Blutige Fäden. Fabian Holting
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Ich überlegte kurz. »Ihr Sohn ist erwachsen, das muss nicht unbedingt etwas bedeuten.«
»Das Gleiche hat mir die Hamburger Polizei auch erzählt«, entgegnete sie mit einem resignierten Lächeln.
»Dann sind Sie davon überzeugt, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte.«
»Ja, weil es nicht seine Art ist, so lange nichts von sich hören zu lassen.«
»Ist er Ihr einziges Kind?«
»Ja.«
»Und sein Vater?«
»Ich habe ihn allein erzogen, sein Vater hat es vorgezogen, mit einer anderen Frau in die USA zu gehen.«
»Vielleicht ist er zu ihm gefahren?«
»Nein, ich habe vor zwei Tagen mit seinem Vater telefoniert. Dort ist er nicht.«
Die Frau tat mir leid. Sie saß mittlerweile etwas zusammengesunken im Besucherstuhl und wirkte sehr zerbrechlich und entmutigt. Anscheinend war sie wirklich davon überzeugt, dass ihrem Sohn etwas Schlimmes zugestoßen war. Diese Einschätzung schien mir bei einem Dreiundzwanzigjährigen vollkommen überzogen zu sein. Wahrscheinlich hatte er sich einfach nur eine Auszeit genommen und war für einige Woche nach Mallorca geflogen. Ich versuchte das Gespräch möglichst sachlich fortzusetzen und hoffte, ihr etwas Angst nehmen zu können.
»Gut, ich fasse noch einmal zusammen«, sagte ich und nahm mir Notizblock und Stift zur Hand. »Sie haben von Ihrem dreiundzwanzigjährigen Sohn seit drei Wochen nichts mehr gehört, bei seinem Vater in den USA ist er definitiv nicht. Bei der Polizei waren Sie ebenfalls. Ich nehme an, dass Sie dort eine Vermisstenanzeige aufgegeben haben.« Ich blickte fragend von meinem Notizblock auf. Sie nickte mir zu und betrachtete wieder die Narbe über meinem rechten Auge. Ich berührte sie mit den Fingerspitzen. »Eine ärgerliche Sportverletzung«, bemerkte ich lapidar. »Wann waren Sie bei der Polizei?«
»Letzten Freitag«, antwortete sie knapp und richtete sich in ihrem Besucherstuhl etwas auf.
»Gut«, sagte ich wieder und grübelte ein wenig darüber nach, wie ich weiter vorgehen konnte. »Die Polizei wird nicht viel unternehmen, da Ihr Sohn volljährig ist, es sei denn, er wäre krank, nicht zurechnungsfähig oder hätte eine Straftat begangen.«
Sie schüttelte entschieden mit dem Kopf.
»Dann wird die Polizei den Namen Ihres Sohnes an die Landeskriminalämter weitergeben. Die werden den Vorgang ablegen und warten, bis jemand gefunden oder gemeldet wird. Erst dann werden sie wieder aktiv«, fuhr ich ein wenig abwertend fort.
»Weil ich weiß, dass die Polizei nahezu nichts unternehmen wird, zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht, bin ich hier bei Ihnen«, erwiderte sie schon deutlich selbstbewusster, als zu Beginn unseres Gesprächs. Ich nickte nur und wünschte mir wieder, ich hätte die Personalchefin eines mittelständischen Unternehmens vor mir, die einem ihrer Mitarbeiter misstraute. Diese Aufgabe wäre leichter und vor allem überschaubarer gewesen. »Eine Vermisstensuche kann mit unterschiedlicher Intensität durchgeführt werden«, warf ich unvermittelt ein.
Sie sah mich ernst und zugleich herausfordernd an. »Ich möchte, dass Sie meinen Sohn Tag und Nacht suchen.«
Ich schluckte trocken und hoffte, dass Tag und Nacht nur sinnbildlich gemeint war. »Aber Sie kennen meinen Preis noch nicht«, entgegnete ich schnell.
»Da Sie neu im Geschäft sind, gehe ich davon aus, dass Sie deutlich günstiger sein werden, als die übrigen Detekteien, bei denen ich mich erkundigt habe.«
Ich sah sie überrascht an. So unbedarft, wie ich gedacht hatte, war sie doch nicht in mein Büro gekommen. Sie musste sich nach mir erkundigt haben und ich war bis zu diesem Zeitpunkt der Meinung gewesen, einer naiven Person gegenüberzusitzen, die sich die erstbeste Detektei aus dem Internet herausgesucht hatte. Ich überlegte einen Moment. Sie nutzte die Pause und fügte noch hinzu:
»Außerdem gehe ich davon aus, dass Sie wesentlich motivierter an die Sache herangehen werden, als es manch ein Kollege von Ihnen tun würde.« Scheinbar zum Beweis ihrer Aussage, sah sie sich im Raum noch einmal um, bevor sie mir wieder fest in die Augen sah. Hoffentlich hatte sie auch recht mit ihrer Feststellung. Ich nannte ihr einen Stundenpreis, der deutlich unter dem meiner Konkurrenten liegen musste. Sie sah mich zufrieden an und griff nach ihrer Tasche, die neben ihr angelehnt am Stuhlbein stand. Als sie ihre Hand wieder aus der Tasche zog, hielt sie ein Bündel Hunderteuroscheine zwischen Daumen und Zeigefinger. Ihre Fingernägel waren rot lackiert. Sie warf das Bündel auf meinen Schreibtisch.
»Ich denke, das wird für die erste Woche reichen. Ich bin zwar keine besonders reiche Frau, aber dennoch habe ich mir etwas Geld zurücklegen können. Sie können sich also schon einmal darauf einstellen, sofern notwendig, eine ganze Zeit lang nach meinem Sohn zu suchen. Falls er tot sein sollte, möchte ich darüber Gewissheit haben, verstehen Sie?«
Natürlich verstand ich, wenngleich ich nicht davon ausging, dass ihr Sohn bereits nicht mehr unter den Lebenden weilte. Wir erledigten die Formalien und am Ende unterschrieb sie den Auftrag für eine Vermisstensuche mit höchster Intensität. Dass sie es mit einem Ein-Mann-Unternehmen zu tun hatte, war ihr offenbar bewusst und schien sie nicht weiter zu stören. Natürlich hatte ich viele weitere Fragen, die sie mir alle mit größter Geduld beantwortete. Ihr Sohn heiße Sascha und wohne hier in Hamburg in einem Studentenwohnheim. Er studiere Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Marketing und sei bereits im sechsten Semester. Soweit meine Klientin wusste, hätte er derzeit keine Freundin und sei auch sonst zu ihrem Bedauern eher ein Einzelgänger. Das würde die Suche nicht unbedingt erleichtern, dachte ich. Meine Auftraggeberin wohnte in Düsseldorf und hatte bisher mindestens einmal die Woche, meist sonntags, mit ihrem Sohn telefoniert. Vor drei Wochen das letzte Mal. Danach hätte er sich nicht mehr gemeldet und sie hätte vergeblich versucht, ihn zu erreichen. Im Studentenwohnheim wisse auch niemand, wo er sei, allerdings hätte ihn auch keiner seiner Mitbewohner bisher so richtig vermisst. Ich machte mich auf einiges gefasst. Das Letzte, woran sich Frau Kessler erinnern konnte, war, dass ihr Sohn von einem Praktikum in Hamburg erzählt hatte, ohne allerdings Näheres darüber zu berichten. An der Universität wisse auch niemand etwas über seinen Verbleib. Sie hatte im Sekretariat und bei einigen Studenten aus seinem Semester nachgefragt. Es gab also praktisch keine Anhaltspunkte und etwas verzweifelt stellte ich meine letzten Fragen.
»Hat Ihr Sohn irgendwelche Hobbys oder anderweitige Leidenschaften?« Sie sah mich irritiert an, vermutlich gefiel ihr das Wort Leidenschaften nicht, weil es aus meinem Mund ein wenig anrüchig klang.
»Er ging gern mal ins Kino und wie die meisten jungen Leute auch in Diskotheken.«
»Allein oder mit Freunden?«
»In Düsseldorf hat er einen kleinen Freundeskreis, vorwiegend Schulfreunde. Wen er hier in Hamburg kennengelernt hat, kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen.«
»Hat er irgendeinen Sport gemacht?«
»Er hat im Verein Schach gespielt, aber soweit ich weiß, hat er hier in Hamburg damit nicht wieder angefangen. Er ist eher ein Stubenhocker, müssen sie wissen. Das war schon in seiner Kindheit so.« Auch das noch, dachte ich und sah ihr dabei zu, wie sie wieder in ihrer Tasche kramte. Sie zog einen Schnellhefter heraus.
»Da ich wusste, dass Sie solche Informationen benötigen werden, habe ich hier einige Notizen gemacht. Das Meiste kennen Sie schon. Aber Sie finden dort auch die Anschrift des