Täubchen alla Boscaiola. Martin Schlobies

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Täubchen alla Boscaiola - Martin Schlobies

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eine Kerkerstrafe abgesessen und seien nun begnadigt worden, - und strebten dem Ausgang zu, bis schließlich der Pförtner die Treppe hochkeuchte und Raphael entdeckte,

      „Was suchen Sie denn immer noch hier?“

      „Den Direttore!“, erwiderte Raphael.

      „Der Direttore,“, eröffnete ihm der Pförtner, „kommt immer nur mittags zwischen zwölf und ein Uhr, um Unterschriften zu leisten. Verlassen Sie endlich das Haus!“

      „Warum hat mir das niemand gesagt?“

      „Was gesagt? - Was sollte man Ihnen sagen?“

      „Daß der Direttore nur mittags kurz im Hause ist!“

      „Jeder weiß das! Verlassen Sie endlich das Haus, ich muß absperren! Beeilen Sie sich!“

      Wieder auf der Straße mußte Raphael seine Augen zusammenkneifen. Er hatte in diesem alten, verschlafenen Gemäuer das Licht vergesssen, das blendende Licht des Südens. Er sah auf die Uhr, es war bereits vier Uhr nachmittags. Was sollte er noch hier? In diesem Catania? Etwa das alte Stauferkastell Ursino besichtigen, diese riesige drohende Zwingburg? Dafür war es viel zu spät!

      10. Kapitel

      Pauline kam mit dem Bus aus Cefalú zurück, wo sie sich, um sich zu abzulenken, ein neues leichtes Sommerkleid hatte kaufen wollen. Doch es gab nichts, was ihr gefiel. Dafür wurde es einer der heißesten Tage dieses Spätsommers. Die gleißende Sonne hatte die Dächer und Straßen von Cefalú mit barbarischer Hitze überschwemmt.

      Auch hier oben stach das Sonnenlicht mit giftigen Nadeln. Antonio, der Hauswart, klopfte gerade auf das Barometer, als er Pauline vorbeilaufen sah. „Immer weiter steigend!“, verkündete er erfreut und so triumphierend, als hätte er selbst diese Temperaturen hervorgebracht, studierte dann sorgfältig, wie ein kompliziertes wissenschaftliches Instrument, das Thermometer, „Trentadue gradi! Die Hitzewelle ist da!“, rief er ihr nach, „Heiß! Zu heiß zum Malen.“

      Pauline flüchtete geschwitzt und verärgert an ihm vorbei in ihr Zimmer. Der Boiler im Bad knisterte, als sie das warme Wasser laufen ließ. Sie duschte danach kalt und bemerkte erst beim Abtrocknen, daß sie in ihrer Verwirrtheit das Badezimmerfenster offen gelassen hatte. Sie hörte, wie jemand pfiff, eine ihr inzwischen bekannte, stumpfsinnige Melodie aus sechs Tönen. Es war also Antonio, der vorbeiging. Er sah hinein zu ihr, lächelte erfreut. Ärgerlich hielt sie sich mit der Rechten ein Handtuch vor und schloß mit der Linken die Vorhänge.

      Im Spiegel sah sie all die Falten und Fältchen, dieses ihr von Jahr zu Jahr fremder werdende Gesicht, - dahinter tauchten sogar schon die Züge ihrer eigenen Mutter auf. „Du werde erst einmal ein schöner Mensch!“, sagte sie zu sich selbst, doch es half nichts.

      Sie wollte sich noch die Fingernägel lackieren; setzte sich dazu in ihrem Zimmer auf einen Stuhl vor dem Fenster, in einer stillen, fast feierlichen Resignation. Behutsam trug sie den Lack auf, so behutsam, als fürchtete sie, mit einer heftigen Bewegung etwas zu zerstören, - doch was?

      Aber diese Farbe! - Es war eine, die sie noch nie ausprobiert hatte, ein etwas grelles Erdbeerrot, war das nicht zu auffallend? - als sie, durch die dünnen Vorhänge hindurch, auf einmal Raphael vor ihrem Fenster vorbeilaufen sah. - Das versetzte ihr einen freudigen Schock. Sie sprang auf, die Hitze und Röte stiegen ihr in das Gesicht. - Im Auf- und Abgehen fächelte sie ihre Hände hin und her, um den Lack zu trocknen; in dieser seltsamen, etwas lächerlichen und gleichzeitig weihevollen Bewegung, als wäre sie eine Priesterin.

      Endlich war der Lack trocken. Pauline hielt es in dem schwülen Zimmer kaum noch aus! - Zur Begutachtung hielt sie ihre Finger gestreckt vor sich hin, um den neuen Nagellack zu begutachten und erschrak: Nein!, die Farbe war zu rot, zu grell! Sie verlieh ihren Händen etwas Wildes, als sei frisches Blut darauf getropft. Dann entdeckte sie amüsiert, daß sie, unterbrochen durch das Erscheinen Raphaels, vergessen hatte, den Nagel des kleinen Fingers der rechten Hand zu lackieren. - Ob Raphael das überhaupt bemerken würde?

      Als sie vor die Tür trat, herrschte schon das sanfte Licht der Abende hier. Die von der tief stehenden Sonne seitlich beleuchteten Grasflächen lagen wie mit goldenem Sand überzuckert, und zwischen den Pinien, am westlichen Himmel, zeigten sich die ersten zarten Farben des Abendrots, gelblich, orange, gold; während oben zwischen den Kronen der Bäume noch das tiefe dunkle Blau des südlichen Himmels leuchtete. Und nun wurde auch sie selbst innerlich langsam ruhiger, in ihrem hübschen Kleid, mit den eleganten Schuhen, geschützt durch ihre Rüstung aus Schminke, Puder und Lack.

      Behutsam ging sie durch den Garten; und da lag er, ihr Raphael, zwischen den Pinien, auf einem Liegestuhl. Er war also schon zurück von seiner täglichen Fahrt, und genoß offenbar den warmen, stillen Abend. Als er sie kommen sah, sprang er auf und lief ihr entgegen. Kaum wagte sie ihn anzuschauen, so verlegen war sie, und wußte nicht, wie es nun weitergehen sollte, - und sie war doch schon erwachsen!

      Raphael brach zuerst das Schweigen,

      „Ah, da bist du ja!“ Er sah sie prüfend an. - Warum sagte er nichts? - Schließlich lächelte er, „Und so schön gemacht!“ Pauline wurde es heiß, sie fühlte, wie sich ihre Wangen röteten,

      „Die ewige Arbeitskleidung ist langweilig geworden . . . “, murmelte sie kaum hörbar, „Leg dich wieder hin, ich setze mich daneben!“ Doch er schüttelte den Kopf,

      „Nein, nein, ich mag nicht mehr liegen!“

      „Was hast du gemacht, den Tag über?“, fragte sie, „Wo warst du?“

      „Ich war in Catania, bei der Bergbaubehörde.“

      Und er begann, von Catania zu erzählen. Sie sah ihn immer nur an und sagte ab und zu:

      „Achso! Ja, ich verstehe!“ Er blickte sie mit großen Augen an. Warum war sie in Gefahr, in die tiefen Brunnen dieser warm blickenden Augen zu fallen?

      Sie lehnte sich an einen Stuhl, hielt sich dort fest, ihr war plötzlich schwindlig.

      „Du bist blaß, ist dir nicht gut?“, fragte er.

      „Nein, nein! Es ist alles in Ordnung!“

      „Weißt du was?", sagte Raphael unvermittelt, „Wir gehen jetzt essen, aber nicht hier! Wir fahren an die Küste zum Essen. Ich kenne dort ein gutes Restaurant direkt am Meer, etwas oberhalb der Küstenstraße.“

      11. Kapitel

      Das Restaurant zu dem sie fuhren, war ein kreisrunder Pavillon-Bau mit einer zum Meer gewandten Front ganz aus Glas. Es war voll besetzt, und sie blieben unschlüssig an der Tür stehen. - War denn wirklich nichts frei? - Dort! Ein Paar erhob sich und ging. Und da kam auch schon der Kellner. Er begrüßte sie beide wie alte Bekannte, führte sie an das runde Tischchen, das frei geworden war, direkt vor der Fensterfront,

      „Schauen Sie, extra für Sie, der Tisch in der Mitte mit der besten Aussicht!“

      Vor ihnen lag weit und beruhigend das Meer, ohne Begrenzung, ohne Küste, ohne Ende. Der Himmel war klar und hell, nur am Horizont gab es einige flache graublaue Schatten. Schwärme von Seeschwalben jagten niedrig über den Wellen dahin. Vom Meer stieg das bläuliche Licht des frühen Abends zu ihnen hoch.

      Der

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