, hätte mein Urteilsvermögen über die Pläsier des Augenblicks obsiegt.
So lag ich nun wie ein Häufchen Elend im Bett, wenn ich mich nicht gerade auf einem noch stilleren Örtchen herumdrückte. Als um 12.30 Uhr im Sapporo Dome das Spiel unserer Nationalelf gegen Saudi-Arabien angepfiffen wurde, litt ich Höllenqualen und wäre von hinten betrachtet als Backentaschenaffe durchgegangen. Bernd Pavian wäre beim Anblick meiner rosigen Schwellung vor Neid erblasst. Erst in der Halbzeitpause war ich in der Lage, mich aufzurappeln und meinen geschundenen Arsch mühsam zu meinen Freunden zu schleppen. Die warteten schon ungeduldig in einer Kneipe mit Großbildschirm auf ihren wie Hiob sanktionierten Trainer. Die Guten hatten extra meinetwegen eine Programmänderung vorgenommen und diesen Treffpunkt mit mir vereinbart. Heiner, Bodo, Hoss und Ronny waren eben nicht nur ziemlich beste Freunde.
»Leck mich am Arsch, siehst du scheiße aus!«
»Danke für das Kompliment, Heiner.«
»Kellner!«
»Komme sofort!« …
»Soooo … bitteschööön … eine große Apfelschorle und ein Paar Wienerle mit Brot. Lass es dir schmecken, Ärmster!«
Ich verschlang in Zeitlupe, was mir der nette Kneipenwirt in Windeseile servierte. Er war informiert, welche Art Patient gleich auftauchen würde. Die Mahlzeit gab mir einigermaßen Kraft. Trotz des 8:0 Kantersiegs, Klose erzielte drei Tore, war mir nicht zum Feiern zumute. Mir zuliebe machten die Saardéros an diesem Nachmittag einen auf Flachlandtiroler. Statt in die Wand, gings nach dem Spiel Richtung Golfplatz. Was Hoss nicht ganz ungelegen kam.
Golf war total en vogue. Auch wenn der typische Golfer eher nicht im Golf zum Golfen fuhr. Außer vielleicht die ein oder andere Weibsperson mit einem GTI oder Cabriolet. Während das Leimener Bobbele zum Roten Baron aufgestiegen war, hatte der Golf- den Tennisschläger bei der Hautevolee abgelöst. Aber nicht nur die Großkopferten, auch Moritz Möchtegern wollte wie die feinen Pinkel fein pinkeln. Die sanitären Einrichtungen einer Golfanlage waren nicht mit denen des Turn- und Sportvereins Hintertupfingen zu vergleichen. Nach dem Geschäft regelten im Clubhaus Lichtschranken die nötigen Prozesse der Hygiene. Da machte sich keiner mehr die Hände an siffigen Armaturen schmutzig. Gleichermaßen dachte auch Gerda Gernegroß. Als Dame von Welt griff sie neuerdings zu Eisen 4, statt wie bislang zum faserverstärkten Kunststoff-Racket. Tennis war nur noch bedingt prestigeträchtig. Wer besonders dick auftragen wollte, hatte seinen Caddy dabei. Ein Butler aus Fleisch und Blut. Kein billiges Mamamobil, welches die Mutti lahmarschig hinter sich herzog. Beim Tennis machte der Einsatz eines Caddys keinen Sinn. Es hätte nichts gebracht, seinem Büttel den Schläger zwischendurch in die Hand zu drücken. Der gelbe Tennisball wurde vom Gegner einfach zu schnell retourniert. Selbst bei einem extrem hohen Lob. Und nur für den Seitenwechsel jemanden zu engagieren, hätte sich kaum rentiert. Für Gerda Gernegroß kam ohnehin höchstens ein Trolley in Frage. Aber in der Regel trug Gerda ihre Ausrüstung tapfer selbst. Auf dem Buckel, wie ein schneidiges Mannsbild. Ich wurde in Ausübung meiner beruflichen Pflichten schon häufiger von der ein oder anderen Golfgranate über die unglaubliche Härte ihres Sports aufgeklärt. Im Vergleich zu deren Strapazen war eine schweißtreibende Spinningstunde, das tonnenweise Stemmen von Gewichten oder ein Halbmarathon bestenfalls ein Aufwärmtraining. Dass die Damen recht hatten, erfuhr ich auf eben diesem Grün. Dort war ich schon nach wenigen Minuten hart am Limit. Wenn ich damals gewusst hätte, dass ich schon bald Chipper und Putter zeitgleich ins Spiel würde bringen können, hätte ich vielleicht durchgehalten und noch fester auf die Zähne gebissen. So aber war die Belastung zu groß für mich. Mein Allerwertester flehte nach einer Pause. Also marschierten meine Kumpels ohne mich weiter. Ich zog es vor, Richtung Pension zu watscheln.
»Arsch huh, Zäng ussenander, jetz, nit nähxte Woch!« Hoss' scharfe Ansprache half. Er wusste, dass er seinen BAP affinen Zimmerkollegen damit bei der Ehre packte. Drei Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer hatten sich auf dem Kölner Chlodwigplatz etwa einhunderttausend Menschen versammelt, um friedlich mit einem von der Kölner Musikszene initiierten Konzert gegen Rassismus und Neonazis in Deutschland zu demonstrieren. Wolfgang Niedecken schrieb den Text für den von Nick Nikitakis komponierten Titelsong der Veranstaltung. Die hatte sich bei ihrer Wiederauflage an der Deutzer Werft, zwanzig Jahre später, das Thema Soziale Gerechtigkeit auf ihre Fahnen geschrieben. »Wenn mir dä Arsch nit huhkrieje, ess et eines Daachs zo spät!«, so das Motto. Was hatte ich mich im August 1992 für das Verhalten meiner Landsleute geschämt. Während eines Italienurlaubs wurde ich an einem öffentlich aufgestellten Fernseher Zeuge des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen. »Wenn mir dä Arsch nit huhkrieje, ess et eines Daachs zo spät!«, pflegte auch ich bei passender Gelegenheit zu