Blutige Fäden. Fabian Holting

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Blutige Fäden - Fabian Holting

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die er mir der Reihe nach auf den Schreibtisch knallte, noch von der harmloseren Art. Bis heute frage ich mich, wie diese detailreichen Aufnahmen zustande kommen konnten. Natürlich wurde ich umgehend entlassen, und als ich schon nicht mehr damit rechnete, erhielt ich von meinem rüstigen Chef einen Fausthieb ins Gesicht, der einen Cut über dem rechten Auge zur Folge hatte. Ich verließ sein Büro mit blutverschmierter Visage und gebeugter Haltung. Die Platzwunde musste im Krankenhaus mit sechs Stichen genäht werden.

      Obwohl die ganze Angelegenheit bereits zwei Monate zurücklag, meldete sich auch jetzt wieder, während ich missmutig in den Sprühregen starrte und über mein bisheriges Leben nachgrübelte, die Narbe über meinem rechten Auge mit einem unangenehmen Pochen. Ich wandte mich schließlich vom Fenster ab und betrachtete meine Büromöbel aus der Ikea-Serie Galant, die ich mir dank meiner liebevollen Mutter und ihrem grenzenlosen Verständnis zum Start in die Selbständigkeit hatte leisten können. Auch für die Miete des kleinen Siebzig-Quadratmeter-Büros in einer fast leerstehenden Gewerbeimmobilie in Hamburg-Harburg wollte meine Mutter so lange aufkommen, bis die Anzahl der Aufträge reichte, um mir meinen Traum von der Selbständigkeit mit eigenen Einkünften zu finanzieren. Ich hatte also, nachdem ich sowohl das Jurastudium, als auch meine vielversprechende Karriere in einer angesehenen Privatdetektei förmlich verschenkt hatte, den Kopf nicht in den Sand gesteckt, sondern den Schritt nach vorne gewagt. Zu meiner eigenen Überraschung ging die Gewerbeanmeldung schneller über die Bühne, als ich angenommen hatte. Da ich aus Hamburg nicht wegwollte, erschien es mir sinnlos, mich bei einer der hiesigen Detekteien zu bewerben. Mein gehörnter Chef hatte mir nämlich versprochen, höchstpersönlich dafür zu sorgen, dass ich als Detektiv keine Anstellung mehr in Hamburg und Umgebung bekomme. Da er nicht ohne Einfluss in dieser Branche war, glaubte ich ihm sogar. Ich setzte mich hinter meinen Ikea-Schreibtisch und knipste die Arbeitsleuchte ARÖD an. Mein Ultrabook ließ ich aus dem Schlafmodus erwachen und prüfte noch einmal meinen Eintrag im Online-Branchenführer, der erst seit zwei Tagen für die Öffentlichkeit sichtbar war. Leider hatte die Zeit für einen Eintrag in das gedruckte Branchenverzeichnis nicht mehr gereicht, aber wahrscheinlich war das Internet ohnehin wichtiger.

       Detektei Sven Terhagen

       Private Ermittlungen für Wirtschaftskriminalität,

       Privat- und Zivilangelegenheiten

       www.detektei-terhagen.de

       [email protected]

      Es folgten die Anschrift sowie die Fax- und Telefonnummer. Ich war mit dem Eintrag immer noch zufrieden und nahm mir vor, meine Website weiter mit Inhalt zu füllen. Zuvor kontrollierte ich noch einmal das E-Mail-Postfach, welches bis auf die Begrüßungsnachricht des Diensteanbieters leer war. Mit einer ersten Kundenanfrage hatte ich nicht ernsthaft gerechnet. Die Konkurrenz in Hamburg war groß und so hatte ich mich auf eine Durststrecke eingestellt.

      2

      Als ich gerade dabei war, meine Berufserfahrung als Detektiv zu beschreiben, schrillte die Türglocke. Ein fürchterlicher Ton, den ich mir allerdings nicht ausgesucht hatte, weil die elektronische Glocke zur Mietsache gehörte. Verwundert blickte ich von meinem Ultrabook auf. Meine Mutter konnte es nicht sein, sie war mit meinem Vater zu meiner jüngeren Schwester gefahren. An Kundschaft glaubte ich ebenso wenig, wie an den Heizungsableser. Vermutlich ein Vertreter, dachte ich und erhob mich von meinem Schreibtischstuhl TORKEL. Ich ging zur Tür und betätigte die Gegensprechanlage. »Ja bitte.« Keine Antwort. Dann klopfte es an der Tür. Das hätte ich mir denken können, schließlich war die Haustür unten noch nie verschlossen gewesen, auch nachts nicht. Mein Besuch, wer es auch immer sein mochte, war die drei Stockwerke hinaufgefahren und hatte direkt an der Bürotür geklingelt. Ich öffnete umgehend. Vor mir stand eine Frau mit gepflegtem Äußeren und nicht unattraktiv, obwohl sie ihre besten Jahre wohl hinter sich hatte. Über ihrer Schulter hing am langen Riemen eine hübsch gemusterte Tasche. Sie war sehr modisch gekleidet, soweit ich das beurteilen konnte. Ihr durchaus noch hübsches Gesicht war dezent geschminkt. Das Make-up kaschierte manche Unebenheiten darin, die das Leben dort in all den Jahren hinterlassen hatte. Sie sah mich einen kurzen Augenblick mit sorgenvoller Miene an. Dann streckte sie mir die Hand entgegen und rang sich ein Lächeln ab. Sie stellte sich mit Marion Kessler vor. »Terhagen«, erwiderte ich ernst. Ihr Händedruck war fester als ich erwartet hatte. Noch immer hielt ich es für ausgeschlossen, dass ich eine Kundin vor mir hatte. Ich dachte eher an eine andere Mieterin des Hauses, die neugierig darauf war, einen Privatdetektiv kennenzulernen. Solche Leute kannte man sonst nur aus dem Fernsehen oder dem Kino und nicht jeder glaubte wirklich an ihre Existenz. Sie bemerkte meinen überraschten Gesichtsausdruck und ihre Stirn legte sich in Falten. Etwas irritiert sah sie mich an. Ich reagierte umgehend. »Aber bitte kommen Sie doch herein.« Ich trat einen Schritt zur Seite und ließ sie durchgehen. Sie sah sich um und schien über mein übersichtliches Büro überrascht zu sein. Vermutlich hatte sie eine Detektei mit mehreren Mitarbeitern und Vorzimmerdame erwartet. Um ihrer Verwunderung ein Ende zu setzen, ergriff ich das Wort:

      »Bitte nehmen Sie doch Platz.« Ich zeigte auf den Besucherstuhl SÄRNA, von dem ich gleich zwei vor meinem Schreibtisch stehen hatte. Einen kleinen Konferenztisch und vier weitere Besucherstühle wollte ich erst anschaffen, wenn die ersten Aufträge etwas Geld ins Unternehmen gespült hatten. »Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?«

      »Sehr gerne«, antwortete sie und betrachtete kurz meine Narbe über dem Auge, die sofort zu pochen anfing. Während Frau Kessler es sich im Besucherstuhl vor meinem Schreibtisch bequem machte, ging ich rasch nach nebenan, wo sich eine kleine Küche befand. Ich hatte tatsächlich vor einer halben Stunde eine Kanne Kaffee aufgesetzt, den ich nur noch in die Thermoskanne gießen musste. Selbstverständlich war ich auf alles vorbereitet, denn das erste Gespräch mit einem möglichen Kunden war sehr wichtig, zumindest hatte dies mein ehemaliger Chef immer behauptet. Ich hatte mir also ein vernünftiges Kaffeeservice für sechs Personen mit den entsprechenden Accessoires zugelegt. Stumm, aber mit einem sanften Lächeln sah sie mir dabei zu, wie ich die Unterteller, die Tassen, den Zucker und das Milchkännchen auf den Schreibtisch stellte. Ihr Blick folgte mir, als ich noch einmal in die kleine Küche lief und mit der Thermoskanne und zwei Teelöffeln zurückkehrte. Vielleicht war sie doch meine erste Kundin, überlegte ich. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Sie musterte wieder mein bescheidenes Büro und ich hatte die Befürchtung, ihr würden Zweifel kommen, ob sie die richtige Detektei für ihr Anliegen ausgewählt hatte. Ich schenkte ein und begann vom schlechten Wetter zu reden. »Sind Sie gar nicht nass geworden?«

      »Nein, ich hatte das Glück, direkt vor dem Eingang parken zu können.«

      Ich setzte mich ihr gegenüber. Sie goss sich etwas Milch ein, nahm zwei Löffel Zucker und rührte um. Ich trank den Kaffee immer schwarz. Erst jetzt bemerkte ich die Schatten unter ihren Augen und mir fiel auf, wie müde ihr Gesicht trotz des Make-ups aussah. Sie schien einige schlaflose Nächte hinter sich zu haben.

      »Was führt Sie zu mir?«, fragte ich und mittlerweile war ich mir ganz sicher, meine erste Klientin vor mir zu haben. Bevor sie antwortete, prüfte sie den Sitz ihrer brünett gefärbten Haare, als hätte sie eine Mütze getragen, was aber nicht der Fall war. Sie war anscheinend genauso nervös, wie ich selbst.

      »Mein Sohn ist verschwunden.« Sie kämpfte gegen einen Gefühlsausbruch an und nippte rasch an dem noch heißen Kaffee. Ich hatte mir als ersten Fall etwas Leichteres gewünscht, als eine Vermisstensuche und hoffte, dass sie mir diesen Gedanken nicht ansah. Viel lieber hätte ich eine Vertragsverletzung im Krankenstand oder einen einfachen Versicherungsbetrug bearbeitet, aber das Leben war nun einmal kein Wunschkonzert. »Wie alt ist Ihr Sohn?«

      Sie zögerte einen kurzen Moment und ich befürchtete, sie könnte antworten, etwa in Ihrem Alter.

      »Er ist am 1. April dreiundzwanzig Jahre alt geworden.«

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