Täubchen alla Boscaiola. Martin Schlobies
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Oben, im Bauernhof war sie dann doch enttäuscht, als er sie vor ihrer Tür einfach ablieferte, - wie sollte sie es sonst nennen? - ihr einen Kuß auf die Wange gab und sagte: „Ich bin müde; ich bin heute fast den ganzen Tag mit dem Auto gefahren. Jetzt muß ich ins Bett. Gute Nacht!"
„Gute Nacht!“ Ruhig stieg er seine Treppe hinauf, zu seinem Schwalbennest. Die Treppe knarrte und endlich schloß er auch die Tür. Sie lauschte noch ein paar Sekunden in die Nacht, in die schwarze, abweisende Stille. Kein Vogel, nichts war zu hören, nur das ewige Gezirpe der Grillen, auf die sie wütend wurde.
Mein Gott! Wie ungenutzt vergingen diese Nächte! Keine Seufzer, kein Liebesgeflüster!
12. Kapitel
Signor Botello war so früh wie immer aufgestanden, weil er endlich wieder seinen gewohnten Gang zur Erzgrube machen wollte, zusammen mit seinem Hund, doch hielt ihn ein dichter Nebel zuhause fest.
Alle Viertelstunde lief er zum Fenster, doch der Nebel hing fest zwischen den Bergen, und man konnte nicht fünf Schritte weit sehen. Mißmutig las Signor Botello die Tageszeitung noch einmal durch, ärgerte sich - ebenfalls noch einmal - über die Unsinnigkeiten der Politik und die Instinktlosigkeit und das Ungeschick der Politiker, und beschloß, bei den nächsten Wahlen eine andere Partei zu wählen - doch welche? - Nach zwei Stunden hatte er sich müde geärgert, aber der Nebel war geblieben.
Schließlich brummte er einen Gruß in Richtung der Küche, wo seine Frau schon angefangen hatte zu kochen, verließ das Haus, pfiff seinen Hund herbei und machte sich mit ihm auf den Weg.
In der Nähe des Ortes, auf dem ehemaligen Militärweg neben dem Eichenwäldchen konnte Signor Botello die Umgebung wenigstens ungefähr erkennen, doch je näher er dem alten Schießplatz kam, desto undurchdringlicher wurde der weiße und graue Dunst, durch den er tappte. Schließlich konnte er nicht einmal den steinigen, mit kargen Grasbüscheln bewachsenen Weg vor sich sehen, sondern mußte sich jeden Schritt mit den Füßen ertasten.
Er gelangte auch endlich an das verfallene Häuschen mit der Schleuder-Maschine, das Palottolaio, an das Tor in seinem eigenen Drahtzaun, das er aufschloß und stieg Schritt für Schritt die steile Anhöhe empor, zur großen Lichtung des eigentlichen Schießplatzes, der Hund immer vorneweg. Dort oben angelangt, war das Licht ein wenig heller, als neben dem Eichenwäldchen, aber sehen konnte Signor Botello auch hier wenig.
Trotzdem tastete er sich weiter, langsam Fuß vor Fuß setzend, in den für die Augen undurchdringlichen Dunst hinein, immer Fuß vor Fuß, Schritt für Schritt, - das Bellen des Hundes, der im Nebel verschwunden war, hallte hohl und dumpf wie in einem riesigen Gewölbe, und während Signor Botello vorwärtstappte, direkt in den dichtesten Nebel hinein, sah er auf einmal soetwas wie einen Schatten, einige zwanzig Schritt vor ihm, der vor ihm zu gehen schien. Signor Botello ging etwas langsamer, der Schatten verdichtete sich zu einer Gestalt, der Hund begann freudig zu winseln, da wurde die Gestalt von einem Nebelschleier verschluckt und war verschwunden. -
Einen Moment später lichtete sich der Dunst ein wenig, - und Signor Botello erkannte, daß es die Gestalt einer Frau oder eines Mädchens war. - Ja, die da vor ihm her ging, war ein Mädchen, - so groß wie seine Tochter! - Sollte Agustina hier allein im Nebel herumschleichen? Sollte sie vielleicht einen heimlichen Freund haben? - Auch der Gang der Gestalt vor ihm erschien jetzt ganz sicher Agustinas Gang zu sein. - Der Zorn packte Signor Botello und das heiße Blut stieg ihm in den Kopf. Er ergriff seinen Stock fester. Er würde sie schon lehren, was sie tun durfte und was nicht!
Jetzt war das Mädchen nur noch einige Schritte entfernt. - Immer noch war nichts zu hören, denn der Nebel verschluckte jedes Geräusch, und so schwebte das Mädchen geisterhaft vor ihm her - einmal faßbarer werdend - dann wieder nur ein zerfließendes Schemen.
Da blieb die Gestalt stehen, drehte sich um, blickte suchend durch die dunstigen Schleier.
„Agustina!“, rief Signor Botello zornig, „Was hast du hier zu suchen!?“ Ein befreites weibliches Lachen erklang,
„Ach, Sie sind es, Signor Botello! - Wie erleichtert bin ich, Sie hier zu treffen. - Wie unheimlich ist dieser Nebel. Ganz plötzlich wurde er so dicht, man sieht ja nicht die Hand vor Augen. - Sie gehen zu Ihrer Grube, nicht wahr?“, und da stand die Frau, zu der die Stimme gehörte, auch schon vor ihm.
„Anna-Maria!“, rief Signor Botello erstaunt, „Was treiben Sie denn hier im Nebel?“ Der Hund kam jetzt angesprungen, umkreiste sie beide freudig und schon war er wieder fort.
„Oh,“, sagte Anna-Maria lächelnd, „Es ist ein Wunder, daß wir uns nicht schon öfter begegnet sind. Dieser Weg ist mein täglicher Spaziergang.“
„Und Sie gehen allein im Nebel spazieren? Wie mutig - und wie seltsam!“
„Hier bin ich immer allein,", erwiderte Anna-Maria, „ - ab und zu treffe ich ein paar Schweine, - sonst geht hier niemand entlang. Und das liebe ich!“
„Haben Sie keine Angst?“ Signor Botello hörte nicht auf, sich zu wundern.
„Nein! Wovor denn? Heute allerdings, bei diesem Nebel, da ist es mir schon etwas unheimlich, plötzlich achte ich auf jedes Geräusch, - andererseits ist es so still, daß man nicht einmal seine eigenen Schritte hört. - Plötzlich denke ich: 'Habe ich mich verlaufen?' - Sie kommen vom Ort, nicht wahr?“
„Allerdings!“, erwiderte Signor Botello.
„Erzählen Sie besser meiner Mutter nichts davon,“, sagte Anna-Maria verlegen, „Sie würde sehr besorgt sein!“
„Wie sollte ich denn? Ich sehe sie doch nie!“
„Ich gehe jetzt nachhause! Adieu!“, und schon wurde Anna-Maria wieder vom Nebel verschluckt.
„Na, - wenigstens gut, daß es nicht Agustina war! Der hätte ich . . . !“, murmelte Signor Botello vor sich hin und setzte ebenfalls seinen Weg fort, „Aber merkwürdig ist es doch! Eine so junge Frau ganz allein in diesem Nebel! Sie hat halt zulange in der Stadt gelebt. Da werden die Leute komisch!“, mit solchen Betrachtungen beschäftigt, tastete er sich weiter, Schritt für Schritt, bis er plötzlich nicht weiterkam, weil er gegen einen federnden Widerstand gestoßen war.
Erschrocken zog Signor Botello seine Hände zurück, untersuchte das Hindernis, tastete noch einmal. - Kein Zweifel, das, was ihn hinderte, weiterzugehen, war ein Zaun, ein fest gespannter, fast mannshoher Drahtzaun, - der am Vortage unzweifelhaft noch nicht dort gestanden hatte. „Unmöglich!“, sagte Signor Botello vor sich hin, „Ich muß mich verlaufen haben, und im Nebel im Kreis gegangen sein.“, und er war fest davon überzeugt, gegen seinen eigenen Zaun gestoßen zu sein. Er tastete nach rechts, tastete nach links, immer gewärtig, den Abhang hinabzustürzen, an dem sein eigener Zaun stand, - oder vielmehr stehen mußte.
Um in dieser mißlichen Lage nicht allein zu sein, rief er nach seinem Hund, doch vergeblich. Der hatte anscheinend irgendwo ein Kaninchen aufgestöbert und hörte auf kein Pfeifen und kein Rufen. Signor Botello tastete sich seitwärts, eine Strecke von zehn, dann zwanzig, dann dreißig Metern entlang. - Immer derselbe Zaun, fest und straff gespannt, federnd und beinahe mannshoch! Das Bellen der Hundes erklang dazu aus weiter Ferne, dumpf, wie ein Hohn.
Endlich begriff Signor Botello, daß er vor einem neuen Zaun stand. - Ein Zaun, den nur sein Nachbar Toccabelli hatte bauen lassen können. -