Kindsjahre. Sebastian Liebowitz

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Kindsjahre - Sebastian Liebowitz

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willkommenen Schutz vor lärmigen Nachbarn. Da pöbelte niemand mitten in der Nacht besoffen rum, es gab keine Rabauken, die wildes Indianergeheul ausstossend ums Haus tobten, Fensterscheiben waren von Pfeilen sicher, der Briefkasten wurde nicht zum Marterpfahl, die Gartenmöbelabdeckung nicht zum Indianertipi umfunktioniert und die Gartenlaube ging nicht als Feueropfer an den grossen Manitu in Flammen auf.

      Zumindest, bis wir nebenan einzogen.

      Danach war mit dem Einklang von Seele und Natur erstmal Schluss. Dafür sollte der Missklang mit den Nachbarn die Wochenenden beherrschen. Nicht, dass sich Herr Doktor etwas anmerken hätte lassen und auch seine Frau war die Höflichkeit in Person. Trotzdem führte das Überangebot an unwillkommener Unterhaltung - die beiden waren kinderlos und vieles deutete darauf hin, dass dies beabsichtigt war - schon bald dazu, dass Herr und Frau Doktor nur noch selten im Ferienhaus weilten. Und schon nach wenigen Wochen hatten sie die Nase voll und versuchten, die mittlerweile nicht mehr so idyllisch gelegene Immobilie abzustossen.

      Leider waren ihre Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt. Interessenten gab es zwar zuhauf, das schon, aber aus irgendeinem Grund kamen die Verhandlungen nach einer Besichtigung des Häuschens (und deren Umgebung) stets ins Stocken. Natürlich waren auch hartnäckigere Charaktere dabei, die bei der mittlerweile spottbillig angebotenen Immobilie das grosse Geld witterten, aber selbst die verloren ihr Interesse, wenn Papa den Fremdenführer gab.

      Dass dieser jeweils zugegen war, wann immer Interessenten sich das Häuschen ansahen, kam nicht von ungefähr.

      Der Trampelpfad ins Dorf war nämlich nüchtern eine Herausforderung, besoffen eine Gefahr für Leib und Leben. Und da Papa selten nüchtern, dafür aber umso häufiger besoffen war, machte er sich kurzerhand die Not zur Tugend und soff nur noch zuhause. Dabei leistete ihm Mama immer öfters Gesellschaft. Ihr mangelte es an Abwechslung und so suchte sie diese immer öfters auf dem Boden einer Bierflasche. Fündig wurde sie jedoch nur selten, womit sie gezwungen war, die Suche regelmässig wiederaufzunehmen.

      So kam es, dass die beiden den grössten Teil ihrer Freizeit in trauter Gemeinsamkeit am Küchentisch sitzend verbrachten und dabei mit leerem Blick auf das Tischtuch starrten. Meine Eltern hegten zum uralten Wachstuch eine innige Beziehung. Gerüchtehalber war sogar von Adoption die Rede, die aber nie über das Planungsstadium hinauskam.

      Die seltsame Zuneigung lag darin begründet, dass das Tischtuch aufgrund jahrelanger Fuselbesprenkelung über einen recht beachtlichen Alkoholgehalt verfügte. Es dankte den beiden die liebevolle Zuwendung, indem es wacker Alkoholdämpfe von sich gab und so für den kleinen Extrakick sorgte, wenn sie wieder einmal mit dem Kopf auf der Tischdecke vor sich hindösten.

      Die Tatsache, dass man einem schlichten Wachstuch weit mehr Aufmerksamkeit als den eigenen Kindern zuteilwerden liess, gipfelte nicht selten in unschönen Eifersuchtsszenen. Schliesslich sollte es noch Jahre gehen, bis Hans soweit dem Alkohol verfallen war, dass seine Rülpser einen ähnlichen Alkoholpegel vorweisen konnten. Bis dahin war er jedoch längst abgenabelt und in den Genuss seiner Rülpser kamen höchstens noch seine Freundinnen, die diesem Effekt aber wenig Positives abgewinnen konnten.

      Das Bild, welches sich in den nächsten Monaten in unserer Küche bieten sollte, hatte durchaus etwas von einem Proletarier-Stillleben. Die Früchte fehlten zwar, dafür sorgte eine ständig alternierende Auswahl von Bier- und Weinflaschen für Abwechslung. Sonst änderte sich nicht viel, wenn man von den gelegentlichen Abstechern meiner Eltern auf das Plumpsklo absieht. Dieses schloss direkt an die Küche an, was sich als äusserst günstig herausstellen sollte, denn der Weg dorthin wurde ja nicht selten mit von übermässigem Alkoholgenuss wacklig gewordenen Beinen in Angriff genommen. Etwas weniger günstig war das vom Aroma her. Meine Mutter hatte nämlich die Angewohnheit, zumindest das kleine Geschäft bei offener Tür zu verrichten, um dabei den Küchentisch im Auge behalten zu können. Vor allem, wenn der Fusel zu Neige ging, kamen die beiden schon einmal durcheinander und tranken dann „versehentlich“ aus dem falschen Glas. Das musste natürlich verhindert werden und so hielt Mama ständigen Blickkontakt zu „ihrem“ Bierglas (wobei sich stets auch ein bisschen Sehnsucht in ihrem Blick spiegelte, aber das nur nebenbei). Natürlich war die Art des „Geschäftes“ eher zweitranging. Ein Plumpsklo hat ja die Eigenart, immer zu stinken, egal, ob gross oder klein. Und wenn überhaupt kein Geschäft ansteht, stinkt es sogar noch mehr. Zumindest, wenn der Deckel nicht aufliegt, was bei uns so gut wie immer der Fall war. Vom Trennungsschmerz überwältigt, verzichteten die beiden nämlich auf jeden überflüssigen Handgriff und eilten hurtig an den Küchentisch zurück. Die Betonung liegt dabei auf „jeden“ überflüssigen Handgriff.

      So eine Klopapierrolle hielt bei uns gute zwei Wochen.

      Damals war man halt noch nicht so pingelig, für etwas trug man schliesslich Unterhosen. Eine pro Kind reichte völlig, man musste sie ja nicht immer gleich herum tragen. Getauscht wurde grundsätzlich nur, wenn die alten Unterhosen bereits in Fetzen am Körper hingen. Und selbst dann durfte man nur die alten Unterhosen seines Bruders austragen. Schön eingetragen und markiert mit dem damals üblichen Liebowitz’schen Corporate Design. Mit ähnlichen Streifen hatte es ja auch ein grosser Sportartikelhersteller zu Berühmtheit gebracht. Nur, dass diese etwas prominenter auf den Hosen platziert waren und auch von der Farbvielfalt her mehr zu bieten hatten als Braun auf Weiss. Zudem kamen sie ohne Eigengeruch daher, was der Popularität des Designs auch nicht geschadet haben dürfte.

      Schön eingetragene Unterhosen mit Racing Streifen, eine Mutter, die sich sogar mit einem unterhielt, wenn sie auf dem Plumpsklo sass, Eltern, die viel Zeit für ihre Kinder hatten, das hatte schon was. Armut und gemeinsame Unterwäsche verbindet eben.

      Gegen so etwas konnte damals noch nicht einmal mein Mitschüler Tristan anstinken.

      Der Schnösel war zwar Einzelkind und Sohn eines Rektors einer Privatschule in der Gegend, aber obwohl er von seinem Vater ständig mit dem Porsche durch die Gegend gekarrt wurde, kam es, nicht nur mangels passendem Equipment, sicher nie zu einem Plumpsklo-Schwatz in trauter Familienrunde. Die Ärmsten hatten nämlich noch nicht einmal ein Plumpsklo. Es gibt eben Dinge, die man sich mit Geld nicht kaufen kann.

      Zugegeben, dass uns Plumpsklo Geruch um die Nase wehte, während wir uns die Bäuche vollstopften, war eher selten der Fall. Zwar mangelte es nicht am Plumpsklo Geruch, welcher, da billig, massenhaft vorhanden war, aber wir hatten schlichtweg nichts zu beissen. Die Gelegenheiten zu einem Schwatz mit Plumpsklo-Odeur hielten sich also schon alleine deswegen in Grenzen. Und wenn es was zu beissen gab, stand meist ohnehin bloss dünner Zichorien Kaffee und trocken Brot auf dem Speiseplan, manchmal sogar mit Marmelade in der beliebten Geschmacksrichtung „Brombeer-Plumpsklo“. Dazu gab es von Mäusen angefressenes Brot, welches, mit zahlreichen Mauskötteln garniert, auch gut als Vielkorn-Biobrot hätte durchgehen können.

      Die frugale Kost hatte weitreichende Auswirkungen. Dazu gehörte, dass Mama immer weniger Gelegenheit hatte, am Herd zu stehen. So schwang sie den riesigen Kochlöffel bald nur noch, um uns damit den Hintern zu versohlen. Das soll nun nicht heissen, dass sie eine schlechte Köchin war, ganz im Gegenteil. Nur gab es nach dem verfrühten Ableben unserer beiden Hasen kaum mehr Gelegenheiten, bei welchen sie ihre Kochkunst hätte unter Beweis stellen können. Aber wenn, dann konnte sie aus jedem überfahrenen Dachshund noch ein leckeres Ragout zaubern. Und manchmal, so meine Vermutung, wohl auch nur aus Hund, ganz ohne Dachs. Hätten wir an der Autobahn gelebt, würden wir heute wohl alle an Gicht leiden, so aber blieb Fleisch ein seltener Genuss. Nicht nur darum wird der Nationalfeiertag, an dem Tante Gerti eine Wurst für jeden spendierte, wohl für immer unvergessen bleiben.

      An diesem Nachmittag hatte sich die ganze Familie auf der Wiese versammelt, um die Ankunft der mit Spannung erwarteten Würste..

      Entschuldigung, noch mal von vorn.

      ..um die Ankunft der mit Spannung erwarteten Tante Gerti mitzuerleben.

      Als

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