Die kalten Spuren im heißen Wüstensand. Maxi Hill
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Ist das, was sie jetzt erdulden muss, noch immer das geliebte Afrika – die Wiege der Menschheit. Jener Boden, der den Vater aller Schwarzen und den Vater aller Weißen hervorgebracht hat?
Sie schließt ihre Augen und lehnt sich an den rauen Stein. Die Frauen neben ihr verbreiten einen ätzenden, säuerlichen Geruch von altem Schweiß und ungewaschenen Kleidern. Kein Ort in der Nähe, der als Latrine dienen könnte. Kein Opuntienstrauch, der den menschlichen Unrat in sich aufnimmt und dem selbst die Schmeißfliegen fernbleiben.
Am Ende des Tages wird fauliger Gestank an dieser Stelle zurückbleiben, der stechende Geruch von Kot und Urin noch lange im Wüstenwind dünsten.
Das Gefühl unbeschreiblichen Ekels ist in Ashanti. Wie schön war es doch im bescheidenen Häuschen, das der Vater gebaut hat – Stube für Stube. Sie haben zusammen mit Mutter ihr Heim gehegt und gepflegt. Den gestampften, die Boden und die lehmigen Wände mal Kühle, mal Wärme spendeten. Der Brunnen auf dem nahen Feld spendete die meiste Zeit Leben.
Wer wird jetzt von all dem Besitz ergriffen haben? Wer wird sein Hab und Gut abladen, da, wo Vater einst neben der Stube der Kinder eine Stiege anbaute, um noch eine Stube obenauf zu setzen? Eine für Kanzi oder Ashanti ganz alleine. Ein besonderer Luxus. Aber Mutter hat gesagt, es sei üblich in der modernen Welt und es könne nichts der Bindung der Familie schaden, was dem Einzelnen nutzt…
Die Erinnerung an Mutter Dzemila und Vater Dikembe bringt einen bitteren Schmerz in sie. Ihr Schal bedeckt Kanzi, der in ihrem Schoß, in den sie ihn aus Schutz vor den rabiaten Bildern menschlicher Gewalt gedrückt hatte, eingeschlummert ist. Die Sonne glüht senkrecht herab. Den einzigen Schatten spendet jetzt nur noch der kleine Überhang einer Felsformation, unter dem sie noch näher zusammengerückt sind, was den wütenden Mann noch wütender macht. Er schaut sich nach allen Seiten um, ob auch kein Mann einen Zipfel seiner Frau berührt, kein gieriger Blick an ihrer Gestalt Gefallen findet.
Was alle vereint und gezwungen zulächeln lässt, ist das gemeinsame Schicksal, das sie zu Flüchtlingen gemacht hat. Der letzte Ausweg schmiedet Wildfremde zusammen, die auch jetzt kaum wichtige Worte wechseln.
Diese Flucht sollte viel schneller gehen. Das war versprochen. Keiner wollte zu Fuß durch die Wüste laufen, manch einer in Schuhen aus Autoreifen. Niemand wollte über Dornensteppen mäandern oder barfüßig in ausgedorrte Flussbetten geführt werden und doch nicht trinken können. Niemand von ihnen wollte sich klammheimlich über steinige Bergrücken stehlen müssen, geduckt, um nicht gesehen zu werden. Per LKW und Boot, das hatte man ihnen versprochen. Die meisten flohen vor der Armut, dem Hunger und dem Müßiggang, der sie nicht nährte. Kein einziger Mensch aus diesem Treck Junger und Älterer, Kinder und Frauen, weiß, warum Dzemila mit ihren Kindern unter ihnen war. Ashanti weiß es selbst nicht. Aus Sicherheit, wie Mutter sagte.
Obwohl sie nicht vor den anderen weinen will, kommen die Tränen und mischen sich mit dem Schweiß. Verstohlen schaut sie nach Mbalu, der hin und wieder ein Kommando gibt, das sie nicht versteht. Er hat dieselbe Haut, aber seine Sprache ist ihr fremd. Zum Glück spricht er auch portugiesisch wie sie und englisch im Kauderwelsch durcheinander. Daraus kann sie ein paar Brocken schöpfen…
Ashanti ist minutenlang abwesend. Wenn sie sich intensiv mit einer Sache beschäftigt, bekommt sie von den Dingen um sie herum nichts mit. Ihr Zuhause beschäftigt sie so stark, ihre geliebte Mama, ihr sauberes Haus mit dem gefegten Hof, der Toilette und dem Gärtchen mit Papaya-Bäumen und Kohlpflanzen und Zwiebeln. Noch immer abwesend, streichelt sie über Kanzis Kopf. Er verharrt reglos, nur die verschwitzten Wangen zucken und sein Haar glänzt von winzigen Schweißperlen.
Wie stets in der heißen Zeit sitzt sie ebenso still, ebenso seltsam apathisch da, wie die Leute um sie herum. Die Menschen verhalten sich, als begingen sie noch immer ein Trauerritual, gespenstisch, und doch kraftschonend, wenn sie es richtig bedenkt.
Kurz darauf kriecht die noch kürzlich von ihrem Mann geschlagene Frau dichter zu Ashanti heran. Sie sagt, dass es die Männer nicht so meinen, wenn sie mal zuschlagen. Und weil Ashanti nicht spricht, fragt sie ganz leise nach deren Vater und warum er nicht dabei sei. Ashanti weint still. Zu antworten fällt ihr nichts ein. Sie waren seit Monaten gezwungen, die Wahrheit zu verschweigen. Ob das noch immer vonnöten ist, weiß sie nicht. Vielleicht hätte sie unter all den Menschen in dieser Frau eine Fürsprecherin, wenn es brenzlig wird. Vielleicht. Dazu müsste sie mit der Frau reden, was sie nicht für nötig hält, weil die Frau sich selbst nicht schützen kann. Wenn sie doch bloß nicht so viel Angst vor dem Manne hätte…
Ihr Vater, Dikembe, war nicht gewalttätig. Nicht gegen Mutter Dzemila und nicht gegen seine Kinder. Er war ein Zugereister, der aus Liebe seine Heimat verlassen hatte, aber in Mutters Heimat nie anerkannt war. Zu schön war seine Frau und zu begehrt von den Einheimischen, die ein Vorrecht zu haben glaubten.
Vater Dikembes Heimat lag nördlich des Kongos. Er hatte im südlichen Nachbarland nach Arbeit gesucht, aber auch hier keine gefunden. Später war er noch einmal aus selbigem Grund wieder nördlich über Grenzen gegangen. Egal, wo er etwas finden würde, sie alle wären ihm überallhin gefolgt.
Zwischen Vaters und Mutters Heimat wollten sie schließlich leben, gemeinsam. Aber auch hier wüteten Rebellen …
Im geduldigen Nichtstun harren enttäuschte Menschen aus Ländern verschiedener Herren und Götter gegen die sengende Hitze, bis ihre Schatten länger werden. Nur die Frau im grünbraunen Anzug – sie heißt Victoria, wie Ashanti jetzt weiß - knüpft etwas zwischen flinken Fingern. Ausgerechnet Victoria, der man nicht einmal ansieht, dass sie eine Frau ist, wäre nicht der vorgewölbte Oberkörper…
Das Märchen-Büchlein, aus dem jetzt die Schwester dem Bruder vorliest, steckte noch immer in Mutters Täschchen, das Dzemila eigenhändig mit Perlen bestickt hatte, die der Vater von einer Reise mitgebracht hatte.
Die Kinder wussten nicht, welche Reise er angetreten hatte und die Kinder wissen jetzt nicht, in welchem Land sie gerade sind. Die Flucht bis hierher in diese unwirtliche Welt war lang und kräftezehrend. Die Erwachsenen sagen, mit dem LKW hätten sie es längst geschafft. Wären sie nicht betrogen worden, ginge es jetzt mit dem Boot weiter.
Der nächste Aufbruch steht bevor. Wie vom heiteren Himmel kommen zwei junge Männer und bieten Ashanti an, Mutters Beutel zu tragen. Sie reden mit ihr, wie noch keiner von denen mit ihr geredet hat. Und Ashanti kann sehr freundlich sein, zu jedermann. Gegen Freundlichkeit hat auch ihre Trauer nichts. Nur Kanzi blinzelt eifersüchtig zur Schwester empor.
Einer der beiden Männer, dessen Gesicht ein paar mehr Höhen und Tiefen hat, dessen Haar steif nach oben ragt, dessen Haut fast schwarz und die Hände umso weißer sind - redet davon, dass es gut wäre, wenn zwei Flüchtlinge verschiedener Länder im Aufnahmeland heiraten würden. Da käme keiner auf die Idee, einen von ihnen zurückzuschicken. Sein Onkel habe erzählt, die egoistischen Europäer nähmen keine Leute mehr auf, die aus reiner Not über das Meer kommen. Und dann fragt er mit seltsam lauerndem Blick aus gelblichen Augen, warum Ashanti noch nicht verheiratet sei. Seine Schwester sei erst vierzehn und lebe längst bei ihrem Mann.
Ashanti lächelt nur. Sie kennt ein paar Mädchen, die jung versprochen wurden und die totunglücklich den vorbestimmten Weg in die Ehe gingen. Das gefällt ihr nicht. Sie will einen Mann, der sie liebt, so wie Vater Dikembe Mutter Dzemila geliebt hat.
Victoria, die mit ihren Kindern unweit läuft und nebenbei mit ihnen ein paar Fingerspiele macht, mischt sich ein.
»Du