König Oyster und sein Reich. Bärbel Junker
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Читать онлайн книгу König Oyster und sein Reich - Bärbel Junker страница 8
„Oh ja, Majestät. Dieser Ausspruch ist mir wohl bekannt“, nickte Weytolus. „Doch glaubt mir, eine derartige Vorgehensweise hat noch niemals etwas Gutes bewirkt. Hass zieht Hass nach sich, und der Gewalt folgt noch mehr Gewalt, immer und immer mehr, bis alles im Chaos versinkt.“
Der König hatte seinem Großwesir aufmerksam zugehört. Als dieser schwieg, lehnte er sich in seinem blattförmigen, in den schönsten Grüntönen des Universums schimmernden Sessel zurück, schloss die Augen und lauschte still in sich hinein.
Schweigen senkte sich wie eine schalldichte Decke über den Raum. Alles und jedes schien den Atem anzuhalten; kein noch so leises Geräusch war zu vernehmen.
Der Herrscher der Unterwasserwelt überlegte, suchte nach einer Lösung für den Fortbestand seines Volkes und seines Reiches. Und für diesen Augenblick des Insichversinkens, des Suchens, schien die Welt stillzustehen, schien dem König eine Atempause gönnen zu wollen.
Zehn Minuten vergingen. Dreißig Minuten. Fünfundvierzig Minuten. Eine Stunde. Des Königs schwere, violettfarbene Augenlider hoben sich nur wenige Millimeter, um Sekunden später plötzlich wie eine Jalousie hochzuschnellen. Ein gewaltiger Atemzug dehnte seinen imposanten Brustkorb, und ein zufriedener Seufzer brachte den vorm Eingang hängenden Muschelvorhang zum Klingen.
„Ich habe eine Idee“, durchdrang König Oysters sonore Stimme die bleischwere Stille des Raumes, vertrieb diese, und schaffte Platz für den normalen Fortgang des täglichen Lebens.
„Ich werde mir die Gier und die Angst der Menschen zu Nutze machen und dafür sorgen, dass die Umwelt für uns und auch für künftige Generationen lebensfähig bleibt. Und ich werde erreichen, dass die Zuflüsse zu meinem Reich endlich sauberer werden und es auch bleiben.“
„Und der Planktongrund? Was soll mit den dort lagernden Giftfässern geschehen, Majestät?“
„Ganz einfach: Wir bringen sie den Menschen zurück. Die Wale werden dafür sorgen.“
„Zurückbringen?! Und wenn sie die Fässer erneut im Planktongrund oder an anderer Stelle versenken?“, fragte Weytolus skeptisch.
„Das werden sie nicht, Weytolus.“
„So, meint Ihr, Hoheit? Und was sollte sie davon abhalten, wenn ich fragen darf?“
„Ihre Furcht und ihre Geldgier“, lächelte der König.
„Furcht, Hoheit?“
„Ja, Weytolus, Furcht! Denn sollten die Menschen meinem Vorschlag nicht zustimmen, werde ich Olmokan, den Hüter der Meere, um Hilfe bitten.“
„OLMOKAN?!
Oh Gott der Meere, sei uns gnädig“, flüsterte der Großwesir entsetzt.
„Keine Sorge. Vertrau mir. Ich habe einen Plan. Komm her zu mir, mein treuer Weytolus. Nein, noch näher. Ich werde ihn dir erklären. Und wenn wir Erfolg haben, wird unser Überleben gewährleistet sein.“
FÜNF TAGE SPÄTER
Alle waren sie gekommen! Aus den entlegensten Winkeln waren sie angereist. Selbst diejenigen Meeresbewohner hatten sich auf den Weg gemacht, die unter dem Einfluss der Meeresverschmutzung und Verseuchung monströs verändert und schuldlos zu wahren Horrorgeschöpfen mutiert waren.
Nach jahrelanger Abgeschiedenheit in ihren Verstecken lebend, hatten sie diese verlassen, um sich zur größten und wichtigsten Versammlung aller Zeiten aufzumachen, in der es um Untergang oder Fortbestand aller Meeresbewohner ging.
Gewaltige Monsterkrabben, deren Vorfahren einstmals ganz gewöhnliche Krabben waren; Riesenfische mit rasiermesserscharfen, weit aus den Mäulern herausragenden Zähnen; zweiköpfige Fische mit skalpellscharfer, schwertförmiger Rückenflosse; Kraken, groß wie ein Fußballstadion, deren zig meterlange, mit unzähligen kürbisgroßen Saugnäpfen besetzte Tentakel Schiffe zum Kentern bringen konnten; und ellenlange, dreiäugige Wesen mit rasiermesserscharfen Dornen auf borkigen Rücken. Sie alle strebten einträchtig Seite an Seite dem gewaltigen Unterwasserkomplex König Oysters zu.
Doch was mussten sie sehen? Was war mit ihrer einstmals so schönen Heimat geschehen? Was, um des Meeresgottes Willen, war während der Zeit ihrer Zurückgezogenheit mit ihrer Welt passiert? fragten sie sich entsetzt. Und viele wären am liebsten wieder in ihre Abgeschiedenheit zurückgekehrt, hätte sie ihr Verantwortungs-bewusstsein und ihr Gemeinschaftssinn nicht davon abgehalten.
Als Müllhalde bot sich ihnen der einstmals so saubere Meeresgrund dar. Zwar waren ihnen Schiffswracks und vermodernde Anker nicht fremd. Aber wieso entsorgten die Menschen ihren Wohlstandmüll im Meer? Was hatten Getränkedosen und Flaschen, Autowracks und Kühlschränke, Möbelstücke und verrostete Fahrräder, Fässer mit gefährlichen Chemikalien und was nicht noch alles mehr auf dem Meeresboden zu suchen?
Geschah es aus Gedankenlosigkeit? Oder Dummheit? Vielleicht aus Gewinnsucht? Wahrscheinlich traf alles zu, jedoch am meisten wohl Letzteres. Denn wann ging es bei den Menschen einmal nicht ums Geld?
Die armen verunstalteten Geschöpfe seufzten bitter und sehnten sich zurück zu ihren Verstecken. Aber dorthin konnten sie vorläufig nicht, denn ihr König brauchte sie. Er benötigte ihre Hilfe, um sein Volk zu retten und nur das alleine zählte. Also hatten sie ihren Weg fortgesetzt, waren Tag und Nacht geschwommen, um den Palast ihres Königs rechtzeitig zu erreichen.
Oh ja, dachte König Oyster. Adamos hat ganze Arbeit geleistet, hat wieder einmal eindrucksvoll seine Vertrauenswürdigkeit und Loyalität bewiesen.
Zufrieden schaute er von seinem Thronsessel auf sein Volk herab. Er hatte um ihr Erscheinen gebeten und kaum einer seiner Untertanen hatte sich dieser Aufforderung entzogen.
Wale aller Größen; Wasserschlangen; vergnügt plappernde Delphine; quicklebendige Robben; Kleinstmeereslebewesen; Fische verschiedenster Art; Haie sowie die armen mutierten Wassergeschöpfe dümpelten friedlich inmitten der übrigen Meeresbewohner.
Der Artenreichtum; die Vielfalt der Formen, teils harmonisch, teils regelrecht bizarr; die unterschiedlichen Größen; dazu die kaum vorstellbare Farbpalette der Anwesenden könnten einen Maler schier um den Verstand bringen, dachte der König beeindruckt.
Die Menge war unüberschaubar, schien den riesigen Kuppelsaal fast zu sprengen, obwohl die zur Seite geschobenen Wände ihn um mindestens das Dreifache vergrößerten.
Dicht an dicht drängten sich Leiber in den mannigfaltigsten Formen geduldig neben- und aneinander; lauschten seine Untertanen atemlos und voller Hoffnung den Worten ihres Herrschers, mit denen er ihnen seinen Plan erläuterte. Seinen klugen, seinen listigen Plan!
Ja, dachten die Lauschenden. So könnte es, nein! So wird es gelingen!
„Es ist sehr schade, dass ausgerechnet Xzostra und Krokan, die für das Gelingen meines Planes unverzichtbar sind, heute nicht bei uns sein können“, sagte der König bedauernd. „Aber unser lieber Barnibu wird die beiden finden und schleunigst zu mir bringen. Habe ich recht, mein Freund?“, fragte König Oyster den blauen Delphin.
„Selbstverständlich, Majestät“, versicherte dieser.
„Sehr