Kindsjahre. Sebastian Liebowitz
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So war „Mutter“ wenig erfreut, als ich ihr eines Tages mit meinem Schnupftuch beim Geschirrtrocknen zur Hand ging und auch als Brillenputztuch für „Vater“ konnte ich damit nicht wirklich punkten. Umgekehrt konnte er es nicht ausstehen, wenn man in dasselbe schnäuzte, was ich sehr seltsam fand.
Und auch meine Idee, mein Schnupftuch als Serviettenersatz bei einem der seltenen Restaurantbesuche zu verwenden, fand keinen Anklang. Womit sich auch das etwas säuerliche Lächeln der Serviertochter erklärte, als ich ihr stolz den mittlerweile recht verklebten Stoffballen unter die Nase hielt.
Dass man in einem Wirtshaus nicht nur trinken, sondern auch essen konnte, war mir hingegen neu, und auch zahlreiche andere Verbesserungen meiner Lebensumstände sollten bei mir für Wohlgefallen sorgen. Im Vergleich zu zuhause lebte es sich bei meinen Ersatzeltern nämlich wie im Schlaraffenland. Jeden Tag schlug man sich pünktlich morgens, mittags und abends den Bauch voll und vor dem Zubettgehen gab es sogar noch ein Täfelchen Schokolade. Und am Sonntag gab es immer Hefekuchen zum Frühstück und Rindsbraten zu Mittag satt.
Dieses Schlemmerleben mochte ich bald nicht mehr missen.
Ich wünschte mir, ich könnte dasselbe vom Kirchenbesuch behaupten, zu dem man mich gleichentags nötigte.
Ab in die Kirche
Ich mag mich noch gut an meinen ersten Kirchgang erinnern.
Frömmelnde Leser werden nun sicher frohlockend „Hosanna“ rufen und den Grund dafür in einem religiösen Schlüsselerlebnis vermuten.
Nun, ganz so war es leider nicht.
Dafür blieben einfach zu viele Fragen offen. Da war zum Beispiel die Sache mit dem Blut Christi, welches zu Wein werde. An diesem Trick hatte sich Papa auch schon versucht, war aber immer an der 3 Promille Grenze gescheitert. Im Blut von Christi musste wohl irgendeine Ingredienz enthalten sein, die der Umwandlung zu Wein förderlich war. Zudem konnte der Gute ja meist auf göttlichen Beistand zählen, während Papa höchstens häuslicher Widerstand gewiss war. So hatte auch er sein Kreuz zu tragen, in gewisser Weise.
Es waren aber eher grundsätzlichere Fragen, die mich vor meinem ersten Gottesdienst beschäftigen sollten. So zum Beispiel, was eine „Kirche“ überhaupt war und vor allem, warum man da unbedingt hin musste, wo es zu Hause doch grad so gemütlich war.
Natürlich hatte ich schon im Vorfeld versucht, mir ein gewisses Grundwissen anzueignen. Dies gestaltete sich jedoch schwieriger als erwartet, denn „Mutters“ ausweichende Antworten waren nicht dazu angetan, Licht ins Dunkel zu bringen.
„Eine Kirche ist, äh, nun, äh, eine Kirche halt“, hatte sie gestammelt und mir dabei zum hundertsten Mal nervös den Kragen zurechtgezupft.
„Aha, und was macht man da?“
„Man, äh, feiert die heilige Messe.“
„Man feiert? So mit Luftballons und Tischbomben und so?“
„Äh, nicht so ganz. Man betet eher.“
„Beten? Das ist aber eine komische Feier. Wie betet man denn da?“
Mutter blickte mir streng ins Gesicht.
„Du willst mir doch nicht sagen, dass du nicht weisst, wie man betet?“
„Doch.“
„Also man betet, um, nun ja, äh, weil man..äh“, stammelte sie, während ihre Hände nervös über ihre Schürze strichen, „also sozusagen, in gewisser Weise, äh..“ Sie gab sich einen Ruck. „Halt so wie wir es immer machen, wenn wir bei Tisch sind. Das nennt man dann ein Tischgebet.“
Damit konnte ich etwas anfangen.
„Ach so, und ich hab mich immer gewundert. Wofür ist das denn, dieses Tischgebet?“
„Das weisst du doch selbst, schliesslich betest du es jeden Mittag und Abend.“
„Äh, wenn ich ehrlich bin, mach ich bloss immer ‚müml-müml-müml‘. Ihr haltet euch ja immer die Hände vor den Mund und nuschelt so, das versteht ja keiner.“
„Aha, soso“, nickte „Mutter“. „Darüber reden wir dann besser mal mit ‚Vater‘, damit er dir mal zeigt, wie man richtig betet.“
„Und wofür man betet.“
„Na, das solltest du mittlerweile ja wirklich wissen. Man betet, um sich für die Gaben zu bedanken, die der Herr uns beschert hat.“
„Welcher Herr denn?“
„Also, der Herr ist der, der uns unser Essen beschert, äh, gegeben hat, so quasi.“
Ich überlegte kurz.
„Aha, das ist sicher der Herr im blauen Kittel, der im Laden immer die Regale auffüllt. Aber bei dem könnte man sich doch auch persönlich bedanken, der würde sich doch sicher freuen.“
„Mutter“ schüttelte empört ihren Kopf.
„‘Der Herr im blauen Kittel‘, also, wie kommst du denn da drauf? Gott kann man doch gar nicht sehen, weil er nämlich unsichtbar ist.“
„Unsichtbar?“ Ich warf einen nervösen Blick über meine Schulter. „Das heisst, er könnte jetzt direkt hinter mir stehen.“
„Genau, Gott ist nämlich überall.“
„Wie kann dieser Gott denn überall sein und gleichzeitig hinter mir stehen? Also, ich versteh das nicht.“
„Das ist ganz einfach, Gott ist überall, er hört alles und sieht alles. Denk daran, wenn du wieder einmal sündigst.“
Ich schluckte trocken. Die Vorstellung, dass mir sogar jemand beim Pieseln zuschaute, liess mich erschaudern. Ich war da sehr eigen, wenn mir jemand zusah, bekam ich keinen Tropfen raus. Mir schwante Übles. Gar am Ende bekam ich noch eine Blasenentzündung, weil ich nicht mehr pieseln konnte. Das wollte ich jetzt genauer wissen.
„Und dieser Gott steht also bei uns in der Küche und hört zu, wenn wir das Tischgebet sprechen?“
„Naja, er steht nicht direkt bei uns in der Küche, aber er hört trotzdem alles.“ Sie nickte bestimmt. „Und darum hört er auch, wenn wir uns für die Speisen bedanken, denn ohne ihn hätten wir ja nichts.“
„Das ist aber komisch“ sagte ich. „Roland, der gegenüber wohnt, sagt, dass sie nie so ein Tischgebet sprechen und trotzdem täten sie leben wie die Maden im Speck.“
„Roland ist ein Idiot.“
Und auch „Vater“ hatte sich zu diesem Thema bedeckt gehalten.
„Du wirst schon sehen“, hatte er verlauten lassen und sich energisch seinen Hut auf den Kopf gestülpt.
„Äh, was denn sehen?“
„Jetzt