wie Hulle. Peter Baldinger

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу wie Hulle - Peter Baldinger страница 20

Автор:
Серия:
Издательство:
wie Hulle - Peter Baldinger

Скачать книгу

lief über die Ampel, die noch rot war. Ein Auto kam und weil ich nicht aufgepasst hatte, musste der Fahrer volle Kanüle auf die Bremse treten. Es hielt direkt vor meinem Knie an, ich machte einen weiteren Schritt und war gerade an dem Auto vorbei, als ein anderer Wagen von hinten reinkrachte, so dass der Wagen der gebremst hatte, einen Satz nach vorne machte. Er streifte mich sogar noch, aber es war nichts passiert. Das heißt doch, denn total im Schock rannte ich wie besemmelt los. Hinter mir wurde geschrien, aber ich rannte immer schneller, bis ich meinen schmerzenden Körper gegen eine Häuserwand brettern ließ.

      Am nächsten Tag rief gleich nach der Schule Tobias an und fragte, ob ich einen Schlafplatz für Bernard wüsste.

      Mutterns elender Sekretärinnenjob erlaubte ihr in ihrer Mittagspause nach Hause zu kommen. Also fragte ich sie beim Mittagessen (Leber, noch leicht blutig, mit Kartoffelmus aus der Tüte und fast schwarz gebratenen Zwiebeln), ob Bernard für ein paar Nächte bei uns schlafen könne. Sie war einverstanden.

      Am Nachmittag brachte Tobias ihn vorbei und düste gleich wieder los.

      Bernard packte eine Flasche Ouzo aus. Seine zittrigen Hände hatten Probleme den Deckel aufzudrehen.

      Wir nippten die ganze Flasche nieder - mit Eiswürfeln aus kleinen Gläschen. Bei jedem Nachschenken klingelten Bernards 40 Silberarmreifen.

      Leise fast flüsternd erzählte er ein bisschen über sich, dass er aus Claustal Zellerfeld komme und mit 13 zu Hause rausgeflogen sei, dass er seitdem rumziehe und noch anderes Tränendrüsenzeugs. Dabei nagelte er mich mit seinen winzigen Pupillen so fest, dass mir keine andere Wahl blieb, als zuzuhören.

      Als abends Muttern von der Maloche kam, stellte sich Bernard ihr gleich an der Tür vor:

      „Ich heiße Bernard“, hauchte er mit seiner unwiderstehlichen, sanften Stimme und schüttelte ihr vorbildlich die Hand. Muttern war begeistert.

      Am nächsten Tag schleppte ich ihn mit in die Schule (seine Idee). In der ersten Stunde hatte ich Schmetter. Das war spaßig, weil Schmetter nicht verstand, was dieser schräge Typ in bestickter Hippiebluse in seinem Unterricht wollte. Außerdem konnte er ihn überhaupt nicht ausstehen, vielleicht noch weniger als mich. Er fragte ihn etwas über Mozarts Zauberflöte. Bernard flüsterte eine patzige Antwort, die Schmetter zum Glück akustisch nicht richtig mitkriegte.

      In der Pause zischte Bernard los, weil er auf Penne doch keinen Bock hatte.

      Um zwei Uhr nachts klopfte es an unserer Haustür. Es war Bernard - total zugedröhnt. Wortlos sackte er immer wieder in sich zusammen. Ich kriegte ihn irgendwie in mein Zimmer, ohne das Muttern aufwachte.

      „Alles klar? Was ist denn mit dir los?“ fragte ich ihn. Er holte kleine Glasampullen aus seiner Jacke und ließ sie auf den Teppich fallen.

      „Morphium. Hab‘ ich im ... Krankenhaus geklaut“, sagte er. Die Augen drehten sich nach oben. „War nicht einfach ...“, ergänzte er Minuten später. Ich ließ ihn auf den Matratzen liegen und deckte ihn mit einer Decke zu.

      Noch bevor die Sonne aufging, schlich er sich wieder raus.

      Erst zwei Nächte später tauchte er wieder auf - wieder völlig zugefixt. Und am Morgen war er wieder verschwunden.

      Das wiederholte sich eine Weile, bis ich zu ihm sagte: „Es tut mir echt leid, aber ich denke, du musst dir was anderes zum Pofen suchen. Muttern ist echt genervt.“ Das stimmte zwar gar nicht, aber ich hatte keine Lust in harte Drogensülze verwickelt zu werden.

      „Kein Problem“, flüsterte er, „ich hab‘ eine Wohnung in Aussicht. Übrigens gleich hier in der Rimsockstraße“, antwortete er.

      Ungläubig nickte ich.

      An einem Nachmittag, ich hatte, wie fast jeden Nachmittag, autistisch mit einer Feder schwarze Tuschelinien auf Papier gekritzelt und die Felder mit Buntstift gefüllt und dann das ‚fertige Bild‘ mit Stecknadeln an die Raufasertapete gepinnt, holte er seine Reisetasche ab.

      „Übriges: Vielen Dank für alles. Wirklich, meine ich ernst“, hauchte er, „ich wohne jetzt Rimsockstraße 16. Komm doch mal rum.“

      Machte ich. Nummer 16 war das vorletzte Haus, gleich neben der katholischen Mädchenschule, die mit Morgengottesdienst und solchen Schikanen auffiel.

      Schon im Hausflur roch es intensiv nach Haschisch. Bernard wohnte im ersten Stock. Im Korridor sprang mich ein junger Schäferhund an. Der Haschischgeruch in der Wohnung war überwältigend.

      „Du hast jetzt einen Hund?“ fragte ich.

      „Ja, immer wenn ich mir zu viel drücke und auf der Straße zusammenbreche, bewacht er mich, bis ich wieder zu mir komme.“

      „Das ist ja Wahnsinn“, sagte ich und versuchte mir vorzustellen, wie Bernard stundenlang in der erzkonservativen Südstadt auf der Straße herumlag. Gelang absolut nicht.

      Er führte mich rum. Eine kleine Einzimmerwohnung, hell und freundlich. Bis auf eine alte Matratze und eine alte Teekiste aus Holz, die der Tisch war, war sie unmöbliert. An einer Wand waren einen Meter hoch in Leinen eingepackte Platten mit Haschisch gestapelt. Es mussten Hunderte sein. Ich nahm eine hoch. Sie war klebrig vom durchquellenden Haschharz und wog ein Kilo, das stand jedenfalls drauf.

      „Aus Afghanistan“, flüsterte Bernard. Aber er flüsterte ja immer.

      Er baute einen stolzen Joint und wir rauchten ihn. Lange lagen wir so rum, bis wir wieder sprechen konnten.

      „Wenn du was von dem Zeug willst“, sagte er, „bedien' dich. Was auf dem Boden liegt, kannst du mitnehmen. Komm so oft du willst einsammeln.“

      Tatsächlich lagen auf dem grauen Teppichboden vom Zerbrechen der Platten jede Menge Dopestückchen herum.

      Ich besuchte ihn jede Woche. Wir redeten, rauchten was und ich steckte was ein.

      Trotz ihres neuen Freundes Bimmi war ich über die Schmerzgrenze hinaus in Stella verliebt. Es war wie ein Brandmal im Gehirn. Ich spielte Millionen Varianten durch, wie ich sie (zurück-) erobern konnte. Wenn ich mit ihr sprach, schüttelte es mich vor lauter Sehnsucht. Von all dem sagte ich ihr aber lieber nichts. ‚Stella‘ war nun ein ‚Projekt‘ - eine lang angelegte Geschichte, die sich vielleicht erst nach Jahren oder Jahrzehnten zum Glücklichen wenden könnte.

      Mein erster Schritt war, Eifersucht hin oder her, Bimmi genauer kennenzulernen. Als er letztens Stella von der Schule abgeholt hatte, war mir so elend gewesen, dass ich kaum ein ‚Hallo‘ rausgekriegt hatte. Doch, dachte ich, wenn ich seine Stärken und Schwächen studierte, könnte ich ihn vielleicht leichter ausbooten. Dazu trampten Tobias und ich nach Berlin und besuchten ihn.

      Zur Begrüßung umarmte er uns herzlich. Es gab zu kiffen und Bier. Hinterher fetzten wir zu einer Fete in einem Jugendzentrum am Schlachtensee. Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen. Die letzten roten Blätter fielen von den Bäumen. Der See glitzerte algengrün. Bimmi hatte einen ollen, beigen Lodenmantel und Botten ohne Schnürsenkel an. Er hatte die Hände tief in die Manteltaschen gesteckt und seine langen strähnigen Haare fielen ihm bei jedem Schritt ins Gesicht.

      Die Wände des Jugendzentrums waren mit bunten Drachen, Hexen und Anarchiezeichen bemalt. Eine gute Hippieband spielte. Bimmi stellte uns einigen Leuten vor, die sofort mit uns nett quasselten. Wir flirteten mit wirklich duften

Скачать книгу