Vergeben und Vergessen. Jenny Kutzner
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Читать онлайн книгу Vergeben und Vergessen - Jenny Kutzner страница 10
Es sprudelte einfach aus mir heraus. Ich schämte mich dafür, aber ich genoss es sogar ein wenig, wie Peter mich fassungslos anschaute und benommen zurückwankte.
»Sag so etwas nicht, bitte! Wir kriegen das wieder hin!«
»Ich kann das nicht mehr. Es tut mir leid, Peter.«
Ich ließ ihn im Flur stehen, nahm meinen Mantel und verließ unser Haus. Es war alles gesagt und irgendwie fühlte ich mich auf einmal so leicht, dass ich, ohne mich ein einziges Mal umzuschauen, die Straße hinunterging. Es war zwar vielleicht die falsche Art und Weise, wie ich Peter aus meinem Leben strich, aber ich wusste, dass es das einzig Richtige war.
9.
Max stand in der 23. Etage des Wolkenkratzers vor einem der großen, bodentiefen Fenster und blickte hinunter, direkt auf den weitläufigen Park, der sich vor dem riesigen Gebäudekomplex erstreckte. Wie gerne hätte er das Fenster geöffnet und einen tiefen Atemzug der herrlichen Spätsommerluft genommen, aber dieser Psycho-Doc musste seine Praxis ja unbedingt in einer der oberen Etagen führen. Max wollte nicht dort sein, er hatte kein Problem. Zumindest keines, wobei ihm der Doc behilflich sein konnte. Aber ihm blieb nichts anderes übrig. Ein Richter hatte ihn dazu verdonnert, nachdem die junge Frau, die er in der Nacht vor der Bar zu Boden gerissen hatte und die ihr so verdammt ähnlich sah, Anzeige erstattet hatte. Doch einmal in der Woche eine Stunde in diesem karg eingerichteten Raum abzusitzen, war eindeutig besser als Gefängnis oder ein Psychiatrieaufenthalt. Wenigstens ließ er Max in Ruhe. Wahrscheinlich hielt er diese richterlich angeordneten Sitzungen für genauso nutzlos, wie Max es tat. Die letzten vier Wochen, seit er diese Praxis aufsuchte, hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Meistens saß der Doc hinter seinem Schreibtisch und machte sich Notizen. Max glaubte nicht, dass die Notizen ihm galten. Was gäbe es da schon zu notieren? Dass er Woche um Woche mehr Gewicht verlor und die abgewetzte Lederjacke, die früher sein breites Kreuz betont hatte, mittlerweile ihn zu tragen schien? Vielleicht notierte er sich auch, dass Max an Schlafstörungen litt, denn dazu musste ihm niemand in die Psyche schauen, das konnte jeder seinem Gesicht ablesen. Dunkle Augenringe entstellten sein Gesicht und die Wangen wirkten eingefallen. Wenigstens war er nicht der Einzige, der in letzter Zeit nicht sonderlich viel Schlaf bekam. Mike, wie der Doc sich ihm bei der ersten Sitzung vorgestellt hatte, trug heute dieselben verräterisch, verquollenen Augen zur Schau, die nicht nur von einer schlaflosen Nacht stammen konnten. Auch die etwas verkrümmte Haltung, die er auf seinem Schreibtischstuhl einnahm, verstärkte Max` Vermutung, dass er die letzten Tage wohl nicht in seinem Ehebett verbracht hatte. Diese Sitzung würde heute ganz sicher anders verlaufen. Das hatte Max schon gespürt, als er aus dem Aufzug stieg und Penny, Mikes Sprechstundenhelferin, ihn sofort zu Mike durchgewinkt hatte. Daher überraschte es Max nicht sonderlich, als der Doc die Akte, die er bis eben hinter seinem Schreibtisch sitzend durchging, zuklappte und zu ihm an das Fenster trat.
»Hatten sie heute eigentlich schon etwas zu Mittag?«, durchbrach der Doc die Stille und Max überlegte, ob er ihm antworten sollte. Er war gerade erst aufgestanden, um sich zu diesem Termin zu schleppen und sein „Mittag“, hatte auch nur aus drei Löffeln Erdnussbutter bestanden. Trotzdem war er nicht unbedingt hungrig. Doch der Doc schien es auf eine Antwort gar nicht abgesehen zu haben.
»Ich jedenfalls noch nicht. Was halten Sie davon, wenn ich Sie zu einem Hot Dog einlade? Unten im Park soll es die besten der Stadt geben. Ich kann es selber leider nicht beurteilen, da ich noch nie Gelegenheit hatte sie zu probieren. Was sagen Sie?«
Max sagte nichts. Stattdessen setzte er sich in Bewegung. Auch wenn er keinen Hunger hatte, gefiel ihm der Gedanke an frische Luft.
Sie verließen gemeinsam die Praxis und fuhren die dreiundzwanzig Stockwerke hinunter. Nachdem sie das Gebäude durch die große Drehtür verlassen hatten, umspielte auch schon der warme Wind Max` Nase, genauso wie er es sich ein paar Minuten zuvor vorgestellt hatte. Sie gingen nur einmal über die Straße und doch schien es, als wären sie in eine vollkommen andere Welt eingetaucht. Spielende Kinder rannten über die grünen, frisch gemähten Wiesen und deren Mütter oder Nannys saßen am Rand und unterhielten sich oder lasen. Es war so friedlich und es schien, als wären alle Probleme der Welt hier weit entfernt. Sie schlenderten eine Weile schweigend auf den Parkwegen entlang, bevor sie einen Hot-Dog-Wagen fanden und Mike zwei Stück bestellte. Sie fanden eine Parkbank etwas abseits, die noch unbesetzt war, direkt an dem kleinen Teich, der das Zentrum des Parks darstellte. Als sie saßen, schaute Mike zuerst auf seine Uhr und dann zu seinem Patienten.
»Wissen sie, sie müssen nicht mit mir reden. Wirklich nicht! Es ist nur so, dass ich dem Richter am Ende einen Bericht über ihre Fortschritte zukommen lassen muss, und ich weiß wirklich nicht, wie ich ihm plausibel erklären soll, dass sie keine Haftstrafe antreten müssen.«
Max blieb weiter stumm.
»Wenn sie mir nicht erzählen wollen, was an diesem Abend vorgefallen ist, ist das in Ordnung. Aber vielleicht steigen wir ja woanders ein. Wie wäre es, wenn sie mir von ihrer Familie oder ihren Freunden erzählen?«
»Ich dachte, ich müsste mit ihnen nicht reden?«
Mike war einen kurzen Augenblick ziemlich überrascht über die kraftvolle Stimme, die aus diesem abgemagerten Körper herauskam. Auf jeden Fall schien sie ein Überbleibsel eines früheren Lebens zu sein, denn diese Stimme passte ganz eindeutig nicht zu seinem jetzigen Erscheinungsbild.
»Das müssen sie auch nicht! Aber ich bin ein ziemlich guter Zuhörer und den Meisten hilft es sich einfach mal alles von der Seele zu reden. Sachen laut auszusprechen, die Familienmitglieder nicht verstehen würden.«
Darüber reden. Der Doc war nicht der Erste, der Max darum bat und er hatte es versucht. Es half nicht. Im Gegenteil, sie begannen ihn für verrückt zu halten. Susann, seine eigene Frau begann sogar ihn für verrückt zu halten.
»Sie haben doch keine Ahnung!«
Mike überlegte eine Weile und entschied sich dazu Max an einen Kollegen zu überweisen. Als er gerade den kleinen Ausflug beenden wollte, brach es plötzlich aus Max heraus.
»Ich dachte, ich würde sie kennen. Wissen sie, ich war in L.A., als es passierte. Sie hat mir das Leben gerettet und ich weiß so gut wie nichts über sie!«
Max standen plötzlich Tränen in den Augen. Mike war ziemlich überrascht über die Wendung, die diese Sitzung gerade nahm und bevor er etwas sagen konnte, sprach sein Gegenüber weiter.
»Seitdem bin ich auf der Suche nach ihr. Meine Frau... Ich kann mit ihr nicht darüber reden.«
»Weil sie es nicht verstehen würde?«
»Weil sie nicht SIE ist!«
Max musste daran denken, wie er damals aus der Narkose erwacht war.
»Ich wurde damals ziemlich schwer verletzt. Sie war es, die mich noch rechtzeitig in ein Krankenhaus gebracht hat und ich habe bis heute keine Ahnung, wie sie das geschafft hat. Als ich wieder zu mir kam, war sie verschwunden. Ich wollte dieser Frau nicht wehtun oder ihr Angst machen. Ich dachte eben nur, es wäre sie.«, versuchte Max den Bogen zurück zu schlagen.
»Und wenn sie es gewesen wäre? Was hätten Sie getan?«
Max hatte sich diese Frage selber schon oft gestellt. Er musste daran denken, wie es sich angefühlt hatte, als er sie das erste Mal in seinen Armen gehalten hatte.
»Ich glaube unsere Zeit ist um Doc.«