Eine ungeheure Wut. Elena Landauer
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„Ich habe auch eine Karte“, sagte er.
„Dann könnten wir ja auch zusammen fahren“, schlug ich vor.
„Gerne“, sagte er.
Kaum war ich nach dem Konzert wieder zu Hause, rief Lea an:
„Ich glaube, ich sollte auch mal mit meinem Auto auf die Jagd gehen“, sagte sie, „vielleicht erledige ich dann auch so einen kapitalen Hirsch.“
Wir waren nach dem Konzert noch für eine Stunde in ein Cafe´ gegangen, Leas Neugier auf meinen Begleiter wollte befriedigt werden.
„Ich kann nicht dafür garantieren, dass du dann nicht einen Hornochsen abschießt“, sagte ich.
„Der redet nicht so viel wie Thomas“, stellte Lea fest, „er wird dich nicht dauernd analysieren.“
Ich hatte mich vor einem halben Jahr von Thomas, einem Kollegen, mit dem ich fünf Jahre zusammen war, nach einigen heftigen Streitereien getrennt. Thomas hatte die üble Angewohnheit, mir immer wieder zu sagen, warum ich etwas tat oder sagte. So etwas ist der Tod jeder Beziehung. Das permanente Analysieren des Partners ist widerlich, besonders widerlich ist es, wenn es von einem Therapeuten mit dem entsprechenden Fachvokabular kommt. Unter Therapeuten sollte das tabu sein, aber Thomas tat das mit Leidenschaft. Man möchte doch eigentlich nicht verstanden werden, jedenfalls nicht total. Irgendetwas Geheimnisvolles möchte man doch noch an sich haben. Da war Julian ganz anders. Julian lieferte keine Analysen, er fragte mir nur Löcher in den Bauch, was entschieden angenehmer ist als seziert zu werden.
Wir trafen uns nun öfter. Wir gingen zusammen ins Kino, ins Theater, in Konzerte, joggten am Sonntagmorgen zusammen und spielten auch gelegentlich Tennis miteinander, nachdem wir entdeckt hatten, dass wir im selben Tennisklub waren. Beim Tennis war es allerdings wie beim Joggen. Julian war um Klassen besser, aber er spielte mir den Ball so nett zu, dass dabei längere Ballwechsel zustande kamen und ich ganz gut aussah.
Ella, mit der ich meist spielte, hatte von irgendwo her Informationen über Julian und wusste, dass er einige Jahre in Peru gearbeitet hatte. Für mich war das neu, weil er so gut wie nie etwas über sich preisgab. Als ich Julian auf seine frühere Tätigkeit ansprach, erzählte er, dass er fünf Jahre in Lima für eine süddeutsche Firma tätig gewesen war. Die Firma hatte dort ein Werk für Lastkraftwagen aufgebaut, kleine, robuste Lastkraftwagen, die auf den meist sehr schlechten Straßen zurechtkamen und den Bauern dazu dienten, ihre Waren in die Stadt zu bringen, aber auch als Transportmittel für Arbeitskräfte dienten. Zehn bis zwanzig Leute saßen dann oft auf der Ladefläche eng zusammengedrängt und ließen sich mit gleichmütigem Gesicht über die holprigen Straßen kutschieren. Das war so ungefähr alles, was Julian von sich aus erzählte. Ich wollte aber mehr wissen, über die Lebensweise der Menschen dort, das Klima und die touristischen Sehenswürdigkeiten. Ich musste aber nach allem fragen, um ihn zum Erzählen zu bringen. Ja, sagte er, er sei in Machu pichu gewesen, ja, er sei beeindruckt gewesen, und die Temperaturen in Lima seien trotz der Nähe zum Äquator eigentlich gut auszuhalten. „Prima Klima in Lima“, scherzte er. Der kalte Humboldtstrom vor der Küste sorge dafür, dass die Temperaturen meist zwischen zwanzig und dreißig Grad schwankten. Im Winter liege zwar oft ein dichter Nebel über der Stadt, aber im Sommer sei es sehr sonnig. Ein wenig erzählte Julian auch von der Schönheit der Stadt, ihren Bauten aus der Zeit der spanischen Besatzung, und von den unterschiedlichen Volksgruppen, denen man dort begegne, den indogenen Völkern, den Nachkommen der Spanier, den asiatischen Zuwanderern und den Geschäftsleuten aus aller Herren Ländern, die dort ihre Spuren hinterließen. Die sehr unterschiedlichen Lebensweisen und Einkommensverhältnisse ergäben zwar ein pittoreskes Bild, die soziale Ungleichheit sei aber eigentlich unerträglich. Ein Großteil der Bevölkerung könne kaum überleben. Am Rande der Stadt entstünden immer neue Elendsviertel ohne Strom und fließendes Wasser. Er selbst habe natürlich in einem neu errichteten Viertel gewohnt, das die internationalen Firmen für ihre Mitarbeiter requiriert hätten und das durch Zäune und Wachpersonal vor den Armen geschützt gewesen sei. Julians Antworten fehlte alles Persönliche. Es war, als würde ich einem Referat über Lateinamerika zuhören.
Bei Auskünften über seine Ehe war Julian noch zurückhaltender. Er sei achtzehn Jahre verheiratet gewesen. Man habe sich aber auseinandergelebt. Ich gab mich mit dieser knappen Antwort zufrieden, obwohl ich natürlich gerne mehr erfahren hätte; aber offenbar wollte er nicht mehr sagen.
Irgendwann lud ich Julian zu mir ein, weil ich vergeblich darauf wartete, dass er die Initiative ergriff. Ich habe meinen Schreibtisch im Wohnzimmer stehen, weil ich eine Drei-Zimmer-Wohnung habe mit einem Schafzimmer für mich und einem für Judith, meine Tochter. Julian sprach mich gleich auf das Foto an, das auf dem Schreibtisch stand:
„Ist das deine Tochter?“
„Ja, das ist Judith.“
„Ein schönes Mädchen mit einem fröhlichen Lachen im Gesicht.“
„Ja, sie ist ein sehr fröhliches Mädchen, voller Unternehmungslust.“
„Ich habe mich mal im Internet über Columbus informiert“, sagte Julian zögerlich.
„Warum?“
„Nun ja, nachdem du mir erzählt hast, dass sie dort ihr Auslandsschuljahr macht, wollte ich doch einmal wissen, wie es da so aussieht.“
Obwohl Julian sich schon mehrfach erkundigt hatte, wie es meiner Tochter in Amerika ging, war ich doch erstaunt, dass sein Interesse so weit ging, dass er sich mit ihrem Aufenthaltsort befasst hatte.
„Und was hast du herausgefunden?“, fragte ich.
„Ich wusste gar nicht, dass Columbus eine so große Stadt ist“, sagte er. „Sie hat über 700.000 Einwohner.“
„Aha“, sagte ich nur. Mir war das auch neu, ich sagte aber nicht mehr, weil ich darüber nachdachte, warum Julian die Stadt so sehr beschäftigte.
„Fünfundzwanzig Prozent sind Afroamerikaner“, fuhr Julian fort. „Das hat mich auch überrascht. Ich hatte mir gedacht, die Schwarzen leben im Süden, wo ihre Vorfahren auf den Baumwollfeldern arbeiten mussten, oder in Detroit wegen der Autoindustrie, oder in New York, aber nicht in einer so ländlichen Gegend, wo die Farmer mit ihren riesigen Mähdreschern über die Felder fahren.“
„Hast du was gegen Schwarze?“, fragte ich verwirrt, weil ich nicht wusste, wie ich seine Informationen deuten sollte.
„Nein, nein,“ versicherte er, „aber über zehn Prozent der Bevölkerung von Columbus leben unter der Armutsgrenze, und das sind überwiegend Schwarze.“
„Traurig genug“, konstatierte ich, „aber warum erzählst du mir das?“
„Ich meine damit nur, dass Columbus doch nicht so ungefährlich ist, wie ich angenommen habe.“
„Willst du mir Angst machen?“, fragte ich.
„Entschuldige! Nein, das wollte ich nicht. Ich habe mir nur so meine Gedanken gemacht.“
„Solche Gedanken macht