Kindsjahre. Sebastian Liebowitz
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Eine sonore Stimme erfüllte den Raum.
„Ich begrüsse Sie zum heutigen Gottesdienst“, sagte sie, und weiter, „wir feiern heute das Fest der Kreuzerhöhung..“
Aha, allen Unkenrufen zum Trotz schien es sich also doch um ein Fest zu handeln. Das Kreuz, welches vorne zu sehen war, hing wohl noch nicht hoch genug. Normalerweise feierte man zwar erst, nachdem man die Arbeit erledigt hatte, aber diese Handwerker waren ja seit jeher ein geselliges Völkchen. Die feierten ja auch schon Aufrichtfest, wenn ausser ein paar Holzbalken kaum was stand.
Ich lauschte angestrengt.
„…und singen ‚Lobet den Herrn‘“ tönte es gerade.
Kaum waren die Worte verhallt, liess ein schauriges Gewummer die Wände erzittern. Das Geräusch schien von der Decke zu kommen. Jeder Ton klebte sekundenlang in der Luft, bevor er zäh wie Pech auf die Köpfe der Kirchgänger heruntertropfte. Die fingen alle auf einmal grauslich zu singen an. Jeder sang in der Tonlage, wie es ihm gerade passte und das schräge Gejohle dümpelte träge von einer Strophe zur andern. Als hätte man einer Kuh ins Euter gezwickt. Kein Wunder, dass keiner mitschunkelte. Man konnte nur hoffen, dass der ‚Herr‘, der dermassen „gelobt“ wurde, kein Musikliebhaber war. Nach drei schier unendlich langen Strophen kehrte endlich wohltuende Stille ein.
Wieder war die Stimme zu hören.
„Lasset uns beten“, sprach sie.
So, da war es nun endlich, dieses Beten. Nun hiess es gut aufgepasst. Ich spitzte meine Ohren, um nur ja nichts zu verpassen. Dabei war ich wahrlich nicht der einzige, der keine Ahnung hatte, wie dieses „Beten“ vonstatten ging. Der seltsame Herr musste nämlich fast jeden Satz wiederholen und seinen Namen musste er uns sogar ganze drei Mal vorkauen, weil er so kompliziert war. So erfuhr ich, dass der Herr im Bademantel Kyrie Eleison hiess, und dem Vernehmen nach wohl ein schwedischer Immigrant war. Die harten Silben wollten dem recht einfach gestrickten Dorfvolk dann aber doch nie ganz richtig von der Zunge rollen und so gab Herr Eleison schliesslich händeringend auf. Frustriert wünschte er sich, irgendein Herr möge sich seiner erbarmen und richtete seinen Blick hilfesuchend zum Himmel. Dann fasste er sich erst an die Stirn, wohl weil er vom Gesang noch Kopfweh hatte, und dann an sein Herz, wahrscheinlich, weil ihm vor lauter Ärger über uns schon die Pumpe ging. So, wie er stumm seine Lippen bewegte, mochte er dabei wohl auch leise vor sich hin geflucht haben. Schliesslich riss er sich aber doch zusammen und machte gute Miene zum bösen Spiel. Er hob seine rechte Hand und winkte dann ein paar Herrschaften auf den vorderen Reihen zu, die ich aber nicht sehen konnte. Das Publikum jedenfalls nahm diese lockere Stimmung sogleich zum Anlass, sich wieder auf die Bänke plumpsen zu lassen. Herr Eleison wartete geduldig, bis das Knarren, Husten und Schnäuzen verstummt war und setzte dann an, uns eine langatmige Räuberpistole von ein paar „Jüngeren“ zu erzählen. Eine Fehlentscheidung, wie sich bald zeigen sollte. Sein Publikum, vorwiegend ja ältere Semester, zeigte nämlich wenig Interesse an den Machenschaften dieser „Jüngeren“ und gähnte bald unverhohlen um die Wette. Das lag nicht zuletzt daran, dass dem redseligen Alten auch noch jegliches Talent als Geschichtenerzähler abging. Er holperte tonlos von einem Satz zum nächsten und von einer knackigen Pointe hatte er wohl auch noch nie etwas gehört. Zudem blieben die Hauptpersonen blass, was nicht zuletzt daran lag, dass in seiner Geschichte alle „heilig“ waren. Ein Umstand, der der Unterscheidung der Haupt- von den Nebenpersonen nicht gerade zuträglich war. Dieser Paulus war heilig, der Petrus auch, die Mutter von diesem Gott sowieso und der Sohn gleich dazu, bis hinunter zur Jungfrau waren sie alle heilig, sogar der Geist. Wie wollte man da die Übersicht behalten? Mir drehte sich der Kopf.
Wie anders doch die Geschichten, mit denen der nette Herr vom Festzelt unseren Tisch zum Brodeln gebracht hatte. Seine Geschichten, wie die von der hinkenden Liesel, dem stotternden Hansi und einem Herrn mit dem komischen Namen „Tripper“, hatten Pepp und Schmiss. Gut, ich mag zwar nicht immer alles verstanden haben, aber lustig war es trotzdem.
Von lustig konnte hier keine Rede sein. Das Publikum jedenfalls goutierte seine Geschichte mit stoischem Gleichmut und als er endlich fertig war, gab es noch nicht einmal Applaus. Das passte Herrn Eleison natürlich überhaupt nicht. Sofort mussten wir zur Strafe alle niederknien und beschämt auf den Boden schauen. Der Herr neben mir war schon so frustriert, dass er wütend vor sich hinfluchte. „Gebenedeit“ schimpfte er einmal, und dann noch ein paar Wörter, dich ich aber nicht ganz verstand. So tickte eine Minute nach der anderen dahin und als wir endlich wieder aufstehen durften, gab es nicht wenige, die sich mit schmerzverzehrtem Gesicht ihre arthrosegebeutelten Knie rieben. Spätestens an dieser Stelle hätte Herr Eleison das Ruder noch mit einem kurzweiligen Schwank herumreissen müssen, um das Publikum bei Laune zu halten. Stattdessen fing er erneut an, in einer Fremdsprache vor sich hinzufaseln, obwohl ich weit und breit keinen Gastarbeiter entdecken konnte. So salbaderte er minutenlang an seinem Zielpublikum vorbei und es kam, wie es kommen musste. Bis der Alte endlich den Alk aus dem Kasten holte, war die Stimmung längst im Eimer. Dabei war der Tiefpunkt der unsäglichen Veranstaltung aber noch längst nicht erreicht. Statt uns nämlich etwas von dem feinen Roten abzugeben, kippte sich der geizige Lump das edle Tröpfchen in einem Zug allein hinter die Binde. Noch nicht einmal ein „Prost“ kam ihm über die Lippen, die er sich nach dieser Einlage genüsslich leckte. Für die armen Teufel, die sich mit knurrendem Magen in einer Reihe aufgestellt hatten, gab es nur gerade ein einziges Plätzchen. Hauchdünn, und noch nicht einmal mit Käse oder Schinken belegt. Und selbst das bekam nur, wer mit heraushängender Zunge um Nahrung flehte. So gab es nicht wenige, die, kaum dass sie an ihren Platz zurückgekehrt waren, vom Hunger geschwächt in die Knie gingen.
Ich war heilfroh, als sich nach einer Weile mein erster Kirchbesuch endlich seinem Ende zuneigte. Mir war todlangweilig, meine Knie taten mir weh und meinen Hintern spürte ich schon gar nicht mehr. So konnte ich mir ein erleichtertes Seufzen nicht verbeissen, als uns der mürrische Herr endlich mit den Worten „geht mit Gott“ in die Nacht entliess. Dieser gab sich leider nicht zu erkennen, so dass ich stattdessen mit „Vater“ den Heimweg antrat.
Zuhause in meinem Bettchen liess ich die Geschehnisse Revue passieren.
Ich war verwirrt. Da drängte man sich in eine feuchte Halle, drückte sich auf Holzbänken den Hintern platt, schürfte sich die Knie an rohen Holzbalken auf und bekam noch nicht mal was zu Trinken. Und trotzdem war die Hütte brechend voll, während in der geselligen Kneipe zwei Strassen weiter noch jede Menge Tische frei waren. Dabei wurde man dort noch persönlich vom Wirt begrüsst, man konnte sich den Bauch mit Schinkenbroten und Limonade vollschlagen und gesungen und gelacht wurde auch.
Irgendwie musste das Ganze mit dem Herrn zu tun haben, der ganz vorne am Kreuz hing. Dem hatte dieser ‚Pfarrer‘, wie ihn ‚Vater‘ nannte, nämlich zugeprostet, bevor er sich den Wein hinter die Binde gegossen hatte. Der Herr am Kreuz, soviel hatte ich schon herausgefunden, schien ohnehin sehr beliebt zu sein. Bei uns hing nämlich, wie ich herausgefunden hatte, praktisch in jedem Raum eine kleine Version und im komischen Garten hinter der Kirche mit den vielen Erdhaufen wimmelte es nur so davon.
Dem Rätsel hiess es, auf den Grund zu gehen. Und so bat ich eines Tages „Mutter“ um Aufklärung und fragte sie, wer der Herr sei und was es mit dem Kreuz auf sich habe.
„Das ist Jesus, der Sohn von unserem Herrgott“, antwortete sie kurzangebunden.
„Unser Herr Gott? Hat der auch einen Vornamen? Und warum--“
„Herrgott nochmal“, entfuhr es „Mutter“. Sogleich zuckte sie zusammen, warf einen entschuldigenden Blick zu unserem Herrn Gott und bekreuzigte sich.
„Äh, ich meine, nicht Herr Gott, sondern Herrgott. Also unser Heiland eben.“