Eine ungeheure Wut. Elena Landauer

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Eine ungeheure Wut - Elena Landauer

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dem Rücken. Er war aber so gut wie der erste Verwandte Julians, von dem ich erfuhr.

      „Was ist denn das da an der Tür?“, fragte ich.

      „Der Monitor? Der gehört zu der Kamera, die den Eingangsbereich überwacht.“

      Vielleicht entglitt mir in diesem Moment ein Hmm, so ein Hmm, das oben in der Tonskala anfängt und dann noch etwas weiter nach oben geht. Jedenfalls fuhr er fort: „Du wunderst dich vielleicht darüber, dass ich so etwas in dieser friedlichen Gegend brauche. Meine Frau wollte so etwas haben. Sie war ein wenig ängstlich.“

      „Daher auch der Zaun und der Wachhund?“

      „Was soll ich machen? Ich kann den Zaun vorläufig nicht abbauen, weil der Hund Auslauf braucht, und ich will ihn nicht in ein Tierheim geben.“

      „Dein Haus hat im Dorf einen Spitznamen“, sagte ich, „Fort Knox.“

      „Nicht schlecht“, meinte er, „aber Gold ist hier nicht zu holen.“

      Sein lockerer Ton ermunterte mich, ihn ein wenig auszufragen. „Gab es einen besonderen Grund, warum deine Frau so ängstlich war?“

      „Sie ist einmal überfallen worden.“

      „Wo?“

      „In unserem Haus in Lima.“

      „Ist ihr etwas passiert?“

      Julian zögerte einen Moment. „Man hat sie in den Keller gesperrt und sie musste warten, bis einer, ich meine ich, nach Hause kam. Die Einbrecher haben mitgenommen, was sie gebrauchen konnten.“

      Ein etwas peinliches Erlebnis einige Monate später ließ mich daran zweifeln, dass es nur seine Frau war, die von diesem Einbruch mitgenommen war. Es war im späten Herbst. Wir saßen wieder einmal bei ihm im Wohnzimmer, draußen tobte ein wilder Sturm, begleitet von Blitz und Donner, als plötzlich die Terrassentür erzitterte. Theo, der nachts und bei schlechtem Wetter im Haus war, sprang auf und bellte die Tür an. Julian schob mich vom Sofa und rief „Hinlegen!“ Er selbst robbte zum Lichtschalter und machte dunkel. Dann versteckte er sich hinter dem Sofa, was ich mehr hörte als sah. Ich kroch zu ihm hin und schaute dann an der einen Seite des Sofas in Richtung Terrasse, genau so wie der Hund, der immer noch bellte. Im Schein eines Blitzes erkannte ich aber, dass niemand die Glastür aufhebeln wollte, sondern dass ein großer Ast auf die Terrasse gekracht und gegen die Tür gefallen war. Julian musste es auch gesehen haben; denn er stand auf und sagte „Fehlalarm“. In der Hand hielt er eine Pistole.

      Immer wenn ich mit ihm verabredet war, empfing er mich an der Haustür. Eines Nachmittags, als ich vom Einkaufen nach Hause ging und gerade an seinem Haus vorbei kam, fiel mir ein, dass ich ihn noch fragen musste, wann wir uns zum Tennis treffen wollten. Sein Auto stand schon vor der Tür. Also klingelte ich bei ihm, statt ihn von zu Hause aus anzurufen. Julian ließ mich warten, dann rief er vom Wohnzimmer aus: „Einen Moment noch.“ Es war ein recht langer Moment. Nun gibt es sicher viele Gründe, weshalb jemand einen unerwarteten Besucher nicht jederzeit sofort ins Haus lassen kann. Ich war aber sicher, dass er irgendetwas vor mir verbergen musste, vor allem die Bilder über dem Klavier. Als er mich dann an der Haustür abholte, zeigte er sich erfreut über den spontanen Besuch und liebenswürdig wie immer. Wir tranken auch noch einen Kaffee zusammen, wobei wir allerdings vom Läuten des Telefons gestört wurden. Er ließ es nicht lange läuten, sondern nahm gleich ab. „Jetzt nicht“, sagte er, „ich rufe dich nachher an.“ So etwas erlebt man ja öfter und es ist ja eigentlich ein Gebot der Höflichkeit, kein Telefongespräch in Anwesenheit eines Gastes zu führen; aber die eindringliche Art, in der er das Gespräch abwürgte, machte den Eindruck, als dürfe auf keinen Fall ein verräterisches Wort laut werden. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich annehmen müssen, dass er eine heimliche Geliebte hatte; aber mir war klar, dass es nur seine geschiedene Frau sein konnte. Er entschuldigte sich kurz wegen der Störung, machte aber keine Anstalten, mich aufzuklären. Ich ließ ihm sein Geheimnis. Ich wollte nicht seine Therapeutin werden, sondern seine Freundin bleiben.

      Selbstaufopferung

      Im Frühsommer machten wir einen Spaziergang in der Holsteinischen Schweiz. Wir gingen gerade an einem der vielen Seen entlang, als eine Entenmutter mit ihren Küken im Schlepptau den Wanderweg überquerte. Plötzlich schoss ein laut kläffender kleiner Hund aus dem Wald und raste auf die Gruppe zu. Die Entenmutter stellte sich dem Angreifer schnatternd in den Weg, plusterte sich auf und schlug so heftig mit den Flügeln, dass sie sich schon vom Boden erhob. Julian rannte sofort schimpfend los, um den Hund zu vertreiben, was ihm aber erst gelang, als er nach dem Hund trat. Der Hund wich zurück, bellte aber aus sicherer Entfernung Julian an. Bald darauf hörten wir einen Pfiff. Der Eigentümer des Hundes wurde sichtbar und befahl den Hund zu sich, der sich daraufhin, indem er sich gelegentlich umdrehte und Julian ankläffte, zu seinem Besitzer zurückzog. Julian fuhr den Mann an, was er sich denn dabei denke, seine Töle im Naturschutzgebiet herumlaufen zu lassen. Der Hundebesitzer drohte Julian, er werde ihn anzeigen wegen Tierquälerei, erkundigte sich aber nicht nach Name und Adresse.

      „Tapferes Entchen“, sagte ich.

      „Ja“, meinte Julian, „todesmutig.“

      „Wie groß es sich machen konnte, als der Hund kam“, staunte ich. „Es sah fast so aus, als wolle es sich auf den Angreifer stürzen.“

      „Der Hund hätte sich trotzdem eins der Kleinen geschnappt. Die liefen ja vor Schreck durcheinander.“

      „Man sagt ja immer, so etwas sei Instinkt, aber eigentlich würdigt man damit die Tapferkeit der Ente herab.“

      „Die Tiere sind tapferer als die Menschen, weil sie nicht überlegen“, meinte Julian. „Vom Pelikan berichten ja alte Quellen, dass er sich selbst zerfleischt, um seine Jungen in der Not zu ernähren.“

      Ich widersprach: „Menschen handeln auch instinktiv. Noch bevor sie Zeit haben zu überlegen, werfen sie sich bei Gefahren schützend über ihre Kinder, bei Bombenangriffen zum Beispiel, und wenn sie Zeit haben zu überlegen, sind sie auch oft bereit, ihr Leben für ihre Kinder zu opfern, und das ist dann ein Opfer, das die Tiere nicht bringen können. Das Problem ist, dass sich die Kinder später dafür Vorwürfe machen.“

      „Wie meinst du das?“, fragte Julian.

      „Ich habe gerade eine junge Patientin, die sich Vorwürfe macht, weil ihr Vater durch ihre Schuld gestorben ist. Als er sie gerettet hat, ist er zu Tode gekommen.“

      Julian schaute mich fragend an. Er wollte mehr wissen.

      „Diese Patientin, sie ist jetzt zweiundzwanzig, hat sich als achtjähriges Mädchen von der Hand ihres Vaters losgerissen und ist auf die Straße gerannt, wo sie beinah von einem heranbrausenden Auto überfahren wurde. Als sie das Auto auf sich zukommen sah, ist sie vor Schreck erstarrt statt zurückzulaufen. Der Vater ist auf die Straße gesprungen, hat sein Kind von der Fahrbahn geschleudert und ist dann selbst überfahren worden.“

      „Und sie macht sich jetzt Vorwürfe? Sie war doch noch ein Kind.“

      „Sie hat sich einen Mann gesucht, der ihrem Vater ähnlich ist, kann aber nicht mehr mit ihm schlafen.“

      „Sie konnte also vorher mit ihm schlafen?“

      „Es ging wohl jahrelang gut; aber es ist dann immer schwieriger geworden. Sie hat Probleme, ihren Vater mit seinem Ebenbild zu betrügen.

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