Die Facebook-Entführung. Jürgen Hoffmann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Facebook-Entführung - Jürgen Hoffmann страница 10

Автор:
Серия:
Издательство:
Die Facebook-Entführung - Jürgen Hoffmann

Скачать книгу

bei seinem letzten Gespräch mit Link gehabt hatte, war weg, gone with the wind, gone with the chat, verpufft im virtuellen Raum.

      Wie er so glotzte, leerten sich Räume in seinem Gehirn, die eben noch komplett besetzt waren von Angst und Furcht. Der Nebel verzog sich auf wundersame Weise und gab den Blick frei auf Dinge jenseits des Kellers, zum Beispiel auf Peter Rost. Unsere Freundschaft, denkt Sebastian, ist eine Freundschaft wie Freundschaften heute sind, das heißt, sie schien so zu sein, tatsächlich ist sie aber viel mehr, was wir aus Vorsicht nur nicht sehen wollten oder konnten! Wir muten unseren Freundschaften heute nichts mehr zu, aus Sorge, dass sie dann sofort zerbrechen. Oder weil wir uns selbst nicht mehr unsere dunklen Seiten zumuten. Was wir haben, wenn wir zusammen sind, ist eine gute Zeit, das ist heute die Definition von Freundschaft. Dabei! Dabei: Wenn Sebastian ein mediokrer Zeitgenosse war, mittel-attraktiv, mittel-beliebt, mittelgut vernetzt, mittelgut im Studium, mittelgut präpariert für eine Laufbahn in der Offline-Welt, dann war Peter in allen Punkten eine Stufe darunter angesiedelt. Nicht dick, nicht hässlich, aber eindeutig unterdurchschnittlich gut definiert und ausgestattet mit einem Gesicht, das sofort unterging, wenn mehr als fünf Leute zusammen waren. Sebastian war gern mit Peter unterwegs, aber sie hatten ganz klar zu wenig Gesprächsstoff, was die Treffen immer ein bisschen beschwerlich machte. Mit Peters zweitem besten Freund war das anders, die beiden konnten stundenlang über Atomenergie sprechen, wobei sie die Überzeugung vertraten, dass der verordnete Ausstieg eine Eselei sondergleichen sei. Egal, jedenfalls, wenn ich hin und wieder mitbekam, wie die beiden sich die Köpfe heiß redeten, fragte ich mich, ob dieses Spezialistentum der Ausweg ist oder ganz im Gegenteil. Immerhin erschien mir diese Fixierung auf Atomenergie immer noch besser als die Legionen von Gaming-Aficionados oder Pseudo-App-Entwickler meiner Generation. Aber auch dieses „Mehr über die wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftspolitischen Implikationen der Atomenergie als alle anderen Leute wissen wollen“, kam mir immer vor wie eine Flucht, wie ein riesiger Berg, den zu besteigen sich absolut nicht lohnte. All die Anstrengungen, um ein exklusives Gesprächsthema zu haben, das uns heraushebt?

      Obwohl Peter und ich ein solch exklusives Thema nicht hatten und wir uns nicht gegenseitig ins Herz schauen ließen, war in all den Jahren offensichtlich doch etwas entstanden, was hielt. Was sich als stabil erwies, wenn es darauf ankam. Wahrscheinlich hatte es schon genügt, Peter unauffällig zu beschützen, wenn er in größerer Runde abzugleiten drohte in die Rolle des Verlierers. Es genügt, wenn einer dabei ist, der uns stützt, um auf einer Party nicht in die Rolle des Außenseiters gedrängt zu werden, was naturgemäß eine verheerende Wirkung auf unsere Seele hat. Mit mir an der Seite konnte Peter überall hingehen; ging er allein, drohte er Schaden zu nehmen.

      Zurück in den Newsfeed, wo all der Schrott angespült wird, den Sebastians Freunde und Facebook-Freunde von sich geben, man springt nie in denselben Fluss, alles ist wie immer und doch anders, there is a new content in town, schau ihn dir an, morgen schon wird er weggespült sein. Kleiner Stich ins Herz, als Sebastian sieht, dass die Herren von Facebook das Bild von seinem lädierten Gesicht entfernt haben. Idiotenpack. Hat das etwas zu bedeuten, werden die dem nachgehen, war es ein Algorithmus? Die Wege des Herrn Facebook sind unergründlich.

      Die Kommentare bestanden hauptsächlich aus Beschimpfungen, der Rat, der sich der größten Beliebtheit erfreute, lautete, Sebastian solle sich selbst ins Knie ficken. Der Kommentar, der die meisten Unterkommentare generierte, war aber von ganz anderer Tonalität. Von Justus Komarek.

       Justus Komarek:

       Unsere fatale Müdigkeit!

       Wenn ich das alles hier lese, tritt mir immer klarer vor Augen, auf was für einen falschen Weg wir uns begeben haben. Unser aller Realität ist: Tod und Kampf. Tod und Kampf! Am Ende sind es diese beiden Sachen, Tod und Kampf. Den Tod können wir nicht besiegen, aber wie wäre es damit, wenn wir die Kampfhandlungen einstellen?

       Es war hier unterschiedlich vom IS die Rede. Das ist ein gefährliches Spiel, dessen bin ich mir sehr bewusst. Aber wir sollten den Gedanken dennoch nicht zu schnell wegwischen. Wir müssen auch die Weisheit sehen, die in dieser Bewegung steckt. Die Wahrheit ist, dass wir im Westen müde geworden sind, müde und abgrundtief traurig, überall zerstörte und lädierte Seelen, auch wenn wir uns weigern, uns das selbst einzugestehen. Wir weigern uns total, uns einzugestehen, in was für eine kranke Hölle wir uns begeben haben, in was für eine fundamentale Falschheit, aber dass wir das so brachial verdrängen, bedeutet nicht, dass wir es im Innersten unserer Herzen nicht doch wissen. Was wir verstehen müssen: Wir sind wirklich Brüder und Schwestern! Wir sind das wirklich, und deshalb macht jedes System, das das leugnet, uns krank und kaputt. Ein System, das darauf fußt, das wir nicht Brüder und Schwestern sind, sondern Gegner. Fremde! Wir haben uns mit Haut und Haaren einem atemlosen Individualitätsterror ausgeliefert, der uns alle ins Unglück stürzen wird. Weil er uns nicht gemäß ist! Weil er unserer Natur widerspricht! Weil wir aufgehoben sein wollen! Weil wir uns danach sehnen, dass es eine Autorität gibt, die über uns steht. Warum sehnen wir uns danach? Weil wir schwach und dumm sind und uns wohlfühlen in unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit? Nein, sondern weil wir in unserem tiefsten Inneren wissen, dass wir das Heil nicht finden können, wenn wir nur uns selbst als Autorität anerkennen. Alle Menschen wissen das. Schon immer.

       Wir sind alle so müde, dass wir gar nicht mehr merken, wie müde und krank wir wirklich sind. Es ist Zeit, die Augen zu öffnen und zu erkennen, wie heilsam es ist, aus unseren monströsen Egos die Luft rauszulassen.

       Deshalb:

       IS!

       IS - nur ohne Gewalt. Ganz ohne Gewalt. IS ohne Gewalt. Deshalb sind wir Christen! IS minus Gewalt plus christliche Barmherzigkeit. Weil wenn wir Gott lieben wir auch unsere Mitmenschen lieben. Die nicht unsere Feinde sind, niemals.

       John Reisner:

       Ja, mit dem Schwert! Anders geht’s nicht. Wir müssen kämpfen, damit dieser ewige - äh - Kampf endlich aufhört. Justus, du bist ein armer Trottel.

       Susmita Booms:

       Homo homini lupus. Diesen ganzen Quatsch hier kennen wir seit wann? Seit unendlichen Zeiten. Justus, dein Bart ist der längste! Setzen, sechs. Schmier dir ein Butterbrot und beiß feste rein. Oder bist du schon so alt, dass deine Zähne wackeln wie Scheiß-Wackelpudding im Septemberwind?

       Clemens Messow:

       Leute, ich bin kein Angeber (hasse ich!) und ich bin auch kein Großkotz (verachte solche Leute!), aber ich bin echt überzeugt davon, dass ich jetzt etwas Wichtiges zu sagen habe. Und ihr darum genau lesen solltet, was ich jetzt gleich schreibe. Werdet ihr das tun? Wenn ihr schlau seid, ja. Wenn nicht, dann nicht.

       Meine Botschaft zum Notieren ins Notizbuch lautet:

       Wir haben noch gar nicht kapiert, was für eine unheimliche Sprengkraft in den sozialen Medien, äh, liegt. Wir sind noch viel zu sehr dem alten Denken verhaftet! Und das geht so: Ist doch völlig scheißegal, was da ein paar verwirrte Wirrköpfe vor sich hin salbadern, kümmert keine Sau, hat null Relevanz. Willst du Einfluss, musst du große Organisationen aufbauen. Aber, Leute: Das war gestern! Das ist altes Denken! Und Facebook, das ist was, das ist das: Disruption! Die Revolution - okay, eine Nummer kleiner - mächtige Bewegungen sind prinzipiell ständig möglich! Von 100 Start-Ups gehen 99 pleite, von 10.000 Chat-Diskussionen versanden 9.974 im Nichts. Bleibt nach Subtraktion aber noch etwas übrig. Und zwar genug, um die Republik hier mal richtig aufzumischen! Warum das noch zu wenig passiert beziehungsweise nur, wenn es um das Niederbrennen von Asylanten-Wohnheimen geht? Weil wir es noch nicht kapiert haben! Weil wir dem Instrument, das wir in

Скачать книгу