Die Facebook-Entführung. Jürgen Hoffmann
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Santiago Lübbert:
Okay, und wofür plädierst du jetzt genau? Für den Aufbau einer terroristischen Vereinigung? Hier auf Facebook? Come on, du bist eine Witzfigur.
Malte Hecker:
Nein, ich gebe Clemens Recht, beziehungsweise fast. Recht bis auf einen Punkt. Mein Problem sind Laberstunden ohne Outcome, ohne Tat. Wenn wir nicht aufpassen, wird das hier just another Quasselbude. Deshalb müssen wir ernst machen! Clemens hat vollkommen Recht: Man muss nicht gleich eine Partei gründen, Dinge, die ganz klein sind, können sehr schnell sehr groß werden. Die Wirtschaft hat das kapiert. Was war Instagram vor 5 Jahren, was Air BnB? Wir, DIE ZIVILGESELLSCHAFT, sollten uns ein Vorbild daran nehmen, es gilt: VOM SILICON VALLEY LERNEN HEISST SIEGEN LERNEN. Also, Vorschlag: Wir vereinbaren jetzt erst einmal ein Treffen oder so. Und fangen ganz real an. Mit etwas! Gotta be starting something. De acuerdo?
Sebastian Molitor:
(in Wahrheit Hubertus Link, klar)
Ansage: Ich werde in den nächsten Tagen einen Vorschlag posten, wann wir uns wo treffen. Das sind wir uns schuldig. Ich organisiere die Sache. Euere Aufgabe wird sein, dafür zu sorgen, dass genügend und die richtigen Leute anwesend sein werden. Ich melde mich.
Pius Küppers:
Mal kurz Hirn einschalten, okay? Was bleibt von der ganzen IS-Metapher, wenn man Gewalt abzieht (wofür du ja plädierst)? Gutmenschen-Quatsch. Wenn es irgendetwas gibt, wovon Deutschland nicht noch mehr braucht, ist es exakt das.
Berthold Schlecht:
Ich habe eine gute, konstruktive Idee für unsere Bewegung. Was wir brauchen, ist irgendein Promi. Nach unserem ersten Treffen (kick it off!) geben wir eine Pressemitteilung heraus, in der steht, dass der Promi xy bei uns dabei ist. Ich weiß nicht, sagen wir Xavier Naidoo. Oder Hendryk M. Broder. Nena! Jürgen Fliege. Oder lass es Frank Plasberg sein. Egal, nicht egal, da fällt uns schon noch der Richtige ein. Oder die Richtige. Wir streuen das jedenfalls mega-breit im Netz und überall, kenne Leute, die wissen, wie das geht mit Fake News (Verbindung zu bulgarischen Klickfarmen). It’s all about Seeding, da gibt es inzwischen ganze Agenturen für, wisst ihr das? Dann Skandal und wir sind auf der Bildfläche. Ich weiß nicht, wie ihr das seht - aber ich finde das ist eine richtig geile Idee.
Gesine Pult:
Und wenn Ihr diesen Quatsch gleich auf irgendwelchen Pegida-Sites postet? Diese IS-Metapher ist absolut krank. Könnte mir egal sind (schließlich seid ihr nur ein kleiner versprengter Haufen von magersüchtigem Vogeldreck), ist es aber nicht. Und deshalb: Ich melde euch bei Facebook. Mal sehen, was dann passiert. Wenn die euch nicht rauswerfen, lösche ich meinen Facebook-Account, ganz klar. Aber wenn es so läuft, wie ich glaube, dass es laufen wird, bekommt ihr jetzt sehr bald richtig viel Stress.
Drei Stunden versenkte sich Sebastian in Facebook. Dann kam Link, freundlicher als sonst, vielleicht sogar aufgeräumt und entspannt. „Ist doch toll, was da auf Facebook gerade abgeht, ganz wunderbar. Endlich das, was wir wollten.“ Link nahm den Laptop und tippte etwas ein, was er Sebastian sogleich zu lesen gab:
Sebastian Molitor:
Liebe Freunde, besondere Ereignisse erfordern besondere Maßnahmen. Ich lege meinen Facebook Account hiermit auf Eis, es geht nicht anders. Es übernimmt meine liebe Freundin: Roswitha Raff. Bitte nehmt diese kleine Umleitung. Sie und ich halten euch auf dem Laufenden.
Lovley Rita, Roswitha Maid
Meine Liebe zu Facebook ist eine sanfte Liebe.
Aber ich kann mich ja sogar in Äpfel verlieben, es ist verrückt. Große Sache für mich, wenn ich im Garten einen Apfel pflücke, der Ast spannt sich und spannt sich noch mehr und fast droht er zu brechen, bis er mit einemmal doch die Frucht freigibt. Ich trage sie nach Hause und spüre in meiner Hand sehr genau die, je mehr man darauf achtet, spektakuläre Glattheit der Oberfläche. In meinem Zimmer, wenn der Apfel und ich allein sind und keiner uns sieht, beiße ich tief in ihn hinein, langsam in einem Zug, der Saft fließt in kleinen Mengen an meinen Mundwinkeln hinab, süsssauerer Saft. Danach steht der Restapfel unter Beobachtung, zwei Stunden danach, 6 Stunden, 14 Stunden, auf die Minute einen Tag nach der Pflückung, wie sich die Bisswunde bräunlich einfärbt und die Oberfläche sehr langsam, aber komplett unaufhaltbar seine Glätte verliert.
Ich muss mich verbergen vor der Welt, das habe ich sehr früh begriffen, weil ich einfach zu weich bin, zu rührselig. Mein liebevolles Strahlen wirkt auf andere Menschen debil, jetzt hör doch endlich mal auf mit deinem scheinheiligen Gegrinse, das ist ja furchtbar. Alle sagen das, und Sebas sagt es auch. Mein lieber Sebas, der sich so anstrengt und es deshalb nicht gut macht. Mit ihm zu schlafen ist eine Anstrengung, vor allem für ihn, für mich aber auch. Er achtet auf alles, das heißt, er achtet nicht auf seinen Körper, so eitel ist er nicht, aber darauf, was er mit ihm macht. Er überlegt, wenn er in mir drin ist, was der richtige Rhythmus ist, es ist vollkommen verrückt und eigentlich furchtbar. Das richtige Tempo und ob er mir mit der Hand über das Haar streichen soll, wenn ich ihm einen blase. Gar nicht gut, wenn man beim Küssen spürt, was das für eine Aufgabe für ihn ist! Trotzdem habe ich ihn geliebt und liebe ich ihn, sogar noch mehr als die anderen Menschen und natürlich auch mehr als einen frischen und dann schnell alt werdenden Apfel, die Beschaffenheit der Gehwege in unserem Ort und die völlig dummen, hilflosen und zu absolut nichts, was das Leben ausmacht, fähigen Insekten. Meine Rundumliebe schließt auch mich selber ein; wenn ich zehn Minuten hochkonzentriert und absolut fokussiert auf meine Hand schaue, habe ich das Gefühl, ich müsste unbedingt vor Dankbarkeit auf die Knie gehen, dass so etwas Wunderbares wie meine Hand tatsächlich möglich ist und, völlig schräg, sich dann sogar in meinem Besitz befindet.
Das Verrückte ist, dass ich völlig sicher bin, nicht verrückt zu sein. Ich weiß, würde ich über meine Beziehung zu Äpfeln und zu meiner rechten Hand erzählen, wäre das ein starkes Argument für jeden Arzt, mich irgendwo einweisen zu lassen. Und viele Verrückte wissen ja auch nicht, dass sie verrückt sind, mir ist das alles sehr bewusst, aber noch bewusster ist mir eben, dass sich die Dinge bei mir anders verhalten. Was ich sage (empfinde!), klingt nur verrückt, ist es aber nicht. Oder vielleicht ist es sogar verrückt, aber nicht in dem Sinne, dass es mich irgendwie einschränken oder meinen Blick trüben würde. Ich UNTERHALTE ganz normale Beziehungen zu anderen Menschen und finde mich in dieser, oh ja, durch und durch wunderbaren Welt richtig gut zurecht, da ist einfach nichts, was man ernsthaft als Problem bezeichnen könnte. Ich habe eben nur einen völlig übersteigerten Blick für das Schöne und Liebenswerte in der Welt, auch wenn ich damit vielleicht falsch liege. Ist am Ende gar nicht alles so beseelt, wie ich denke? Nein, ich glaube nicht, dass ich mich täusche.
Facebook, das muss ich so sagen, hat meine Freude an dieser Welt noch einmal enorm gesteigert. Ich kenne die ganzen Einwände gegen Facebook, Google, Trallalla, die Typen legen Kundenprofile von dir an, verkaufen sie an die Werbeindustrie und verdienen damit ein Schweinegeld. Du bist nicht Kunde von Facebook, sondern das Produkt, das sie verkaufen. Darüber kann man sich aufregen, ja wirklich, ich habe auch „Der Circle“ von Dave Eggers gelesen, aber ich sehe die Sache eher persönlich, ich kann nicht anders. Im Grunde halte ich das mit allen Dingen so, die Aufforderung, bei