Die Facebook-Entführung. Jürgen Hoffmann

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Die Facebook-Entführung - Jürgen Hoffmann

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das klingt alles so… ich blicke einfach überhaupt nicht mehr durch. Bitte! Bittebitte, ich halte das nicht mehr aus.“

      „Aber das musst du. Aber nicht mehr lange. Wir sprechen hier über einen überschaubaren Zeitraum, verstehst du? Über eine gewisse Strecke, deren Endpunkt sich in Sichtweite befindet. Vielleicht nicht in deiner Sichtweite, aber in Sichtweite. Sebastian, wirklich, ich glaube, es wäre sehr klug von dir, mir ein bisschen Vertrauen zu schenken.“

      „Ja.“

      „Oder hältst du mich für einen Unmenschen?“

      „Nein. Nein! Ganz bestimmt nicht.“

      „Gut. Weißt du, es gibt immer wieder Situationen in unserem Leben, wo wir uns täuschen oder uns täuschen lassen. Aber das darf uns nicht dazu verleiten, die Fähigkeit zu verlieren, einem anderen Menschen zu vertrauen.“

      „Scheiße, ja. Ich will nur, dass es endlich zu Ende ist. Ich glaube nicht, dass ich das noch lange durchhalte. Bitte, wirklich, wirklich, ich muss unbedingt wissen, dass du verstehst, was ich sage! Wie es mir geht!“

      „Das tue ich Sebastian. Ein bisschen hältst du noch durch. Das mag für dich jetzt seltsam klingen, aber: Ich kann das wirklich besser einschätzen als du selbst. Es gibt noch ein paar Dinge, die du begreifen musst, um einen klareren Blick auf die Dinge zu bekommen.“

      „Okay, aber ich kann mich darauf verlassen, dass es nicht mehr lange dauert? Keine Woche, sondern viel weniger.“

      „Ja. Es gibt zwei, drei Dinge, die ich angeschoben habe und die sich morgen oder übermorgen entscheiden. Davon hängt jetzt noch ein bisschen was ab. Gut, Zeit für mich zu gehen. Gibt es noch etwas, was du wissen möchtest, Sebastian?“

      „Ja, mein Vater. Ich verstehe das nicht.“

      „Das wirst du noch.“

      „Aber er steckt irgendwie dahinter? Das kann nicht sein.“

      „Es ist anders, als du denkst. Ganz anders, wirklich. Wie ich dich einschätze, reicht deine Fantasie nicht aus, um dahinter zu kommen.“

      Als Link schon an der Tür steht, dreht er sich noch einmal um und sagt:

      „Deine Theorie, dass ich gar nicht anders kann, als dich zu töten, würde nur stimmen, wenn die Polizei Wind vor der Sache bekommt. Verstehst du? Denk darüber nach. Deine Theorie würde nur dann stimmen, wenn die Polizei Wind von der Sache bekommt. Aber das muss sie ja nicht. Das solltest du vielleicht auch deinem Freund Peter Rost klarmachen. Ich glaube, es wäre keine schlechte Idee, genau das zu tun. In deinem eigenen Interesse. In deinem eigenen, vitalen Interesse.“

      Wie Facebook uns guttut

      Was tun wir in der größten Not? Wir fliehen zu Facebook. Auch wenn wir wissen, dass uns das keine Linderung verschafft.

      Noch nie zuvor in seinem Leben spürte Sebastian so unabweisbar die Macht von Facebook, der Gedanke, sich hinzugeben, sich auszubreiten vor der Öffentlichkeit, sich der Community mit nackter Brust zu zeigen, war so mächtig und unwiderstehlich, dass ihm schwindelte. Die Lösung, das war Sebastian in diesem Moment so klar wie sonst nichts auf der Welt, war nicht ein weiterer Post, sondern wäre ein Livestream gewesen, verfügbar und frei zugänglich für alle. Hier verzweifelt auf dem Betonboden zu liegen, war die pure Einsamkeit, zu wissen, gesehen zu werden, von Freunden und Fremden, der größte Trost, der sich denken ließ. Meine iWatch der übernächsten Generation zeigt an, wie viele User in diesem Moment zugeschaltet sind, es sind 15, das ist gut, es sind nur noch 4, mir schießen die Tränen in die Augen, und plötzlich, kein Mensch weiß warum, es gibt keine Erklärung, steigt die Zahl innerhalb von zehn Minuten von 4 auf 409, weil dem Algorithmus in der Wolke es so gefällt. Sebastian denkt an das öffentliche Sterben von Papst Johannes Paul II, Spiritus Sanctus, es ist das, was wir brauchen, was unsere Seele braucht, wir sterben und leiden nicht im Verborgenen, sondern wir schließen unsere Augen in dem Bewusstsein, gesehen zu werden und also nicht allein zu sein.

      38 weitere Kommentare auf seinen letzten Facebook-Post, für Sebastians Social-Media-Karriere stellt das einen neuen Rekord dar.

      Das Erste, was er jetzt tun musste, war, eine Nachricht an Peter zu schreiben. Sein Freund war Online, was bedeuten konnte, dass er seine Nachricht sofort lesen würde.

      „Lieber Peter, ich weiß nicht, ob du schon etwas unternommen hast. Ich hoffe nicht! Ich beschwöre dich, nichts zu unternehmen, gar nichts, verstehst du! Dann ist alles gut - aber nur dann. Mein Schicksal liegt in deiner Hand, aber ich vertraue dir wie sonst niemandem. So glücklich, einen Freund wie dich zu haben! Ich verlasse mich auf dich, mein Freund.“

      Drei Minuten später kam die Antwort.

      „Sebas, was ist das alles bloß für eine Scheiße? Ich war gestern bei deinem Vater, der hat mir versichert, dass alles in Ordnung ist. Ich bin nicht zur Polizei, war aber extrem kurz davor. Ich mache, was du sagst, klar. Hoffe aber, dass ich Dich sehr bald wieder persönlich sprechen kann. Irgendetwas, was ich für dich tun kann? Die Sache zerrt echt an meinen Nerven.“

      „Meine Posts waren ein großer Fehler. Sorry, wenn ich dich in eine blöde Situation gebracht habe. Du kannst wirklich nichts für mich tun im Moment, und wahrscheinlich ist das auch gar nicht nötig. Just a silly game I have to play, unfreiwillig. Auflösung folgt! Wichtig nur, sehr wichtig, ganz wichtig, enorm wichtig, von wichtiger Wichtigkeit: dass du mir gewogen bleibst! Muss wissen, dass da draußen jemand ist, der gute Gedanken für mich hat. Muss!“

      „Okay. Und ich kann mich darauf verlassen, dass wir uns in ein paar Tagen sehen? Und dann alles in Ordnung ist? Würde es mir nicht verzeihen, wenn nicht.“

      „Ja, klar, kannst dich darauf verlassen, kann ich versprechen. Kann nur sein, dass ich dann ein bisschen deine Zuwendung brauche. Deine Freundschaft!“

      „Mann, Mann, Mann. Ganz ehrlich, habe ich dir nie so deutlich gesagt: Du bist für mich wirklich ein Freund! Bester Freund! Müssen wir irgendwie besiegeln, wenn du wieder draußen bist. Scheiße, „wenn du wieder draußen bist“. Krass. Keine Ahnung, was hier abgeht, was das alles soll. Aber große Ahnung, dass wir noch viel bessere Freunde werden als wir bisher waren.“

      „Ja, wirklich! Kann dir nicht sagen, wie wichtig das für mich ist, was du da schreibst. Wenn wir uns wiedersehen (bald!), sehen wir uns mit anderen Augen. Pass auf dich auf, Peter!“

      Indem Sebastian seinen Freund beruhigte, beruhigte er sich selbst. Ein wenig. Eine Minute gegen die Wand schauen und die Gedanken fließen lassen, genau beobachten, was kommt. Es kommt nichts Schlimmes, nachdem davor nur noch Schlimmes gekommen war. Sein Vater offenbar nicht in großer Sorge, was nicht bedeuten konnte, dass er in Wirklichkeit eine eiskalte Drecksau war, der ein böses Spiel mit seinem eigenen Sohn spielte, sondern dass tatsächlich kein Grund zu übergroßer Sorge bestand. Es geschahen ständig absolut schreckliche Dinge auf der Welt, aber noch viel, viel öfter taten sie das nicht. Extrem wenige Entführungen, noch weniger mit Todesfolge! Wir reden uns dauernd ein (lassen es uns einreden), wie scheiße und gefährlich alles ist, in Wahrheit aber leben wir in einem Paradies. Ein paar Tage im Keller und der Freiheit beraubt, harte Sache, sehr harte Sache, aber so hart auch wieder nicht, wenn man nicht die Nerven verliert und sich nicht Dinge einbildet, die nicht sind und nicht sein werden. Dass Link ihm eine Kugel in den Kopf schießt, war ja nicht einmal vorstellbar!, und wenn es nicht einmal in der Fantasie vorstellbar war, wie sollte es dann in der Wirklichkeit passieren! So weit weg von real! Es war

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