Das unglaublich unglaubwürdige Leben des Hannemann. Hans-Dieter Heun
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„Stinkt er aus dem Maul?"
„Manchmal. Und aus dem Mund! Ich sagte Mund, und nach Droge A. Dann aber ebenfalls aus der Haut."
„Kann man, der Mensch, das fühlen?"
Es musste der erste November gewesen sein – das war wichtig – vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren an einem Nachmittag auf dem Blumenmarkt in Monte Carlo. Die Blonde und er verbrachten einige Tage zur erotischen Auffrischung in Südfrankreich. Den Abend zuvor hatten sie herrlich gefressen und gesoffen, möglicherweise sogar noch gevögelt, aber daran konnte Hannemann sich am Morgen danach nicht mehr erinnern. Kater, Katzenjammer, dröhnende Kopfschmerzen, pelzige Zunge, brennender Durst und Gestank aus der Haut. Die Rache seines Körpers gegen die schleichenden Gifte von Champagner, Weißwein, Rotwein und Cognac. Gut möglich, es war alles ein bisschen viel gewesen, aber alles war leider auch furchtbar lecker.
Die äußerst liebenswürdige Gattin eines äußerst begnadeten monegassischen Koches hatte eine überragende Fischsuppe zelebriert und ihm auf sein von mehreren achtzigjährigen Hennessy begleitetes Drängen großzügig und sehr offenherzig – ihr Dekolleté kam in sein Gedächtnis – das Rezept überlassen:
Filets von Petermännchen, Goldbrasse, Seeteufel und Wolf, Dornhai und Knurrhahn werden mit verschiedenen Muscheln, kleinen Tintenfischen, Garnelen und – wenn man so will, und er hatte gewollt, und wie! – zwei halben Langusten als Krönung in Safranbutter mild gebraten. Dieses herrliche Getier wird zu einer nach allen Gewürzen der Provence duftenden, goldfarbenen Suppe aus den Köpfen, Gräten und Karkassen eben dieser Meeresfrüchte serviert. Dazu reicht man Weißbrotstückchen, die in Olivenöl erster Pressung geröstet wurden, und diese Croutons tunkt man wiederum in eine Mayonnaise, welche aus Knoblauch, wenig Zitrone, Chili und den berühmten Eiern der freilaufenden Grimaldi-Hennen frisch aufgeschlagen wird. Begleitet wurde dieses Gedicht von jeder Menge gekühltem Chablis und dem erwähnten Cognac, mit der Blonden und der Wirtin ein Völker verbindender Genuss.
Am folgenden Mittag, an jenem ersten November – das war überaus wichtig –, an einem strahlend blauen warmen Herbsttag, packte er vorsichtig den übel schmerzenden Kopf und rebellierenden Magen, Handtuch plus Badehose zusammen und schlich an den türkisfarben schimmernden Kieselstrand des Golfe Bleu am Cap Martin. Seine Holde, die Blonde, überließ er ihren bis zum frühen Abend währenden Lustträumen von Unzucht mit einem göttergleichen Koch.
Die Herbstsonne heizte noch angenehm seine Haut. Er wagte unter dem Applaus der bewundernden Südländer den Sprung ins wiederbelebende Salzwasser, seine Gedanken ganz auf glückliches Empfangen gerichtet. Danach streckte er sich auf sein Tuch, schlief das Salz auf seiner Haut trocken, nahm die starken Düfte des Meeres, welche nach Körpersäften schmeckten und frische Lebenskräfte weckten, mit in kurze Träume.
So gegen zwei Uhr begann es ihn zu frösteln. Hannemann kam die Idee, die Blonde mit Blumen zu wecken. Möglicherweise vermochte er sogar durch die Blumen ihren wollüstigen Traum auf seinen durch die Sonne verwöhnten Körper nahtlos überzuleiten. Er stieg in seinen offenen Chevrolet, fuhr die Küstenstraße entlang nach Menton und besuchte die ehrwürdigen Markthallen nahe dem Hafen. Unschlüssig, mit welchen Blüten er die Schlummernde wecken sollte – Bauernweiber und Gärtnerfrauen hatten ihre Verkaufsstände mit bunten Gebinden aus Herbstblumen überreich dekoriert –, vertrödelte er zwischen Düften und Farben die Zeit.
Ein kurzgeschnittener, stolz aufrecht getragener Hinterkopf fesselte seine Aufmerksamkeit. Rotbrauner Haaransatz über zartem Nacken, fragile Figur auf schlanken Beinen in etwas schilfgrünes Zartes gehüllt. Reine, sinnliche Weiblichkeit, und sein Herz pochte wild. Déjà-vu! Die Frau hörte das Pochen, drehte sich halb, und er las in ihren erschrockenen Augen, Ingrids Augen ähnlich, diese Geschichte:
Die Schöpfung war wohlgeraten, Welt und Anderswelt, Erde und Traum. Es war gelungen, wie Ihr alles gelang. Alles war entsetzlich schön, alles war entsetzlich langweilig, und nur um für etwas Abwechslung in der ewigen Güte zu sorgen, erschuf Sie aus Ihrem Willen einen Mann und eine Frau. Sie setzte die beiden, weit voneinander entfernt, in einen paradiesischen Garten und hieß ihre Geschöpfe, sich zu finden. Sie wollte ihren Spaß.
Sie sollte ihn haben. Mann und Frau waren nur halb, zwei Hälften, die nicht zueinander passten. Die halben Menschen wussten das nicht, noch nicht, glaubten, sie seien für einander bestimmt, versuchten – ihr Befehl, Sie lächelte –, zusammenzukommen. Sie wollten sich haben. Gott, geil auf jede Form erotischen Theaters, noch mehr auf die dabei entstehenden Missverständnisse, die Streitereien, die Zerwürfnisse, hatte ihnen dieses Haben-Wollen eingepflanzt. Die Hälften gehorchten und suchten Hilfe für die Orientierung.
Bäume, die zugleich blühten und trugen, sorgten für Nahrung und den notwendigen Schatten der Entspannung, doch sie wiesen keinen Weg. Bäche und Seen, die tränkten und belebten, behielten und zeigten kein Bild des Gesuchten. Der Garten war riesig, Mann und Frau fanden sich nicht.
Der Mann, zornig bald, denn er spürte das Drängen des Triebes, versuchte, seinen Verstand und die Regeln zu gebrauchen, forstete mit System durch das Paradies. Die Frau jedoch, ebenfalls von Verlangen erfüllt, setzte sich in eine Wiese und beobachtete die Gründe für die Paarung der Tiere. Sie sah die Balz, erkannte die Wichtigkeit der Werbung und begann sogleich, Spuren zu legen. Sie lockte.
Das Weib machte weibliche Geschenke: Sie bereitete wohlschmeckende Nahrung, hinterlegte die Köder in kuschelige Höhlen, die der Herumirrende finden musste - trautes Heim, an das sich der Suchende gewöhnen sollte. Sie rupfte Gras, häufte es zu Kissen, legte sich hinein, damit das frische Grün ihre Rundungen verriet. Sie sang die schönsten Lieder, rannte hin und her, presste Schweiß und fächelte das betörende Aroma in den Wind, der Lieder und Parfüm verteilte.
Der Mann folgte den Spuren, sie fanden zusammen, und er nannte seinen Namen: Hannemann. Sie sagte den ihren: Bin, gleichklingend für Seufzen, starker Wind, Leidenschaft, Sommerhitze, tiefe Freude und Tränen. Mann und Frau vereinigten sich und glaubten weiterhin, für einander vollkommen zu sein. Sie wünschten sich sogar, dass es für immer so bliebe.
Gott lächelte, Sie kannte die nächsten Ewigkeiten. Sie allein.
„Deborah!"
War das denn möglich, hatte er soeben die eigene Stimme gehört? Selbstverständlich die eigene, er würde doch seine Stimme erkennen. Oder nicht?
„Kommst du bitte, Deborah."
Ihre Augen lösten sich voneinander.
„Ich komme." Sie verschwand in der Menge.
Damals hatte Hannemann noch nicht verstanden.
Diese von Deborah erwähnten Wächter waren Druiden, Hannemann war sich sicher. An sich hatte er mit den Gedanken an Frankreich vor seinen Schmerzen in den Morgenschlaf zu fliehen versucht, doch die Spur zu den Druiden und das unerwartete Wiedertreffen in der Sauna mit seiner Frau aus der Anderswelt, verbunden mit den Geschehnissen am ersten November – das war wichtig, sehr wichtig sogar –, Jahre zurück, ließen ihn nicht zur Ruhe kommen.
Seit vielen Jahren sammelte Hannemann Hinweise für die heutige Existenz der Druiden. Sie waren in früher Vorzeit eine intelligente Oberschicht gewesen, vertreten in allen wichtigen Belangen wie der Pflege und Verwaltung des Rechtes, tätig als Historiker, Künstler, Mediziner, bewandert in der Astronomie, Astrologie und selbstverständlich in weißer und schwarzer Magie. Er war weiterhin sehr sicher, dass jene Freigeister sich ebenso in der Gegenwart in den gleichen geistigen Schichten verbargen und ihr von Zeit zu Zeit revolutionäre Maßstäbe setzten. Er pflegte sogar Vermutungen, wo oder in welcher Organisation sie sich