Das unglaublich unglaubwürdige Leben des Hannemann. Hans-Dieter Heun
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Читать онлайн книгу Das unglaublich unglaubwürdige Leben des Hannemann - Hans-Dieter Heun страница 15
„Ich werde keine Ärztin sein! Gott verdammt noch mal, ich will keine Ärztin werden! Ich, ich will diese herrlichen Dinge machen. Ich will gläserne Briefbeschwerer blasen, irrsinnig geile Kristallkugeln mit Schmetterlingen. Schmetterlinge im Bauch der Kugeln. Schmetterlinge an den Lippen, an der Blüte zwischen den Schenkeln einer Frau. Oh mein Gott, sind Schmetterlinge guuut!" Sie brauchte eine Pause.
„Ingrid, auch wenn du meinst, dich in deinem Bett verkriechen zu müssen, das war kein Umgang für dich. Der junge Mann will Koch werden. Hast du das gehört? Koch! Außerdem habe ich da einen Kollegen auf meiner Station, den ich an die Familie binden möchte. Äußerst begabt und vielversprechend. Er kommt morgen am Nachmittag zum Kaffee, und ich will, dass du sehr nett zu ihm bist. Hast du mich verstanden?"
„Ja, Papa!"
Der Zauberer fragte Gott, ob auch Allwissen, möglicherweise durch eine Überraschung, wächst. Seltsam, das hätte Sie an sich wissen müssen.
Vormittag, das Telefon: Deborah, seine Frau in einer anderen Welt, hatte ihm kurz und bündig angeherrscht, er solle auf der Stelle in die Massagepraxis kommen. Eingehängt. Mit Stürmen in der Seele trat Hannemann an die Rezeption, um den freundlichen Empfangsengel nach der Anruferin zu fragen. Die Helferin strahlte ihm entgegen: „Ich soll Ihnen ausrichten, die Dame erwartet Sie in der Sauna."
Er dankte, beantwortete aber nicht die Neugierde, welche ihr auf der Nase tanzte. Die überraschende Intimität der Begegnung ließ ihn einen kleinen Moment zögern. Dann überwog seine Ungeduld die Bedenken, Hannemann betrat den Vorraum, der zu dieser frühen Stunde noch menschenleer war. Er legte seine Kleidung ab, blickte kurz in den Spiegel und fand sich trotz seiner Narben am Oberkörper für sein Alter noch sehr akzeptabel. Die Dame Deborah erwartete bestimmt einen todkranken Mann. Er würde sie verblüffen. Hannemann nahm sich ein Handtuch vom Stapel und trat in die trockene Hitze.
Sie war allein, betrachtete ihn ohne Scheu, gleiches tat er mit ihr. Obwohl er sie noch nie zuvor so nahe gesehen hatte – die Flüchtigkeit des Blumenmarktes war nur noch verklärte Erinnerung –, erkannte er sofort jede Einzelheit dieser wundervollen schweißfeuchten Frau, seiner ihm eigenen Frau.
„Du siehst leider sehr gut aus." Ihre Stimme in der wabernden heißen Luft, sie blickte ihm direkt ins Gesicht. Er las in ihren Augen von vielen schmerzlichen Prüfungen. Wo aber war ihr Mann, sein Alter Ego? Ohne sie zu begrüßen, fragte er sogleich mit harter Stimme: „Wo bin ich?“
„Wahrscheinlich bereits in der nächsten Kneipe und lässt dich wie üblich volllaufen." Sie sprach mit Bitterkeit, bitter, aber ohne Empörung, vielmehr mit der erschöpften Einsicht in das Unvermeidliche.
„Und wie geht es mir?"
„Es geht dir beschissen." Und dann brach es aus ihr heraus: „Was zum Teufel tust du überhaupt noch hier? Du gehörst doch schon lange in die andere Welt, hältst dich überhaupt nicht an die Übung!"
„Es tut mir wirklich leid für dich, aber diesmal habe ich es geschafft. Ich habe meinen mir eigenen Willen durchgesetzt." Hannemann hatte lange nachgedacht, was er ihr sagen wollte. Jetzt fühlte er sich sicher und überlegen.
„Setz dich, ich muss mit dir reden." Sie hielt sich wieder ruhiger.
Er nahm dicht neben ihr auf die Holzbank Platz und versuchte sogleich, seine ihm noch überaus fremde Frau wie unabsichtlich zu berühren. Doch sie rückte von ihm ab, kannte seine Wirkung.
„Es geht ihm wirklich sehr schlecht." Jetzt differenzierte Deborah, gab ihm mehr Unpersönlichkeit. „Er vegetiert nur noch zwischen den Flaschen, und du lässt ihn nicht gehen. Du quälst ihn sogar."
„Wieso?" Nun gab auch er sich den dritten Fall und wurde etwas lauter: „Er hätte genauso eine freie Entscheidung herbeiführen können wie ich auch. Er mag mein Spiegelbild sein oder sogar ich selbst, aber es waren bestimmt andere Umstände, eine andere Jugend, andere Eltern oder ein anderer Werdegang. Er hätte die Probleme nicht alle wegschlucken müssen, er hätte ihnen ausweichen können. Er kann es noch immer."
„Er kann überhaupt nichts mehr, und außerdem sind die Wächter der Anderen sauer auf dich."
„Warum, was habe ich denn Großartiges getan, und seit wann kannst du mit ihnen reden?"
„Ich kann nicht mit ihnen reden, du Depp, das weißt du genau. Sie erscheinen mir in meinen Träumen."
„Dein Liebreiz ist dir angeboren." Hannemann lächelte wegen des Deppens. „Man muss dich einfach mögen."
„Meinst du wirklich, du könntest mich mögen?“ Als wollte sie wahrhaft kokettieren, strich sie mit gespreizten Fingern durch ihr feuchtes Haar. „Aber nun mal im Ernst, du bist aus dem ewigen Kreis gesprungen. Es hatte sich alles bestens bewährt, hunderte Male, und auf einmal spielt der gnädige Herr mit seinem Willen, bringt die Ordnung durcheinander und ..."
„Millionen Jahre waren die Bäume grün, und auf einmal wurden Blätter rot. Evolution, das ist es doch, was die Damen und Herren Wächter predigen: Erneuerung durch Veränderungen aus den Voraussetzungen. Nur bei mir wollen sie das nicht gelten lassen.“ Er stutzte unmerklich, weil etwas nicht stimmte. „Und was wollen die Herrschaften in deinen Träumen von mir? Was soll ich ihrer hochgeschätzten Meinung nach machen?"
„Du brauchst gar nicht zynisch zu werden, das steht gerade dir nicht zu. Fang wieder an zu saufen, dann kriegst du einen Leberkollaps, deine Leber löst sich auf und", sie machte mit ihrer feingliedrigen Hand eine waagrecht wischende Bewegung, „alles ist im Lot."
Hannemann blickte auf die Furche zwischen ihren Brüsten, verfolgte zwei Schweißtropfen auf ihrer Bahn zu dem haarigen Dreieck. Deborah log überzeugend und sehr geschickt. Er spürte es. Sie wusste alles, trotzdem log sie. Darum und nur darum prüfte er sie ein weiteres Mal. „Kann ich ihn, Verzeihung, könnte ich mich sehen?"
„Auf keinen Fall! Es reicht, dass ich hier bin." Sie blickte ihn forschend an, als ob sie seinen Zweifel spürte. "Also, was willst du jetzt tun?"
„Ich brauche Zeit. Ich muss erst einmal überlegen. Du bist für mich eine Überraschung."
„Du willst mit Bin sprechen, habe ich recht?"
Folglich wusste sie auch von der Rechtsschläferin, und sie hatte wirklich recht: Er würde mit Bin sprechen. Außerdem wollte er sich sehen, gerade zum Trotz, und er würde ebenfalls mit diesem feuchten Weib schlafen.
„Übrigens, bevor du gehst und kalt duschst", Deborah blickte anzüglich in Richtung seiner Manneszierde, die sich kräftig streckte, „du wirst überwacht."
Deborah, eine Lichtgestalt aus seinem anderen Sein. Sie war nicht nur Botin.
„Was ist mit Riechen?" Die Neugierde des Zauberers war unersättlich.
„Was soll mit Riechen sein?"
„Einer von uns beiden hat vorgestern gedacht, dass Fühlen das Sehen, Hören, Schmecken und Riechen der Haut sein könnte. Ich glaube, das wart Ihr."
„So?