Doppelte Fährte. Günther Tabery
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„Was macht das für einen Unterschied?“
„Einen ganz wichtigen sogar. Überleg doch mal. Wenn der Aufprall die Todesursache war, dann liegt es nahe, dass dieser Unfall wirklich ein Unfall und der Grund dafür der Drogenmissbrauch war. Wenn aber die Drogen die Todesursache waren und der Unfall die Folge daraus, dann bleibt unklar, ob er sich selbst eine finale Dosis verabreichte oder ob…“, er stockte kurz bevor er weitersprach, „oder ob ihm diese Dosis von außen verabreicht wurde.“
Veronika öffnete den Mund: „Du meinst doch nicht im Ernst, dass er vergiftet worden ist oder von jemanden dritten unter Drogen gesetzt wurde mit der Absicht, seinen Tod herbei zu führen?“
„Ich weiß es nicht. Es könnte sein. Es wäre eine Möglichkeit.“
„Aber wer sollte ihn denn töten wollen?“
„Das weiß ich nicht. Ich habe nur ein ungutes Gefühl.“
„Du willst dich doch nicht einmischen?“ Sie sah ihn bestimmt an.
Martin beschwichtigte Veronika: „Nein, wir überlegen erst einmal. Vielleicht finden wir ja einen Ansatzpunkt.“ Er nahm einen großen Schluck Tee. Veronika starrte aus dem Fenster. Während er sich ein paar Lebkuchenherzen nahm und sie genüsslich aufaß, sagte er: „Ich werde mich noch einmal bei Frau Hainsberger melden und versuchen, etwas über Michael herauszufinden. Mich interessiert, wer und wie er als Mensch war. Frau Hainsberger wird bestimmt offen sein und über ihren Sohn sprechen wollen. Ältere Menschen schwelgen gerne und oft in ihren Erinnerungen.“
Veronika nickte. „Ja, das ist eine gute Idee.“
Zwei Tage später saß Martin bei Frau Hainsberger zu Hause in Leimen bei Kaffee und Kuchen.
Sie blickte ihn freudig an: „Das ist aber nett von Ihnen, dass sie mich besuchen kommen. Ich freue mich über Ihre Anteilnahme.“ Ihr Blick trübte sich. „Es kamen sehr wenige Menschen zu mir und erkundigten sich, wie es mir geht. Jetzt, da ich alleine hier in diesem großen Haus lebe. Jetzt, da Michael nicht mehr ist.“
„Ich dachte, dass es Sie freuen würde, wenn ich Ihnen ein bisschen Gesellschaft leisten und sie vom Alltag ablenken würde.“
„Ja, das freut mich sehr.“
Martin sah, dass auf der Anrichte einige Fotos aufgestellt waren. Er ging hinüber, um sie anzuschauen. Er lächelte als er ein Bild betrachtete, auf dem ein sehr dickes Baby eingehüllt wie ein Buddha in ein großes Handtuch auf einem Wickeltisch saß. „Wer ist das Baby?“, fragte er.
Frau Hainsberger musste ebenso schmunzeln: „Das ist Michael. Er war damals knapp ein Jahr. Das Bild wurde noch in unserer alten Wohnung gemacht, kurz bevor wir hier in dieses Haus zogen.“
„Er war ein sehr kräftiges Kind“, befand Martin.
„Ja, das war er. Aber als er größer wurde verwuchs sich der Babyspeck und er wurde groß und schlank.“
„Stimmt, hier ist ein Bild, auf dem er mit seiner Schultüte zu sehen ist.“ Martin sah sich alle Bilder an. Ihm viel sofort auf, dass es nur Bilder von Michael waren.
„Ich habe die Bilder herausgesucht, um ihn nicht zu vergessen. Um die Erinnerung an ihn am Leben zu erhalten.“
Eine peinliche Pause entstand. Frau Hainsberger starrte vor sich hin. Dann, brach Martin die Stille: „Bitte, Frau Hainsberger, erzählen Sie mir von Michael. Wie war er als Mensch?“
„Er war ein lieber Junge. Und gutmütig war er.“
„War er glücklich?“
Frau Hainsberger schaute ihn an. „Glücklich? Das vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß es nicht. Er lebte mit mir hier in diesem großen Haus. Er kümmerte sich um mich. Nein, ich weiß nicht, ob ihn das glücklich machte.“
Martin sagte nichts. Er wartete, bis sie von alleine weitersprach.
„Er war nicht verheiratet, wissen sie? Ich weiß es nicht, ob er je die Absicht hatte zu heiraten. Mir stellte er einmal ein Mädchen vor. Eine sehr nette junge Frau. Aber ich glaube, es ist nichts Ernstes daraus geworden. Nur eine Liebelei.“
„Dann hatte er auch keine Kinder?“
„Nein, er hatte keine Kinder.“ Sie seufzte. „Ich werde nicht weiterleben in meinen Kindern und meinen Enkeln. Wenn ich sterbe, stirbt meine Familie.“
„Und hatte er gute Freunde?“
„Ich weiß nichts von Freunden. Auf seiner Arbeit gab es einen Kollegen, mit dem er sich ab und an traf. Aber ich fand, dass er nicht gut zu ihm passte. Irgendetwas störte mich an ihm.“
„Bekam er denn genügend Anerkennung bei seiner Arbeit?“
Frau Hainsberger blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Er war ein Chauffeur. Und Mädchen für alles. Keine Rücksicht haben sie auf ihn genommen. Er musste Schicht arbeiten. Manchmal zwölf Stunden am Tag! Es gab Tage, da kam er erst spät nachts nach Hause. Ich sah es sehr ungern, dass er dort arbeiten ging.“
„Oh, das wusste ich nicht.“ Er ermunterte Frau Hainsberger, weiter von dessen Arbeit zu berichten.
„Er war ein ausgeglichener Junge als er dort anfing. Aber dann ging es ihm immer schlechter. Man konnte förmlich zusehen, wie er in sich zusammenfiel. Er war ungewöhnlich angespannt. So kannte ich ihn gar nicht. Ich nehme an, dass es einfach eine zu große Belastung für ihn war. Und dann…“ Sie brach ab.
„Ja? Was geschah dann?“
„Rudolf erzählte mir, dass Michael ihm eines Tags anvertraut hatte, dass es jemanden im Hotel gab, der ihn mobbte. Ist das nicht schrecklich?“
„Er wurde gemobbt?“, wiederholte Martin nachdenklich.
„Ja. Jemand aus dem Hotel konnte ihn nicht leiden. Ich sagte ja schon, ich mochte ihn nicht gerne dort sehen und das Hotel tat ihm nicht gut.“
„Das tut mir sehr leid.“ Betreten schaute Martin auf den Boden. „Sagen sie, Frau Hainsberger, wer kümmert sich denn jetzt um sie? Wer leistet Ihnen Gesellschaft?“
„Mein Neffe Rudolf schaut regelmäßig nach mir. Er geht auch einkaufen für mich und erledigt alle Hausarbeiten.“
Martin nickte. „Wenn Sie mögen, dann schaue ich auch ab und an bei Ihnen vorbei.“
Ein Lächeln glitt über ihren Mund: „Das würde mich sehr freuen. Sie sind ein netter junger Mann.“
Martin erwiderte das Lächeln und nahm sich noch ein weiteres Stück Marmorkuchen.
Am nächsten Morgen saßen Martin und Veronika beim gemeinsamen Frühstück. Martin hatte bisher nicht viel gesprochen. Er war in sich gekehrt und machte einen konzentrierten Eindruck. Die äußerliche Ruhe wurde nur durch sein Kopfzucken durchbrochen. Veronika beobachtete ihn gebannt, da sie wusste, dass er innerlich wohl sehr