Neues Leben für Stephanie. Lisa Holtzheimer
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Stephanie wollte aber vermeiden, dass die Stationsschwester davon hörte, und weder sie noch Michael oder Britta legten Wert auf sich schnell verselbständigende Gerüchte. Doch manchmal in der Mittagspause oder in den Nachmittagsstunden, wenn es ruhig war auf der Station, blieb sie ein wenig länger in Zimmer 23, und mit der Zeit lernten sie sich besser kennen. Stephanie wusste jetzt, welchen Beruf Michael ausübte, dass er einen jüngeren Bruder hatte, der in den Ostertagen Geburtstag feiern würde. Michael hoffte, schon dabei sein zu können.
Jetzt war Ostern. Genau gesagt war heute Gründonnerstag, und Ostern war erst in drei Tagen. Diese Unterscheidung hatte sie nie so genau genommen. Ostern, das waren vier zusammenhängende freie Tage, wenn man Glück hatte in ihrem Beruf. Ihre Hauskreisfreunde hatten sie allerdings darüber aufgeklärt, dass die Bedeutung vom Karfreitag und Ostern recht unterschiedlich war – erst sei Jesus gestorben und dann, eben Ostersonntag, wieder aufgestanden oder so ähnlich. Sie hatte nicht viel dazu gesagt. Sie war der Meinung, dass jeder nach seiner Fasson selig werden solle, und wenn sie das so glaubten, dann wäre sie die Letzte, die es ihnen absprechen würde. Sie konnte sich vielleicht gerade noch vorstellen, dass dieser Jesus irgendwann gestorben war, von ihr aus auch an ein Kreuz genagelt wurde. Das war früher in manchen Gegenden durchaus üblich gewesen. Aber tot ist tot. Wahrscheinlich hatten ein paar übereifrige Anhänger von ihm einfach nicht akzeptieren wollen oder können, dass ihr Führer plötzlich verschwunden war, mausetot. Und dann würde wohl jemand die Idee gehabt haben zu erzählen, er sei wieder lebendig geworden. Gerüchte hielten sich schon immer hartnäckig, bestimmt auch schon damals. Max war weise genug, das Gespräch rechtzeitig in eine andere Richtung zu lenken, so dass niemand unbewusst in gut gemeintem Evangelisations-Eifer die junge Frau verletzen oder verschrecken konnte.
Ob Michael das auch so sah, die Sache mit der Auferstehung? Er las ja auch in der Bibel, und mit den Leuten aus dem Hauskreis hatte er sich auffallend gut verstanden. Sie hatten nie über diese Dinge gesprochen. Stephanie hatte sich nicht getraut, das Thema anzuschneiden, aus Angst, sich restlos vor ihm zu blamieren. Über Ostern und Karfreitag hatten sie im Hauskreis auch erst beim letzten Mal gesprochen, da war Michael schon weg. Sie hatte die leise Vermutung, dass er wahrscheinlich auch das dachte, was Britta und die anderen vertraten. „Ist doch sowieso egal“, versuchte sie, die Gedanken wegzuwischen. „Er ist weg, ich werde ihn nie wieder sehen. Und das ist auch gut so!“ Das redete sie sich immer wieder ein, aber so ganz gelang es ihr nicht. Sie wollte ihn vergessen, sie sah keinerlei Hoffnung auf eine Vertiefung der Freundschaft, und sie hatte herzlich wenig Lust, sich unglücklich zu verlieben. Noch wollte sie sich nicht eingestehen, dass das eigentlich längst passiert war.
Eine Stimme aus dem Lautsprecher holte sie in die Wirklichkeit zurück. „Meine sehr verehrten Damen und Herren, in wenigen Minuten landen wir in Hamburg-Fuhlsbüttel. Bitte legen Sie Ihre Sicherheitsgurte an und stellen Ihre Rückenlehnen gerade.“ Hamburg. Irgendwo da unten stand jetzt Jana und wartete auf sie. Rollentausch. Sie musste lachen. Dass sie einmal als Urlauber auf dem vertrauten Flughafen landen würde, hätte sie sich vor weniger als einem Jahr auch nicht träumen lassen. Sie drückte die Nase wieder ans Fenster. Da unten war die Elbe, und langsam wurden Einzelheiten erkennbar. Der Michel. Der Fernsehturm. Die Alster. Jetzt erkannte sie den Ohlsdorfer Friedhof, und im nächsten Moment setzte die Maschine auf. Sie war zu Hause.
Eine halbe Stunde später lagen sich die Freundinnen wieder in den Armen. Jana hatte hoch und heilig versprechen müssen, dass sie niemandem von dem Besuch erzählte. Stephanie wollte in erster Linie vermeiden, dass Carsten es auf irgendeine Weise erfuhr. Die wenigen Tage, die sie für den ersten Besuch in der alten Heimat hatte, wollte sie nicht mit Diskussionen mit ihrem Ex–Freund verbringen und unnötige Wunden aufreißen. „Und? Wohin gehen wir jetzt?“ wollte Jana wissen. „Nach Hause!“ stöhnte Stephanie. Sie war seit fünf Uhr auf den Beinen, hatte sich nach dem Frühdienst zu Hause nur schnell ihre Tasche geschnappt und war mit dem Bus nach Salzburg gefahren. Nach dreimaligem Umsteigen war sie am Flughafen angekommen, hatte dort noch die übliche Wartezeit hinter sich gebracht und war nun hundemüde. Sie wollte nur noch die Füße hochlegen, ein Bier trinken und die Augen zumachen.
„Morgen können wir alles machen, was du willst“, versprach sie, „aber heute ist Sense. Ich kann nicht mehr.“ Jana verstand das. Sie kannte den anstrengenden Beruf der Freundin von Anfang an, und die Reise von Salzburg nach Hamburg hatte sie kürzlich selber erst gemacht. „Aber die Bahn muss ich dir noch zumuten“, Jana zog Stephanie in Richtung S-Bahn–Station. „Mein Auto wird gerade operiert.“ Steph verdrehte die Augen. Noch dreimal umsteigen. In dem unterirdischen Bahnhof bemerkte sie zum ersten Mal in ihrem Leben den diesen Tunneln ganz eigenen Geruch. Das war ihr früher nie aufgefallen. Es hatte etwas fürchterlich Vertrautes. Komisches Gefühl nur, dass sie auf dem Weg nach Hause in die ‘falsche’ Bahn–Linie stieg. Auf nach St. Pauli.
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