Kindsjahre. Sebastian Liebowitz
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Im Gegensatz zu Papa schienen meine Fragen den Herrn sehr zu amüsieren und er erkundigte sich, wem das aufgeweckte Bürschchen denn gehöre.
Papa war jedoch eher der Trinker, weniger der Redner.
„Gehören?“, knurrte er. „Der Balg gehört höchstens heim ins Bett, jawohl. Den hat mir sicher meine Alte wieder auf den Pelz gejagt. Klebt mir ständig wie eine Warze am Arsch, der Balg. Nicht einmal in der Kneipe hat man seine wohlverdiente Ruhe, nachdem man sich die ganze Woche lang jeden Tag über halbtot geschuftet hat.“
Das war an einem Donnerstag um 3 Uhr nachmittags.
Einfallsreich, wie er war, hatte er für diesen unhaltbaren Zustand aber schon eine Lösung parat.
„Wenn dir der Galgenstrick schon so gefällt, kannst du ihn ja gerne mitnehmen“, schlug er vor, nahm einen Schluck und beobachtete den Fremden erwartungsvoll mit seinen listigen Äuglein über den Rand seines Bierglases hinweg.
Der Fremde grübelte ein wenig und musste dann zugeben, dass dies gar keine so schlechte Idee sei. Seine Tochter habe kürzlich geheiratet und sei ausgezogen. Im ganzen Haus sei es nun auf einmal so still und auch seine Frau werde immer schwermütiger. Ob er sich da auch ganz sicher sei, dass er mich nicht vermissen werde?“
„I wo auch“, höhnte Papa, „der Bengel nervt eh nur rum. Einer weniger, der Brot frisst.“
Diese wenig schmeichelhaften Worte liessen den Fremden nun doch etwas zögern. Mein Vater merkte wohl, dass er die Ware vorteilhafter anpreisen musste, wenn er diese erfolgreich an den Mann bringen wollte. Nachdem er den Preis für den offensichtlichen Ladenhüter eher am unteren Ende angesetzt hatte, konnte er ja dummerweise keinen Preisnachlass mehr gewähren.
„Naja, aufgeweckt ist er, das gebe ich zu“, räumte er widerwillig ein, „der bringt dir sicher wieder Leben in die Bude.“ (Und dann etwas beiseit, damit es der Fremde nicht hören konnte: „ist auch etwa das Einzige, was der ausser Fressen und Quengeln kann.“)
Der Fremde fing nun an, sorgsam das Für und Wider einer Temporärobhut abzuwägen. Und da das Hirn sehr empfindlich auf Flüssigkeitsentzug reagiert, wurde dieser Vorgang durch ein Bierchen, es mögen auch zwei oder drei gewesen sein, unterstützt. Sowas dauert natürlich, und so war es schon früher Abend, bis er sich schliesslich doch noch ans Telefon hängte und seinem frischgebackenen Schwiegersohn telefonierte. Der tat, was ein Schwiegersohn eben so tut, wenn er es sich mit seinem Schwiegervater nicht verscherzen will. Er liess alles stehen und liegen und machte sich unverzüglich auf den Weg. So ging es nicht einmal eine halbe Stunde, da holperte sein VW Käfer schon auf den Parkplatz, wo er von seinem Schwiegerpapa in Empfang genommen und tuschelnd über den unerwarteten Fahrgast in Kenntnis gesetzt wurde, den man etwas verstohlen auf den Hintersitz verfrachtete. Diese Nacht und Nebel Aktion wurde dadurch begünstigt, dass ich ja bloss die Sachen besass, die ich am Leibe trug. Es kann eben auch seine Vorteile haben, mit, wie man so schön sagt, „leichtem Gepäck“ zu reisen. Damit entfiel natürlich auch die Gefahr, zuhause auf Mama zu treffen, die, unvernünftigerweise, wie Mütter nun mal so sind, in letzter Minute noch ihr Veto hätte einlegen können. Mama einzuweihen, hielt Papa für „vööllig“ unnötig, war er sich doch sicher, dass diese nur lobende Worte für seinen genialen Schachzug finden würde. Ganz so war es dann zwar doch nicht, aber Mama hat auch nicht gerade nächtelang durchgeheult, um es mal so zu sagen. Ein hungriges Kindermaul weniger war eben immer noch ein hungriges Kindermaul weniger, da biss die Maus keinen Faden ab.
Und während sich Mama noch wunderte, wo denn ihr jüngster Sprössling so lange blieb, fuhr dieser gerade mit wildfremden Leuten einer ungewissen Zukunft entgegen.
Im Wohlstandsexil
Die Sonne war schon längst hinter den Bergen verschwunden, als wir nach einer halbstündigen Autofahrt endlich das Haus betraten, welches für die nächsten Wochen mein Heim werden sollte. Aber vielleicht hatte sie sich auch bloss vorzeitig aus dem Staub gemacht, weil sie ahnte, was uns beiden blühte. Die Haustür war nämlich kaum hinter uns ins Schloss gefallen, da wurden wir schon von einer Dame um die fünfzig abgefangen, die aus der Küchentüre gestürmt kam. Angriffslustig einen Kochlöffel schwenkend, baute sie sich vor uns auf und wollte dann von dem netten Herrn wissen (und zwar sofort), was ihm eigentlich einfalle, so spät erst nach Hause zu kommen. Dabei streifte sie mich mit einem flüchtigen Blick, der anschliessend etwas ratlos zu der bereits geschlossenen Haustür wanderte. Ihr war nicht entgangen, dass der nette Herr die Tür bereits hinter uns abgeschlossen hatte, womit sich die Anzeichen mehrten, dass mein Besuch wohl von dauerhafter Art war. Dem netten Herrn wiederum war dieser Blick nicht entgangen und so bemühte er sich um Aufklärung, während er verlegen den Hut in seiner Hand begutachtete. Leider beschränkte er sich bei seinen Ausführungen auf die harten Fakten und hielt sich mit Zusatzinformationen, die ein Licht auf meine Anwesenheit hätten werfen können, etwas zurück. Eine nicht ganz zweckdienliche Herangehensweise, wie sich bald zeigen sollte.
„Und das ist der Sebastian, der ab jetzt eine Weile bei uns wohnen wird“, verkündete er und legte mir dabei unbeholfen die Hand auf die Schulter. Ganz so, als ob es da ausser mir noch jemanden gegeben hätte, auf den diese Beschreibung hätte zutreffen können.
Diese Worte sollten der streitlustigen Dame für einen Moment den Wind aus den Segeln nehmen. Sie schnappte nämlich nach Luft und wäre wohl rücklings auf den Hinterkopf gefallen, wäre ihr der Türpfosten nicht im Weg gewesen. So lehnte sie sich mit wogendem Busen an denselben und riss ihre Augen auf, um mich mit denselben ungläubig anzustarren. Nachdem sie den ersten Schreck überwunden hatte, ging sie schnell auf mich zu, packte mich mit finsterer Miene an den Schultern und drehte mich einmal rundherum. Vermutlich suchte sie dabei nach einer Retouradresse auf meinen Rücken, die im ganzen Trubel allerdings wohl vergessen worden war.
Nach einem vielsagenden Nicken in Richtung der Küchentür von ihrer und einem zuversichtlichen Nicken in meine Richtung von seiner Seite liessen mich die beiden schliesslich im Gang stehen und verzogen sich in die Küche. Dabei liessen sie die Tür einen Spalt offen, was mir sehr zupass kam, konnte ich doch so alles verstehen, was die beiden da tuschelten.
Es war eine weibliche Stimme, die den Schlagabtausch eröffnete.
„Sag mal, hast du jetzt eigentlich völlig den Verstand verloren? Und du sagst mir jetzt sofort, wieviel du wieder getrunken hast, und zwar auf der Stelle.“
„Naja, nur so ein..“
„Aha, wusst ich’s doch. Der Herr hat sich wieder einmal sinnlos volllaufen lassen.“
„Aber..“
„..und weil man gerade nichts Besseres zu tun hat, schleppt man irgendein Kind an, was man auf der Strasse aufgelesen hat.“
„Wieso denn ‚auf der Strasse aufgelesen‘? Ich hab..“
„Nichts hast du. Schleppt mir einfach irgendein wildfremdes Kind ins Haus. Ich glaub es nicht. Ich-glaub-es-nicht.“
„Ich dachte mir..“
„Ja, ‚denken‘ sagt er. Ich wünschte mir, du würdest einmal dein Hirn einschalten, bevor du so einen Blödsinn machst. Und was soll denn deiner Meinung nach jetzt mit dem Kind passieren, ha? Na, los, ich warte.“
„Man…“
„Man, sagt er ‚man‘. Du weisst genau, dass wieder alles an mir hängen bleibt. Du verziehst dich ja jeden Morgen und kommst