Die Facebook-Entführung. Jürgen Hoffmann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Facebook-Entführung - Jürgen Hoffmann страница 12

Автор:
Серия:
Издательство:
Die Facebook-Entführung - Jürgen Hoffmann

Скачать книгу

Klimaziele zu erreichen, ich meine, genau dafür haben wir doch die Politik erfunden, und ich persönlich habe nicht den Größenwahn, durch mein Konsumverhalten, das ja volkswirtschaftlich gesehen mikroskopisch klein ist, irgendetwas verändern zu können.

      Außerdem habe genug damit zu tun, die Welt zu lieben und nicht komplett alles zu übersehen, was es wert ist, gesehen zu werden. Die kleinen Freuden sind Legion! Zum Beispiel ein neuer Schraubverschluss bei meiner bevorzugten Saftmarke, der so leise knackt und vibriert, wenn man die Flasche öffnet. Und das alles gilt eben auch für Facebook. Man darf sich die Freude daran nicht verleiden, indem man dauernd prinzipiell darüber nachdenkt. Diese Art des Denkens versperrt uns nur den Weg zu Wahrheit und Glück. So sehe ich das.

      Facebook. Du musst dich dieser Website mit Liebe nähern, sie ist blau, vor allem aber ist sie ein absolutes Wunder, ein Menschheitstraum, erdacht bestimmt schon vor hunderten von Jahren. Du gehst auf die Seite und unter den ganz extrem vielen Dingen, die auf dieser Seite sind, bist auch du, also du gehst auf diese Seite und bist schon da, mit deinem Profil, das immer da ist, und mit deinen Posts, die wachsen, gedeihen und sich ihren Weg bahnen durch eine Welt, die du mit zwei Milliarden Menschen teilst, weltweit, global, überall, kleine Dörfer, große Städte, dicke Kinder, kranke Männer, seltsame Hausfrauen, Nepper, Schlepper, Bauernfänger, liebe Menschen, einsame Menschen, ehrgeizige Menschen, rufende Menschen. Und mit allen diesen Menschen kannst du in Kontakt treten, wenn du es nur willst, freier Zugriff nicht auf die Welt (den Wald gibt es nur im Wald, das Wasser auf der Haut nur mit Wasser), aber auf die darin lebenden Menschen.

      Du bist ein winziges Rädchen in dieser Welt und doch so sehr Teil davon, im Grunde ist es wie in der Offline-Welt, nur merkt man es da nicht so, man sieht es nicht, obwohl es so ist, wir sind alle ein Teil, aber man sieht es nicht, bei Facebook aber eben schon, diese Welt liegt dir zu Füßen, du siehst auf sie herab wie ein höheres Wesen, und was du unter anderem siehst, bist du selbst, und dieser Anblick ist so überwältigend, groß und schön, dass du schon ein sehr, sehr großes, die Sicht versperrendes Ego haben musst, um das nicht zu erkennen. Ich bin mir so ohnmächtig sicher, dass das ein uralter Menschentraum ist, sich und die anderen so sehen zu können, to appreciate, wir sollten dankbar sein, die Erfüllung dieses Menschheitstraums erleben zu dürfen, diese Erweiterung unseres Lebens, diese Vergrößerung der Fließgeschwindigkeit unseres Ichs.

      Manchmal gehe ich drei Tage nicht auf Facebook, was eine ungeheuere Willensanstrengung darstellt, ein Exerzitium. Du bist nicht in der Facebook-Welt, aber gleichzeitig weißt du, dass ein Teil von dir es doch ist, es entwickelt sich etwas mit dir, ohne dass du dabei ist, was natürlich absolut spirituell ist. Wenn ich mich dann einlogge ist es so, als würde ich mein Ich updaten. Wieso „als würde“?, ich date mein Ego ab. Absolut gesehen, also gemessen an meinem Gesamt-Ich mit all seinen Gedanken, Erlebnissen et cetera, sind die Veränderungen natürlich marginal, aber das macht es nur noch schöner, weil handhabbarer, beherrschbarer, verarbeitbar. Und selbst diese kleinen Veränderungen geben einem noch mehr als genügend zu tun. Beim letzten Mal: 9 neue Kommentare auf meine Posts plus 12 Kommentare zu meinen Kommentaren auf Posts von anderen. 4 neue Freundschaftsanfragen. Zu checken außerdem, was sich bei meinen 415 Facebook-Freunden in den vergangenen drei Tagen getan hat. Ich verarbeite das alles mit Bedacht und spüre richtig, wie sich in meinem Kopf Synapsen bilden und in Bewegung setzen. Ist das alles bedeutungsloses Geschnatter, oberflächliches und vor allem extrem flüchtiges Zeug, eine Verschwendung von Zeit und Lebensenergie? Wer so denkt, hat von der Poesie des Lebens nichts verstanden. Ja, meine Posts von vor sieben Wochen sind vergessen (immerhin aber noch auffindbar, was einen großen Unterschied macht), aber: Würden wir im normalen Leben damit aufhören, mit Leuten zu sprechen, nur weil die allermeisten dieser Gespräche in Vergessenheit geraten und keine sichtbaren/messbaren Folgen haben? Niemals, was für ein absurder Gedanke! Unser Leben ist mikroskopisch klein, alles, was wir tun, ist mikroskopisch klein. Das zu beklagen hieße, sich über das Leben selbst zu beklagen.

      Drohe ich durch die intensive Beschäftigung mit meinem Facebook-Leben den Bezug zum richtigen Leben zu verlieren? Gar nicht. Es ist andersherum, mir ist, als sei mein Leben viel anfassbarer geworden, präsenter, auch wenn das seltsam klingt. Ich denke immer: Mein wahres Ich ist nicht etwas tief in mir drin, was ich entdecken muss, sondern es ist das, was ich hinaus in die Welt schicke - und die Reaktionen darauf helfen mir, überhaupt erst der zu werden, der ich bin (als der ich gedacht bin). Die Gedanken, die ich auf Facebook poste, sind doch lauter Dinge, die mir gar nicht eingefallen wären, wenn es Facebook nicht gäbe! Und das mit der „realen Welt“, es ist so: erstens, zweitens, drittens.

      Erstens: Leute, die ich kenne. Die treffe ich natürlich weiterhin auch in echt, und zwar, glaube ich, nicht weniger, als ich es täte, gäbe es Facebook nicht. Nur dass diese Begegnungen schöner sind als davor. Ich merke das an meinen Bekannten, mit denen ich nicht auf Facebook befreundet bin. Es ist, als fehle in diesen Bekanntschaften eine Dimension. Eine wichtige Dimension. Ich weiß, was Josef die vergangenen drei Wochen gepostet hat, und wenn ich ihn treffe, kann ich Dinge sagen wie: „Josef, sehr bedenklich, was für einen Pegida-Scheiß zu plötzlich sharst! Alles in Ordnung in deinem Kopf? Wir sollten darüber reden - oder uns besser gleich entfreunden.“ „Auf Facebook?“ „Ja, erst mal nur auf Facebook. Möchte nicht, dass die Leute denken, ich hätte etwas mit Leuten zu tun, die so ein Zeug verlinken.“ „Okay, aber privat können wir ja darüber sprechen. Ohne Zeugen. Wenn dir das nicht zu privat ist.“

      Zweitens: Leute, die ich durch Facebook überhaupt erst kennenlerne! Die mir dann auf der Straße, im Konzert, in der Kneipe nicht als Fremde gegenübertreten, sondern als Somehow-Buddies. Bei manchen davon: „Ich hätte mich dir ganz anders vorgestellt!“ Bei anderen: sofortige Vertrautheit, was eine komplett neue Erfahrung ist, die es bei reinen Offline-Offline-Bekanntschaften gar nicht gibt, weil es sie ja gar nicht geben kann.

      Drittens: Wiederentdeckungen! Alte Hits, die man lange nicht mehr gehört hat, die jetzt aber digital abrufbar sind. Ronny, der mit seinen Eltern mit 14 weggezogen ist und seitdem in Mexiko lebt, was ja an sich schon sehr, sehr aufregend ist. Wenn ich mich mit ihm auf Facebook befreunde, sehe ich nicht nur ihn, sondern seinen Facebook-Kosmos. Eine ganze Welt, die man an einem lauen Nachmittag entdecken kann. Awesome!

      Du musst lernen, das Instrument Facebook zu spielen. Wenn du das schaffst, gehen Türen auf, von denen du davor nicht einmal etwas geahnt hast.

      Gleich groß oder größer, wenn Leute mich überraschend in meiner Wohnung besuchen, um mir seltsame Dinge zu erzählen. Vorgestern Peter, gestern Hubertus Link.

      Peter ist okay, er ist der beste Freund von Sebas, daher kenne ich ihn auch. Abende zu dritt, bei denen man sich als Paar immer die Frage stellt, wie zutraulich man sein darf. Ich bin in diesen Dingen offen und hätte nichts dagegen gehabt, Sebas zu küssen und Peter dabei zusehen zu lassen. Viel mehr als nur küssen. Mit Sebas war das nicht möglich (einer der Gründe, warum wir nicht mehr zusammen sind, aber nicht der wichtigste), bei Peter bin ich mir da nicht so sicher.

      Sebas ist ein Problemfall, das habe ich ja schon angedeutet. Wir kamen ganz zum Anfang des Studiums zusammen, der entscheidende Kick war nicht, dass wir uns Hals über Kopf verliebt hätten, sondern dass wir beide den festen Vorsatz hatten, innerhalb der ersten drei Wochen an der Uni jemanden zu finden, mit dem man die neue Lebensphase starten kann. Kein Single mehr zu sein bedarf es wenig, und wer es nicht mehr ist, dem geht es besser. Wir saßen also in der Mensa zusammen und signalisierten durch explizit offenes Lächeln die Bereitschaft, offen zu sein für sehr viel. Er:

      „Auch neu?“

      „Ganz.“

      „Es ist toll hier, tausend interessante Leute. Ich finde es nur ein bisschen schwierig, die richtige Orientierung zu finden.“

      „Ja, das geht auch besser zu zweit.“

      „Viel besser.“

      Ich

Скачать книгу