Kindsjahre. Sebastian Liebowitz
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Das fing schon bei der spartanisch eingerichteten Halle mit den kargen Holzbänken an. Sogar an den Sitzkissen hatte man gespart. Dafür hatte man dicke Bücher auf jeden Sitz gelegt, die aber, wie ich bald feststellen musste, als Sitzunterlage so gut wie nichts taugten. Scheinbar hatte „Vater“ in der zweiten Klasse Platz genommen, denn weiter vorne war die Einrichtung bedeutend luxuriöser. Da gab es eine reich verzierte Eckbank, auf der dicke Kissen lagen, daneben war eine Küchenzeile zu sehen, die aus purem Gold zu sein schien und der Esstisch war mit einem wunderschönen Tischtuch bedeckt, welches man allerdings falsch herum auf den Tisch gelegt hatte. Während links und rechts noch der blanke Stein hervorlugte, hing das Tischtuch vorne und hinten nämlich fast bis auf den Boden. Zudem hatte man die Stühle vergessen, was erklärte, wieso noch niemand Platz genommen hatte. Aber auch sonst schien mir die Einrichtung etwas unüberlegt. So hing über dem Esstisch eine Funzel, die zwar hübsch anzusehen war, aber so gut wie kein Licht spendete. Dazu kam, dass das Ding viel zu hoch hing, was wohl auch der Grund dafür war, dass noch niemand die Birne gewechselt hatte. Dafür hatte man ein paar Kerzenständer aufgestellt, die den Raum aber mehr schlecht als recht beleuchteten. Die tanzenden Flammen warfen ein flackerndes Licht an die Wand hinter dem Esstisch, so, dass ich die Figur, die dort hing, fast übersehen hätte. Dann aber mochte ich meinen Augen nicht trauen. Anstelle eines Bildes eines röhrenden Hirschen, wie es bei uns in der Stube hing, hatte man hier eine furchteinflössende Skulptur an die Wand gehängt. An einem hölzernen Kreuz hing nämlich ein junger Mann, dem man in barbarischer Weise Nägel durch Hände und Füsse getrieben hatte. Der grausige Anblick liess mir eine Gänsehaut über den Rücken rieseln und ich wandte schaudernd meinen Blick ab. Dabei fielen mir zum ersten Mal die Malereien an der Decke auf, wo es gar seltsame Figuren zu entdecken gab. So waren ringsum ein paar milchbärtige Jünglinge abgebildet, die ausser einem Umhang zwar fast nichts trugen, dafür aber eine Art Motoradhelm auf dem Kopf hatten. Und in der Mitte waren pausbäckige Kinder mit dicken Windeln zu sehen, die Flügel wie Vögel hatten und mit diesen dümmlich grinsend um ein paar barbäuchige Rentner herumschwirrten. Durchwegs üble, bärtige Burschen, die sich auf dicken Kissen räkelten und grimmig auf die Kirchenbesucher unter ihnen starrten. Ihre durchdringenden Blicke schienen sich in mein Innerstes zu bohren und ich rutschte unwillkürlich näher zu „Vater“. Die himmlische Umgebung jagte mir auf einmal eine Höllenangst ein. Was es mit all den komischen Figuren wohl auf sich haben mochte? Es war höchste Zeit, „Vater“ um Rat zu bitten. Dabei hatte ich aber die Rechnung ohne die Herren gemacht, die rings um uns Platz genommen hatten. Diese hatten es sich offensichtlich zum Ziel gesetzt, sämtliche Unterhaltungsversuche durch Störgeräusche zu torpedieren.
„Vater, warum hat der ...“, begann ich.
„Pssst!“, tönte es hinter mir.
Ich zuckte zusammen und schielte nach hinten. Dort schüttelte ein schnurrbärtiger Herr mürrisch den Kopf. Sicher hatte ich zu laut gesprochen.
„Vater, wieso hat..“, versuchte ich es noch einmal, diesmal leiser.
„Psssst“, tönte es von vorne. Der Herr vor mir drehte sich um und warf mir einen bösen Blick zu. Aha, wohl immer noch zu laut. Meine Stimme war nun kaum mehr zu hören.
„Vater, weshalb....“
„Pssssssst“, machte der Herr links von mir und schüttelte empört seinen dicken Kopf.
Trotzdem wollte ich noch einen letzten Versuch riskieren. Ich lehnte mich zu Vater und flüsterte ihm ins Ohr. „Vater…“, hauchte ich.
„Psssssssst!“, machte dieser und legte sich vielsagend den Zeigefinger an die Lippen. Ringsherum drehte man sich zu mir um und warf mir vorwurfsvolle Blicke zu. Ich wich beschämt den Blicken aus. Sicher hatten jetzt alle bemerkt, dass ich noch nie in einer Kirche gewesen war. Was für eine Blamage. Was musste jetzt wohl „Vater“ von mir denken, der mir sein Vertrauen geschenkt und mich mitgenommen hatte? Sicher bereute er seine Entscheidung bereits. Aber wie hätte ich auch wissen sollen, dass man sich in so einer Kirche nur mit „Psst“ Lauten unterhalten darf, wenn überhaupt? Jetzt galt es, „Vater“ zu zeigen, dass auch aus mir noch ein rechter Kirchgänger werden konnte. Meine Chance kam, als sich der Herr neben mir räusperte. Sofort glotzte ich ihn vorwurfsvoll an, schüttelte dazu heftig meinen Kopf und machte „Pssssssssssssssst“.
Irgendwie muss ich dabei aber wohl etwas falsch gemacht haben, denn dem Herrn schoss auf einmal das Blut in den Kopf, dass er wie eine behaarte Tomate aussah. Dazu grunzte er etwas, was sich wie „frecher Bengel“ anhörte. Wenn ich auch nicht ganz sicher sein konnte, weil er ja recht schwer zu verstehen war, so, wie ihm der Schaum vor dem Mund stand. Dennoch, diese Kirchensprache war wohl doch komplexer, als ich angenommen hatte. So kamen, dem Verhalten des Herrn neben mir zu urteilen, wohl auch nonverbale Kommunikationstechniken wie Zähnefletschen und Fäusteballen zum Einsatz. Da war es wohl besser, wenn ich mich mit weiteren Kommentaren vorerst zurückhielt. Mit Schläfenadern so dick wie Fahrradschläuche war schliesslich nicht zu spassen. Wenn die Dinger platzten, gab es sicher eine Riesensauerei. Nicht zum ersten Mal sehnte ich mich in die heimische Stube zurück. Diese „Kirche“ entpuppte sich je länger, je mehr als unwirtlicher Ort. Die harten Holzbänke, die seltsamen Zeichnungen an der Decke, das unfreundliche Volk. Ganz zu schweigen vom grausigen Wandschmuck. Und trotzdem war die Hütte brechend voll mit Leuten, die, wie es „Mutter“ ausgedrückt hatte, die „heilige Messe feiern“ wollten. Sicher hatte sie da etwas falsch verstanden. Die übellaunige Bande feierte doch höchstens den Weltuntergang.
Wenn ich da an das Fussballturnier vor ein paar Wochen zurückdachte. Da hatte die Stimmung im Festzelt geradezu gebrodelt, gar kein Vergleich zu hier. Da wurde gesungen und gelacht, dass kein Auge trocken blieb, und das, obwohl die Bänke auch nicht bequemer gewesen waren, als hier. Dafür wurde wacker Bier getrunken.
Das Wichtigste überhaupt bei einer jeden Veranstaltung, wie mir ein netter, wenn auch etwas rundlicher Herr verraten hatte, der mir gegenüber sass.
„Hast du wacker Bier im Ranzen, lässt es sich auf jeder Beerdigung tanzen“, hatte er lauthals verkündet und seinen Bierkrug geschwenkt. Ein Spruch, der sogar „Vater“ zu hemmungslosem Kichern animierte. Natürlich wollte ich auf der Stelle auch einmal einen Schluck von diesem tollen Getränk probieren. Das aber wollte „Vater“ partout nicht zulassen, wiewohl dem Wundertrank vom netten Herrn gegenüber geradezu Zauberkräfte zugeschrieben wurden. Es gäbe nichts, was durch Bier nicht noch besser gemacht werde, tönte er, was rundherum mit kräftigem Nicken quittiert wurde, bei „Vater“ aber für Stirnrunzeln sorgte. Und als der nette Herr mit dem hochroten Kopf auf meine Nachfrage hin ansetzen wollte, mir die Bedeutung von „Schönsaufen“ erklären zu wollen, griff er ein und lenkte das Gespräch auf ein weniger verfängliches Thema.
Er würde sich nicht wundern, wenn die „Kürblisberger Tigers“ dieses Jahr wieder den ersten Platz holen würden, bemerkte er, und zack, gab es unter dem Tisch für den netten Herrn einen Tritt gegen das Schienbein, den dieser mit lautem Schmerzgeheul quittierte.
Plötzlich hörte man eine Tür knallen. Unruhe machte sich breit. Zwischen den Köpfen der Männer vor mir erspähte ich eine Gestalt, die mit schnellen Schritten auf den Stammtisch zuging. Es schien sich wohl um den Chef der Truppe zu handeln, der gerade erst aus dem Bett gekrochen war. Statt eines Anzugs, wie die meisten seiner Zuhörer, trug er nämlich bloss einen schlechtsitzenden Morgenmantel, der zudem wie ein Sack an ihm herunterhing. Sogar das Badetuch, welches er für die Rasur verwendet hatte, hing ihm noch über den Schultern. Er postierte sich breitbeinig vor dem Stammtisch und funkelte dann finster in die Runde. Der Anblick des immer noch ungedeckten Esstischs hatte ihm wohl die Laune verdorben. Statt schon mal mit dem Ausschank zu beginnen, stand das Bedienungspersonal in den weissen Kutten nämlich bloss untätig herum