Die kalten Spuren im heißen Wüstensand. Maxi Hill
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Читать онлайн книгу Die kalten Spuren im heißen Wüstensand - Maxi Hill страница 6
Inzwischen sagt der andere, der mit dem reinen Blick und der schmalen Nase, dass er das auch nicht verstehe – das, warum Ashanti noch nicht vergeben sei – weil sie doch ein so wunderschönes Mädchen sei. Victoria stimmt dem Schmalnasigen zu.
Auf einmal geht es sich ganz leicht durch den Sand. Auch der strafende Blick der Leute in ihrer Nähe kann ihre Zuversicht nicht trüben. Seit sie gemeinsam so gehen, ist Ashanti einfach nur dankbar, noch am Leben zu sein.
Die Schuhe sind längst durchgelaufen, in den Kleidern reibt der Sand. Die Augen brennen und der Kopf schmerzt bei jedem Lichtstrahl, der sie noch schwach vom Horizont her trifft. Seit Tagen steht ihnen die Sonne im Rücken. Ashanti meint, weil das so ist, hätten sie die rote Linie überschritten. Kanzi schüttelt seinen Kopf. Er weiß, dass seine Schwester sich irrt. Er hat auf alles geachtet, was unter seinen Füßen dahinzog. Vater hatte es ihm beigebracht, aus Respekt vor den Schlangen, in deren Lebensraum der Mensch eindringt, wenn er durch die Savanne wandert. Eine rote Linie habe er nicht gesehen. Die beiden jungen Männer an ihrer Seite lachen amüsiert. Bis zum nächsten Stopp tragen sie brav den Beutel von Ashantis Mutter, dann beugen sie sich den Blicken einiger Frauen und trollen sich in die Gruppe der jungen Männer zurück, wohin sie gehören, was auch Mbalu für richtig erachtet.
Nicht nur die Gespräche der Gruppe junger Männer, die nach dem Marsch in ihrer Nähe sitzen, interessieren Ashanti auf einmal. Es sind die Bilder, die einer auf seinem Handy gespeichert hat. Bilder von Hamburg. Pompöse Stadtansichten, die Elbphilharmonie, das Rathaus mit dem Jungfernstieg. Das alles weckt Begehrlichkeiten. Man lässt Asanti und alle anderen teilhaben an der offensichtlichen Euphorie. Die Männer benutzen einen der Akkus, den Mbalu aus einem einzigen Grund locker gemacht hat: Alle zum Durchhalten zu motivieren. Das Schlaraffenland ist nah…
Ohne diesen Akku hätten sie nicht einmal diese gespeicherten Bilder gesehen.
In den jungen Männern liegt eine Sehnsucht nach der Ferne, die theatralisch anmutet und doch dem puren Leben dient. Keiner bekennt, dass er reich werden oder nur die Welt erkunden möchte, die sein Horizont ihm bisher vorenthalten hat. In Wahrheit folgen sie dem Ruf der Familie, den kleinen Wohlstrand aus dem Land der Weißen auf die rote Erde zu tragen. Der Sohn habe die Pflicht, die Familie zu ernähren oder ein Häuschen zu bauen, wie es der Nachbar konnte, weil sein Sohn Geld von Europa schickt.
Ashanti lehnt an einem knorrigen Kameldornbaum und schaut verträumt ins Nichts. Europa? Wie kann es sein, dass die Welt so ungerecht mit ihren Kindern umgeht? Was haben sie verbrochen, dass sie rechtlos und verachtet ihr Leben fristen, während andere Gottesgeschöpfe im Überfluss schwelgen?
Wie kann es sein, dass die Wiege der Menschheit vor Gott kein Gewicht bekommt…
»Geh da weg«, hört sie eine der Frauen keifen. Ihr Gesicht ist wütend, ihr Fuß stapft in den losen Sand. Dann hört Ashanti noch das Wort «Puta», das schon ihre Mutter zu hören bekam und das auch sie erbost hatte.
Ashanti braucht einen Moment, um die Situation zu verstehen, einen Moment, der ihr unter den strafenden Augen der Frauen, die älter und somit automatisch die Respektpersonen sind, wie eine Ewigkeit vorkommt.
Trotzig gibt sie sich einen Ruck und lässt sich auf das Gespräch der jungen Männer ein, weil sie Kanzi in ihre Mitte aufgenommen haben. Sie ist so froh darüber, noch mehr, weil es niemanden stört. Kanzi am wenigsten. Am meisten freut es sie, dass der Bruder heute nicht weint und dass ihn die Männer nicht verjagen, wie noch Tage zuvor. Ihre Verlorenheit wird davon nicht kleiner, ihr Herz nicht leichter. Sie hat vergessen, dass sie schutzlos ist und leicht zum Freiwild werden kann, ohne die Obhut ihrer Mama. Sie will nur ein paar Dinge abfragen, die sie interessieren: Wer will von euch nach Deutschland? Wer weiß, wie die Dinge des Lebens dort laufen?
Das muss sie jetzt alles herausbekommen, weil die Mutter darüber noch nicht gesprochen hat. Gewiss hätte sie noch. Irgendwann kurz vor dem Ziel…
Einer der Männer redet davon – mehr zu sich als zu Ashanti -, dass der Staat einem Geld schenkt, damit man nicht verhungert. Ob das sein Wunschtraum ist, weiß Ashanti nicht. In Afrika testet man vorsichtig, wer sein Gegenüber ist und ob man ihm trauen kann. Keiner will sich vor einem möglichen Konkurrenten in die Nesseln setzen.
Auch andere Frauen sehen nicht gerne, wie Ashanti bei den Männern steht und mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg hält. So hat sie es von ihren Eltern gelernt und so bringt sie es fortan auch Kanzi bei. So muss sie es ihm beibringen, das ist jetzt ihre verdammte Pflicht.
Hilfe naht
Im Morgengrauen kreuzen zwei Reiter den festgefahrenen Weg. Ihre Gewänder wehen im Wind, ihre Gesichter sind mit Tüchern verhüllt, wie die der Frauen fremder Kulturen. Nur die Augen blitzen dunkel und unruhig aus dunklem Tuch. Der eine trägt ein tiefes Blau, der andere ist in Braun gehüllt. Sie stoppen die Kamele und nähern sich der Gruppe, die erschöpft vom nächtlichen Fußmarsch noch in geordneten Gruppen in der Sonne sitzt, um die Kälte der Nacht von der Haut zu treiben. Frauen und Kinder unter sich, Männer wie stets bei Mbalu, junge Männer abseits, aber mit gierigen Blicken auf die beiden halbwüchsigen Mädchen Ashanti und Fayola. Später werden sie alle in gleichen Gruppen den spärlichen Schatten aufsuchen, dem sie den Stopp verdanken. Sie stoppen immer dort, wo es Schatten gibt. So hielten sie es an jedem der letzten beiden Tage.
Einer der Reiter – ein stolzer Mann in braunen Gewändern - fragt nach dem Anführer der Gruppe. Man zeigt widerwillig auf Mbalu. Der andere, nicht weniger erhaben wirkende, schaut sich alle Menschen in ihrem unsäglichen Zustand genau an. Dann spricht er ausgerechnet mit Ashanti. Er ist freundlich und blinzelt ihr zu. Sie lächelt zurück, nimmt aber ihren Bruder sofort fest in die schützenden Arme.
Eifersüchtig verfolgt Kanzi das werbende Lächeln des Fremden. Einer Frau in der Nähe entgeht offenbar gänzlich, wie wenig Ashanti bereit ist, auf die Worte des Fremden einzugehen, obwohl sie die einzige in der Gruppe ist, die seine Sprache ein bisschen versteht.
Das von Mühsal gezeichnetes Gesicht der empörten Frau erinnert Kanzi an seine Mutter, auch wenn Mama Dzemila schöner war, viel schöner. Diese Frau spricht weder seine Sprache noch ein bisschen Englisch, wie die meisten jungen Männer, die sich erst nach und nach der Gruppe angeschlossen hatten und mit denen Kanzi hin und wieder ein Steinspiel macht. Die einfachen Leute sprechen nur die Sprache ihres Volkes, was jedes Verstehen erschwert. Kanzi wendet seinen Kopf noch einmal zu dieser griesgrämigen Frau. Zu spät. Leichten Fußes sieht er sie auf Mbalu zuschreiten und schon bald ist sie in der Menge der Leiber untergetaucht, die einen der fremden Reiter umringen.
Die beiden Beduinen steigen nicht von ihren Kamelen, aber sie scheinen es gut mit der Gruppe zu meinen. Sie wissen genau, wie es Menschen geht, die seit Tagen nur Wüste sehen, die seit kurzem zu Fuß durch die Einöde stapfen, schwerfällig und enttäuscht, weil ihre Helfer keinen neuen LKW organisieren konnten. Oder wollten…?
Der im blauen Bidhan kommt zu dem zurück, der mit Mbalu gesprochen hat. Sie reden etwas und der Blaue deutet mit den Augen zurück zu Frauen und Kindern. Der andere hebt seinen Kopf und stimmt irgendetwas zu, was niemand versteht. Dann fordern sie Mbalu auf, die Menschen zu formieren und ihnen zu folgen. Sie führen die Gruppe aus ungefähr dreißig durstigen Leuten sehr zielstrebig über die nahen Hügel, die die Gruppe meiden wollte, aus Vorsicht. Man könne ihnen vertrauen, sagen die Männer. Hinter den Hügeln gebe es eine verborgene Stelle, die bestens geeignet sei für das Warten auf Hilfe. Keiner folgt den Fremden mit Lust und Glauben, aber sie haben keine Wahl, wenn sie nicht elendig in der unendlichen Öde verdorren wollen. Nach zwei Stunden Fußmarsch gibt es tatsächlich Wasser und einen guten