Täubchen alla Boscaiola. Martin Schlobies
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Читать онлайн книгу Täubchen alla Boscaiola - Martin Schlobies страница 17
Raphael hielt dem Pförtner seinen Paß vor das Gesicht und ein Empfehlungsschreiben seiner Firma, sowie eine Beglaubigung des deutschen General-Konsulats in Neapel. - Der Pförtner bog Schultern und Kopf zurück und blinzelte mißtrauisch. All diese Papier schienen ihm nicht zu genügen. Schließlich legte Raphael einen ganzen Stapel Zeichnungen und Pläne der Bleigrube auf die Klappe der Pförtnerloge, fächerte sie auf, wie die Karten eines Kartenspiels; der Pförtner studierte noch einmal mißtrauisch den Paß, das Schreiben des Konsuls, die Zeichnungen, und gab Raphael schließlich das Schreiben und den Paß zurück, „Chiuso, tutto e chiuso!“, wiederholte er höhnisch, „Alles ist geschlossen!“
Wütend schob Raphael seine Unterlagen zusammen und steckte sie in die Ledertasche, stellte sich dicht vor dem Pförtner auf und begann, ihn sehr laut und auf deutsch zu beschimpfen, er würde ihn verklagen, ihn verprügeln, ihn bei seinem Chef unmöglich machen, ihn ersäufen, vergiften. „Verdammter Kerl,“, schrie er, „was bildest du dir eigentlich ein! - He?“ Der Pförtner sah ihn mit offenem Mund an. Raphael ging einfach an ihm vorbei, und der Pförtner hielt ihm sogar die Innentür auf.
Überrascht über diesen Erfolg seiner Grobheit, fand Raphael sich in einem riesigen Treppenhaus wieder, mit verstaubten Marmorskulpturen in jeder Ecke. Ein mächtiger Bronzekandelaber hing an einer Kette von der Kuppel herab, und geschwungene Treppen führten rechts und links in die oberen Stockwerke. Raphael blieb einen Moment staunend stehen, dann wählte er, wie er es immer tat, die rechte Treppe, stieg die breiten und ausgetretenen Stufen empor, vorbei an weiteren Marmorskulpturen, bis er im ersten Stock anlangte.
Hier kreuzten sich mehrere von Säulen getragene Bogengänge und ineinander verschachtelte Flure, die um einen großen Innenhof herum angeordnet waren. Das Licht aus den verschiedenen Fluchten brach sich vielfältig, und die ganze verzauberte Architektur der Spät-Renaissance und ihr Spiel mit Licht und Raum bauten sich auf vor ihm - über ihm - um ihn herum. Raphael war in eine vergessene, verstaubte Zauberburg eingedrungen.
Wie im Traum durchirrte er dann lange Korridore, öffnete ab und zu eine der vielen Türen, hinter denen verschlafene Beamte saßen, die ihn immer weiter schickten, immer wieder in ein anderes Zimmer, bis er sich vorkam, wie eine dieser Figuren in einer Geschichte Kafkas, wie im 'Schloß', - weitergeschickt und immer wieder weiter- geschickt, - sinnlos, hilflos, wütend, und gleichzeitig von der unwirklichen Atmosphäre des Baus gebannt. - Schließlich las er an einer Tür das Schild 'Registratura'.
Kurzentschlossen trat er dort ein und blickte in einem gebogenen, langen, schmalen, halb um das runde Treppenhaus herumgebauten Raum. Im vorderen Drittel des Raumes stand ein Stehpult, sonst schien der Raum leer. Doch bald entdeckte Raphael an seinem Ende einen Mann unbestimmten Alters, mit weißen Ärmelschonern, wie in einem alten Film, der schief auf einem viel zu hohen Stuhl saß, in sich zusammengesunken, verkrümmt, vor sich einen Schreibtisch, bedeckt mit Stapeln von Mappen und Ordnern, hinter sich eine endlose Wand mit Ordnern, die nach einem kryptischen System angeordnet zu sein schienen. Schließlich konnte Raphael die Jahreszahlen auf den Rücken der Ordner entziffern, beginnend bei 1922 ging es bis heute, jedes Jahr nahm mehrere Meter der Regalfläche ein.
Der Beamte hob den mageren Kopf, sah Raphael, machte ein säuerliches Gesicht, wie ein Huhn, dem man einen Wurm direkt vor dem Schnabel wegstiehlt, und wies ihn an, an das Stehpult zu treten, vorher könne er keine Fragen beantworten.
Raphael trat an das Stehpult, der Beamte erhob sich ächzend, kam an das Stehpult geschlurft und hörte sich Raphaels Anliegen mit gerunzelter Stirn, doch geduldig, an.
„Sie wollen also die Bedingungen erfahren, unter denen eine Wiederaufnahme des Erzabbaus gestattet werden könnte . . . “ Raphael nickte.
„Das ist alles?“
„Ja, das ist alles!“, sagte Raphael. Der Beamte ging an das Regal und entnahm ihm ein dickes, handgeschriebenes Buch, als er darin nicht das Passende fand, ging er zu seinem Schreibtisch, tippte etwas in seinen Computer, den Raphael noch gar nicht bemerkt hatte, so versteckt stand er zwischen den Stapeln von Ordnern und Mappen.
„Nein, noch etwas!“, fiel es Raphael ein. Wer denn der Besitzer sei, und wer der letzte Betreiber der Erz-Grube gewesen sei? Der Beamte zögerte, tippte wieder etwas in den Computer, hob endlich den Kopf, sah Raphael ernst und bedenklich an, beinahe mitleidig, - als habe Raphael vor, einen Lindwurm aufzusuchen und zu besiegen,
„Signor Gustavo Botello. - Haben Sie es sich denn gut überlegt?"
„Signor Gustavo Botello?“ Das war doch der Name, den der Alte genannt hatte, an der Grube, Botello. - Es stimmte also!
„Ja, Signor Botello. - Kennen Sie ihn denn nicht?“ So, als müsse ihn jeder kennen, diesen ominösen Signore.
„Wieso um alles in der Welt sollte ich ihn kennen?“ Der Beamte zuckte mit den Schultern. Offenbar hielt er Raphael jetzt für verrückt.
„Reden Sie mit dem Direttore!“ Er führte Raphael auf den Flur zurück, und zeigte mit der Hand auf eine große zweiflügelige Tür am Ende des langen Flurs, und wies auf eine der Bänke, die davor standen, „Warten Sie dort!“
Doch Raphael hatte keine Lust, sich zu setzen, erging lieber langsam den Flur auf und ab. An den staubigen fleckigen Wänden hingen alte Schwarzweiß-Fotografien von riesigen Kränen, Fördertürmen, unterirdischen Bergwerks-Stollen und -Gängen, Fotografien von Arbeitern, die mit den Händen alte Industrieloren voller Erz schoben, oder die mit großen Hämmern etwas aus der Wand eines Stollens herausschlugen, schwitzend, verstaubt, mit kleinen entzündeten Augen, wie menschliche Maulwürfe.
Ab und zu ging Raphael zu der zweiflügeligen Tür, klopfte daran, versuchte sie zu öffnen, doch sie war abgeschlossen. Endlich, beim dritten Versuch, waren Schritte zu hören. Ein Schlüssel drehte sich im Schloß. Die Tür wurde einen Spalt weit geöffnet. Der rundliche Kopf eines untersetzten Mannes erschien, der unfreundlich sagte: „Warten Sie!“, und wieder verschwand.
So stand Raphael wieder im Flur und wartete. Ab und zu kamen Männer an ihm vorbei, Beamte offenbar, die aus irgendwelchen Zimmern kamen und in irgendwelchen anderen Zimmern wieder verschwanden, und dabei Stöße von Akten auf ihren Händen trugen, wie Opfergaben; ein bestimmter Typ war besonders häufig vertreten, schmächtig, mit einem verschlossenen, alten Puppengesicht, umgeben von einer Gloriole staubiger Wichtigkeit.
Sie sahen sich alle so ähnlich, sie wirkten alle so mechanisch, wie ein eintöniges Ballett hölzerner Marionetten, das anzusehen Raphael durch irgendeinen Fluch nun verdammt war. - Oder wie bei einer modernen Theateraufführung, wo die Schauspieler wie irrsinnig gewordene Schachfiguren durcheinander laufen oder rennen, an Fäden gezogen, die ein ebenfalls irrsinnig gewordener Regisseur in der Hand hält, nach einem vergessenen, eintönigen Plan, den er selbst nicht mehr entwirren kann.
Und die ganze Zeit lief Raphael den Korridor auf und ab, wie ein gefangener Leopard, dachte an die Erzgrube, an Castellina, die unerwartete Begegnung mit Pauline und natürlich an diese selbst. Wenn er an Pauline dachte, fielen ihm zuerst ihre lebhaften braunen Augen ein, - immer wieder ihre Augen, - diese Augen, die alles zu sehen schienen. - 'Sie ist wirklich ein Augentier,' dachte er, 'und immer ist etwas an ihr in Bewegung.' Dann wanderten seine Gedanken wieder zurück in diesen alten Palazzo, an die Doppeltür, hinter der der Direttore residierte wie der Fürst eines kleinen, fast unbekannten Reiches.
Ab und zu klopfte er an die Tür zum Vorzimmer des Direttore. Eine Schlüssel drehte sich im Schloß, die Tür öffnete sich einen Spalt, ein Beamter erschien und herrschte ihn an: „Warten Sie!“
Die