Genesis II. Alfred Broi
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So waren sie jetzt seit nunmehr über zwei Stunden ständig im Einsatz gewesen, doch niemand von ihnen zeigte Anzeichen von Müdigkeit oder Schwäche. Ganz im Gegenteil: Bei jedem Einsatz sahen sie auch grauenvolle Bilder und das Leid vieler Personen, sei es durch den Verlust geliebter Menschen oder durch Verwundung. Auch waren unter ihnen einige, denen letztlich nicht mehr zu helfen war und die ihnen auf den Transporten zum Hafen einfach wegstarben, doch wog die Freude derer, die sie retten konnten diesen Schmerz immer wieder auf.
Ja, es war ein wirklich gutes Gefühl, den Menschen ein klein wenig Hoffnung und Stärke in diesen furchtbaren Stunden zu geben und gerade Esha und Kaleena verstanden sich absolut brillant darauf, zu motivieren, zu trösten, zu wärmen und zu begleiten.
Kabus war sehr beeindruckt. Mochte es da draußen viele Soldaten geben, die ihr letztes für die Rettung dieser Stadt gegeben hatten und vielleicht noch weiterhin geben mussten, Esha und Kaleena taten alles nur erdenkliche, um auch ihren Beitrag dafür zu leisten. Und die seelischen, emotionalen und körperlichen Abgründe, die sich ihnen immer wieder offenbarten, forderten weiß Gott wirklich alles von ihnen ab, obwohl sie sich nichts anmerken ließen.
Dennoch erkannte er, dass sie alle doch bald eine Pause brauchen würden und er beschloss, den aktuellen Einsatz zu Ende zu bringen und dann ihre Mission für etwas Essbares und eine Tasse Kaffee oder Tee zu unterbrechen.
Zweihundert Meter voraus sah er inmitten eines riesigen Trümmerhaufens, der einmal ein stolzes Gebäude gewesen sein mochte, eine Person, die ihnen mit ausgestreckten Armen zuwinkte.
An ihrer gebückten Haltung und dem humpelnden Gang konnte Kabus sofort erkennen, dass sie offensichtlich verletzt war.
Er steuerte den Transporter in ihre Richtung, suchte sich einen Landeplatz und schaltete die Triebwerke auf Standby.
Kaum war die Seitentür geöffnet, waren Esha und Kaleena schon hinausgestürmt.
Kabus und Biggs folgten ihnen.
Als sie sich der Person näherten, erkannte Kabus, dass es eine junge Frau war, die in der Tat verletzt war. Ihr T-Shirt war blutdurchtränkt, ihr Bein seltsam gewinkelt, Zeichen dafür, dass das Schienbein gebrochen war.
Kabus legte sofort seine Arme um sie und hob sie an. Sie mochte vielleicht dreißig Zyklen alt sein und Kabus war sicher, dass unter all dem Blut, dem Dreck und dem Schrecken eine ausgesprochen hübsche Frau steckte.
„Hab sie!“ sagte er mit einem kleinen Lächeln. „Keine Sorge, wir kümmern uns jetzt um sie. Wir bringen sie in Sicherheit!“
Die junge Frau lächelte ihm erleichtert zu, doch schon einen Moment später verlor sie es wieder. „Da sind...noch andere!“ stieß sie kraftlos hervor.
„Was?“ Kabus hatte sie nicht richtig verstanden.
„Da...!“ Sie hob ihren rechten Arm an und deutete auf die Ruine, die einmal ein Haus gewesen war. „...im Keller. Sie sind...verschüttet!“
„Wir kümmern uns darum!“ sagte Esha sofort und zusammen mit Kaleena und Biggs machte sie sich auf den Weg.
Kabus trug die junge Frau zum Transporter, wo er sie auf die hintere Sitzreihe bettete. Eine kurze Untersuchung ergab, dass das Blut auf ihrem T-Shirt nicht von ihr stammen konnte, sie hatte keine offenen Wunden. Also gab er ihr eine Spritze gegen die Schmerzen und als das Mittel wenige Momente später wirkte, legte er ihr noch eine provisorische Schiene an ihr gebrochenes Bein.
Dann verließ er sie und rannte zurück zu den drei anderen, die gerade damit beschäftigt waren, hastig Gesteinsbrocken von einem Trümmerberg zu entfernen.
„Was ist?“ fragte er Esha.
„Da unten sind Menschen! Wir können ihre Stimmen hören!“ erwiderte sie schweratmend. „Aber wir kommen nicht voran!“ Sie deutete auf den Trümmerberg.
Kabus nickte ihr zu. Sie hatte Recht. Selbst wenn sie die kleineren Trümmer wegräumen konnten, blieb noch immer ein besonders großes Exemplar, dass sie nicht einmal zusammen entfernen konnten. Sie brauchten dringend Hilfe.
„Da!“ hörte er plötzlich Biggs rufen und noch bevor er begriff, was los war, rannte sein Onkel an ihm vorbei in eine Seitengasse zu ihrer Rechten.
Biggs lief gut zwanzig Meter dort hinein, dann stoppte er ab und schob ein großes Stück eines Holzdaches beiseite. Und da konnte Kabus erkennen, was sein Onkel tat. Sofort rannte er zu ihm.
Biggs riss die Tür des Lieferwagens auf, hüpfte hinein und lachte kurz auf. Der verdammte Schlüssel steckte. Ohne zu zögern, versuchte er den Motor zu starten. Doch mehr als ein gequältes Röcheln ertönte zunächst nicht.
Kabus hatte ihn erreicht. Neugierig schaute er in das Führerhaus hinauf und sah das angespannte und leicht verzerrte Gesicht seines Onkels, als dieser einen zweiten Startversuch machte, der jedoch auch misslang.
„Verdammt!“ rief Kabus und schien nervös. „Ich...!“ begann er. „...ich kann es mit dem Transporter versuchen!“
Biggs schüttelte den Kopf. „Du...bist...!“ Er drehte den Zündschlüssel noch einmal um. „...zu ungeduldig!“ Der Motor röhrte auf, schien wieder ersticken zu wollen, bevor er erneut anschwoll. „Er muss...sich erstmal...!“ Plötzlich ging ein Ruck durch den Lieferwagen und der Motor drehte einmal vollständig durch. „...frei pusten!“ Biggs grinste breit, während der Motor ratternd anlief und nach wenigen Momenten satt röhrte.
„Hol ein Seil!“ rief Biggs Kabus zu, dann schloss er die Tür des Führerhauses und legte den Rückwärtsgang ein.
Kabus nickte ihm zu, drehte sich um und rannte zurück zum Transporter.
Biggs gab zunächst vorsichtig Gas, um zu sehen, was passierte. Die Reifen machten auch eine Vierteldrehung nach hinten, doch dann hielt sie ein Widertand auf. Biggs ging vom Gas, kuppelte aus und der Wagen rollte zurück in seine Ausgangsposition.
„Na gut!“ sagte der alte Mann zu sich selbst. „Dann eben die harte Tour!“ Wieder gab er Gas, ließ den Gang kommen und donnerte den Wagen wuchtiger gegen den vermeintlichen Widerstand. Auf der anderen Seite des LKWs knirschte es bedrohlich und Biggs erkannte, das der Wagen halb in ein Haus gedonnert war. Die Hauswand war gekippt und hatte sich gegen die Seite des Wagens gelegt.
Also würde hier nur rohe Gewalt helfen. Biggs ließ den Wagen wieder zurückrollen und gab sofort danach wieder Gas. Der Lkw schob sich weiter zurück, Stein rieb auf Metall, doch diesmal konnte er den ersten Widerstand überwinden. Langsam schob er sich an der Hauswand entlang und hinaus in die Gasse. Kaum hatte er die Hauswand freigegeben, kippte sie gänzlich zur Seite und mehrere Tonnen Beton und Stahl folgten ihr.
Biggs konnte sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen, sonst wäre er von den Massen unweigerlich zerquetscht worden.
Doch er hielt sich nicht lange mit diesem Gedanken auf, sondern lenkte den Wagen rückwärts aus der Gasse zu Esha und Kaleena.
Dann wendete er ihn, sodass er ihn als Zugmaschine nutzen konnte.
Einen Augenblick später war Kabus wieder da. Er hatte ein langes dickes Seil mit Haken dabei. Während er mit Esha das lose Ende um den Gesteinsbrocken befestigte, hakte Kaleena das andere Ende unterhalb des Führerhauses des LKWs in eine entsprechende Vorrichtung.
Als