Die Straße der Ritter. Marlin Schenk
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Читать онлайн книгу Die Straße der Ritter - Marlin Schenk страница 18
William hatte bis dahin schweigsam zugehört. Ihm hatte der Mann, der vom Schicksal so gebeutelt worden war, und der nun hilflos mit gebrochenen Beinen vor ihm lag, leidgetan. Aber dann hatte er vom Töten erzählt, als wäre er ein Bauer, der vom Schneiden des Korns berichtet. Er hatte nicht gesagt, dass er selbst den tödlichen Bogen geführt hatte, aber William ahnte es. Er sagte Albrecht auf den Kopf zu: „Du hast für Geld die Menschen in der Kutsche erschossen?“
Albrecht versuchte nicht zu leugnen. Er nickte schwach und blickte William tief in die Augen. Zuerst sah es so aus, als wollte er um Vergebung bitten, aber dann erglomm ein Feuer darin, das eine gewisse Begeisterung verriet. Er sagte: „Ja, ich habe sie alle erschossen.“
William schüttelte den Kopf, immer heftiger, bis er aufsprang und schrie: „Das glaube ich nicht! Du bist kein Mörder!“
„Ich bin das Töten gewöhnt, William“, sagte Albrecht ruhig. „Macht es einen Unterschied, ob ich für einen Kaiser töte, der Land an sich reißen will, oder ob ich es für mich tue, weil ich überleben will? Ist es nicht egal, ob ich töte, um eine Stadt zu verteidigen, oder ob ich es tue, weil mein Herr sie haben will? Wer schreibt uns vor, wen und was wir töten dürfen, William. Wer?“
„Jesus Christus tut es, Albrecht.“
„Die Gebote sagen nur: Du sollst nicht töten. Sie sagen nicht: Du sollst keine Christen töten. Danach dürfen wir weder Ungläubige noch Tiere, weder Baum noch Halm vernichten, noch dürfen wir hinrichten, ob Dieb oder Mörder. Selbst der Papst tut es oder lässt es tun. Gilt Gottes Gesetz nur für Bürger und Bauern?“
„Aber...“
„Du, mein Freund, wirst nach Rhodos gebracht. Sicher nicht, um da zu predigen. Man will, dass du die Stadt verteidigst. Was wirst du also tun, wenn du angegriffen wirst? Dich in deiner Rüstung verstecken? Sei vernünftig, William. Das Töten ist gleich dem Leben und so wichtig wie Wasser und Brot. Ohne Tod kein Leben, oder willst du dich von Steinen ernähren?“
Albrecht stöhnte auf und versuchte, sich auf die Seite zu legen, aber er schaffte es nicht. William wollte ihm helfen, aber die Schmerzen waren zu groß. Tränen wässerten seine Augen, so dass er sie zusammenkniff. Wenig später entspannten sich seine Lider, und Albrecht schlief ein.
William verließ die Pritsche und ging wieder an Deck, wo seine Freunde standen und sich unterhielten.
10. Auf dem Atlantik
Die Galeeren durchpflügten nun schon seit zwei Tagen den Atlantik. Sie befanden sich auf offenem Meer und nahmen Kurs nach Südwest. Frankreichs Küste und die seichten Wasser des Kanals hatten sie zwar schon weit hinter sich gelassen, aber bis nach La Coruna würden die Büge ihrer Schiffe mehr Wasser teilen müssen als Moses im Roten Meer. Dabei machte diese Stadt erst ein Fünftel der Gesamtstrecke aus. Die Strecke von Brest nach La Coruna war weit, und um genügend Trinkwasser aufnehmen zu können, waren weitere Behältnisse erforderlich gewesen, wofür der Fassbinder an Bord zwei Tage lang gearbeitet hatte.
Ein kräftiger Wind kam plötzlich auf und bescherte den Sklaven eine willkommene Pause, die sich, als der Befehl zum Segel heißen kam, mit einem Aufschrei der Erleichterung von ihrem Ruder trennten.
Der Padrone Federico di Giovanni stand auf seiner Plattform und ließ seine stechenden Augen über die See wandern. Er sah nach der Sonne, die aus einem blauen Himmel heraus die Schiffsplanken aufheizte und verglich deren Stand mit der Fahrtrichtung. Immer und immer wieder schaute er zwischen Sonne und Ziel hin und her. Dann füllte er seine Lungen mit Luft und brüllte: „Pilotas!“ Diese Anweisung hätte normal an den ersten Offizier gehen müssen, der nun unverständlich den Padrone ansah und sofort den Ruf wiederholte, wobei er noch lauter schrie als Federico di Giovanni. Einen Augenblick später standen die beiden Lotsen beim Kapitän. Ihre Haltung ließ Ehrfurcht erkennen.
„Wie lautet der Kurs?“ brüllte der Padrone außer sich. „Und sagt mir nicht, wir halten fadengenau auf La Coruna zu. Wofür hab' ich euch an Bord? Macht euch an die Arbeit.“
Die Lotsen verbeugten sich ergeben und verschwanden. Kurz darauf kamen sie mit ihrem Werkzeug wieder. Außer dem Offizier waren sie die einzigen an Bord, die unaufgefordert die Plattform betreten durften, und sie machten von diesem Privileg Gebrauch. Ihre Messinstrumente bestanden aus magnetisierten Nägeln, die an dünnen Schnüren aufgehängt waren. Daraus versuchten sie, den Norden abzulesen. Die in der See schaukelnde Galeere machte diese Aufgabe nicht einfach. Bald waren sie sich jedoch über den Kurs einig, und sie teilten ihn Federico di Giovanni mit.
Der Padrone gab seine Befehle an den Segelmeister weiter und sagte: „Ich will nicht, dass so etwas noch einmal passiert.“ Dann deutete er auf die Schwestergaleere, die ein paar Kettenlängen vor ihnen ebenso auf Kollisionskurs mit der Küste ging. „Auf diesem Schiff sind verdammte Ketzer am Werk. Die erste Galeere sollte der Navigation eigentlich besondere Genauigkeit angedeihen lassen. Gebt ihnen ein Zeichen, damit sie ihren Kurs korrigieren.“ Dann bedeutete Federico mit einer Handbewegung, dass die Lotsen sich entfernen sollten.
Nach mehreren Tagen in der nassen Wüste wurden Zeit und Datum bedeutungslos. Wenn das Wetter sich nicht änderte, dann war ein Tag wie der andere. Und es änderte sich nicht. Die Sonne brannte heiß und erbarmungslos auf die Schiffe und machte Sklaven und Ritter träge. Die unfreien Ruderer schmachteten angekettet auf ihren Bänken, während die Freiwilligen sich an Bord bewegen konnten.
Bei diesem Wetter und der angenehmen Brise befanden sich auch die beiden Unteroffiziere an Deck. Nur der Agozzino stapfte müden Schritts durch die stickige Luft im Ruderraum. Er hatte die Aufsicht über die Sklaven. Diese dösten auf ihren Bänken, und manche schnarchten sogar leise. Doch plötzlich kam Leben in die Männer. Ein Sklave, der an der Bordwand saß, wurde von kühlem Nass geweckt, das ihm auf die nackten Füße spritzte. Als dieser erschrocken nach der Quelle suchte, machte er eine undichte Stelle in der Schiffswand aus. Die Abdichtung einer Fuge hatte sich gelöst, und die Fuge öffnete sich immer weiter. Das Wasser drang inzwischen literweise in den Rumpf ein.
Die Augen des Mannes weiteten sich vor Schreck, und er überlegte krampfhaft, was er tun sollte. Würde das Schiff so volllaufen, dass es versank? Wäre es möglich, dass sie alle starben und von ihrem traurigen Los durch den Tod befreit wurden? Oder wollte er leben, trotz der Schmach und der täglichen Schmerzen durch die Peitsche? Dann musste er den verhassten Agozzino auf die Gefahr aufmerksam machen. Wenn er aber nichts sagte, würde dann die schmale Stelle ausreichen, um das Schiff zu versenken? Nein. Dazu musste er die Fuge vergrößern. Und selbst das würde nicht reichen, denn wenn die Galeere nur langsam volllief, würde