Vergeben und Vergessen. Jenny Kutzner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Vergeben und Vergessen - Jenny Kutzner страница 6
Damals bezeichnete ich meine Situation ein Stück weit sogar als Glück und war dankbar, dass mir die Erinnerungen an die Katastrophe erspart blieben. Besonders nach dem Erlebnis im Krankenhaus, als mich die erste Erinnerung heimgesucht hatte, konnte ich gut und gerne darauf verzichten.
Nachdem mich Peter nach Hause gebracht hatte, ließ ich das Thema ruhen. Wir redeten nicht mehr darüber und einige Wochen ging das auch gut. Peter hatte mich überredet eine Auszeit zu nehmen. Er meinte, dass unsere Kollegen mir wohl Löcher in den Bauch fragen würden und dass dann alles wieder hochkommen würde. Also blieb ich zu Hause und ging selbst Freunden und Bekannten aus dem Weg. Peter half mir dabei und wimmelte unsere Freunde bereits an der Haustür ab, wenn sie dann nach unzähligen unbeantworteten Anrufen vorbeikamen. Nach und nach verschwanden sogar die täglichen Berichterstattungen aus den Medien, während mir langsam aber sicher die Decke auf den Kopf fiel. Anfangs versuchte ich unsere Wohnung neu einzurichten, doch egal was ich auch unternahm, das Gefühl von Heimat wollte einfach nicht zurückkommen. Also gab ich es schließlich auf. Ich wollte nur mein altes Leben wieder. Ich wollte wieder arbeiten, recherchieren, Interviews führen und vor allem wollte ich wieder schreiben. Also holte ich nach Wochen der Abstinenz meinen Rechner wieder hervor. Der Akku war vollkommen leer und es dauerte eine Weile bis er hochfuhr. Wie früher, wollte ich meine Emails checken – der Posteingang musste mittlerweile überquellen – doch eigenartigerweise ließ sich mein Account nicht öffnen. Wahrscheinlich hatte ich einen Fehler bei der Anmeldung gemacht, immerhin hatte ich die Anmeldedaten eine ganze Zeit schon nicht mehr benutzt. Gerade als ich es erneut versuchen wollte, kam Peter aufgeregt durch die Tür. Er erzählte mir, dass er einen neuen Job als Chefredakteur in einer anderen Stadt angenommen hatte. Niemand würde uns kennen. Wir würden von vorne anfangen können. Er hatte sogar schon ein Haus für uns gefunden. Es war bereits alles geregelt. Wir mussten nur noch unterschreiben, und das taten wir auch. Ich war dankbar aus unserer alten Wohnung rauszukommen und nahm sogar hin, dass meine Karriere noch etwas länger auf Eis liegen würde. Dafür bot das neue Haus ausreichend Platz, um Peter aus dem Weg zu gehen, denn entgegen Dr. Rousseaus Meinung wurde es mit Peter kein bisschen besser. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Wir hatten uns verändert. Der 18. Juli hatte uns verändert. Peter versuchte nun jede Sekunde für mich da zu sein, mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Er wollte auf einmal immer wissen, wo ich gerade war oder was ich machte. Wenn es mir nicht gut ging, ließ er alles stehen und liegen. Er machte Zukunftspläne, wollte so schnell wie möglich eine Familie gründen. Auf einmal war ich seine Nummer Eins. Und ich? Noch vor kurzem hätte ich vor Glück Purzelbäume geschlagen, doch ich war ganz und gar nicht glücklich. Statt einer Stelle als Redakteurin nahm ich einen Job als Kellnerin in einer Bar an und ließ mich für jede Spätschicht einteilen, nur um nicht in seiner Nähe sein zu müssen. Das Schlimmste jedoch war, dass ich Peter einfach nicht mehr in die Augen schauen konnte. Jedes Mal, wenn sich unsere Blicke trafen, stieg eine Welle des Zorns und der Enttäuschung in mir auf und ich verstand einfach nicht warum. Nach unserem Umzug hatte ich anfänglich noch versucht diesen Gefühlen auf den Grund zu gehen. Ich beschloss mich mit einer alten Freundin zu treffen, ich musste mich und mein Gefühlschaos einfach jemandem anvertrauen. Mit Peter konnte und wollte ich nicht reden. Außerdem, was ihn anging, hatte der 18. Juli nie stattgefunden. Als ich ihm von dem bevorstehenden Treffen erzählte, war er alles andere als erfreut darüber. Er redete mir eindringlich ins Gewissen, dass wir mit dem Umzug doch alles zurücklassen und einen kompletten Neuanfang beginnen wollten. Ich versuchte ihn zu beschwichtigen, doch als er keine Ruhe gab, sagte ich das Treffen ab. Doch schon mein Opa sagte immer, dass es sich nicht lohnen würde davonzulaufen. Die Vergangenheit wäre ein verdammt flinkes Biest und würde einen immer einholen, egal wie schnell und weit man laufen würde. Und das traf auch auf uns zu. Am 22. November war es dann so weit. Die Vergangenheit hatte uns nicht nur eingeholt, sie überrannte uns förmlich. Rückblickend betrachtet war das der Tag an dem mein Leben sich ein weiteres Mal veränderte – grundlegend und endgültig. Ich lernte John kennen.
6.
Der 22. November war eigentlich ein Tag wie jeder andere auch. Es war bitterkalt und es regnete schon seit Tagen ununterbrochen. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag im Bett geblieben. Der Wind pfiff durch die Spalten der Mauer unseres Hauses und der Regen trommelte auffordernd gegen die Scheiben. Doch ich wollte nicht aus dem Bett vertrieben werden. Ich hatte diesen Tag frei, also kuschelte ich mich noch fester in meine Decke und zog sie bis über die Ohren. Ich lauschte meinem Herz, wie es langsam und stetig vor sich hinpochte. So eingepackt blieb ich noch eine ganze Weile liegen, bis sich ganz langsam ein mir nur allzu bekanntes Geräusch in meine Träume schlich. Peter rief an und mein Telefon klingelte unaufhörlich direkt neben mir auf dem Nachttisch, obwohl ich mir sicher war, es gestern Abend lautlos gestellt in der Küche zurückgelassen zu haben. Ich war der Versuchung nahe, ihn wegzudrücken oder das Telefon zumindest wieder auf lautlos zu stellen. Ich wollte nicht mit ihm reden und wenn ich ehrlich bin, wollte ich es weder jetzt noch irgendwann. Bei dem Gedanken daran überkamen mich wieder diese schrecklichen Schuldgefühle. Warum war ich nur so abweisend zu ihm? Er war mein Ehemann, ich müsste ihn doch lieben. Ich konnte mir nicht erklären, wie sich meine Gefühle für Peter so verändert haben konnten. Besonders weil er, nach allem was geschehen war, so liebevoll und fürsorglich zu mir war. Aber genau das war, glaube ich, der Punkt. Ich wollte nicht, dass er so war und deswegen nahm ich das Gespräch auch an, bevor er aus Sorge um mich noch hergekommen wäre. Da war ein Telefonat die wesentlich bessere Alternative. Ich atmete also tief ein und begrüßte ihn so liebevoll ich konnte.
»Hi, mein Schatz.«
»Oh, habe ich dich geweckt? Das wollte ich nicht! Ich rufe nur an, um zu fragen ob bei dir alles in Ordnung ist.«
»Alles bestens! Und geweckt hast du mich auch nicht. Ich bin schon seit einer halben Stunde wach. Ist gestern wieder spät geworden.«
»Du hättest mich ruhig wecken können! Wir haben uns seit Tagen kaum gesehen. Weißt du, ich..., ich vermisse dich!« Es entstand eine kleine Pause und mir wurde klar, dass ich ihm eigentlich sagen sollte, dass ich ihn auch vermisste. Doch ich konnte nicht.
»Weißt du was, ich mache heute eher Feierabend und dann gehen wir zwei mal wieder aus. Was essen, ins Kino und vielleicht…«
»Das hört sich wirklich nett an, aber es geht nicht«, unterbrach ich ihn, bevor er den Satz zu Ende bringen konnte. »Weißt du, Maggie ist krank geworden und ich hab versprochen einzuspringen.«
Lüge! – blinkte es in grellen roten Buchstaben in meinem Kopf auf. Gott sei Dank konnte er mich jetzt nicht sehen.
»Kannst du nicht absagen?«
»Das geht nicht, ich hab`s versprochen, und zur Zeit ist die Hölle los!«
Lüge! In Wirklichkeit, war am Monatsende nie etwas los. Aber um das Gespräch zum Ende zu bringen versprach ich ihm, dass wir den Abend bald nachholen würden. Er war absolut nicht glücklich mit meiner Absage, aber er nahm sie hin.
»Hannah, ich liebe dich!«
»Ich dich auch, Peter.«
Und damit war das Gespräch beendet. Ich stellte das Handy auf lautlos und legte es auf den Nachttisch zurück, bevor ich mich wieder ins Bett fallen ließ. Gott, was war ich nur für eine schlechte Ehefrau! Wie oft hatte ich ihn während diesem einen Telefonat angelogen? Ich zog das Kissen unter meinem Kopf hervor und drückte es mir ins Gesicht, bis mich diese schrecklichen Gefühle verließen und die Welt begann zu verschwinden.
Als ich gegen 17 Uhr in die Kälte trat, um eine Schicht anzutreten, die ich gar nicht antreten musste, überkam mich Wut und Traurigkeit. Es war erbärmlich und feige und ich wusste, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Dieses ständige aus dem Weg gehen war weder für Peter noch für mich erträglich. Ich musste irgendwann mit ihm darüber reden. Aber was