Der letzte Vorhang. Jay Baldwyn

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Der letzte Vorhang - Jay Baldwyn

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nervös und versuchte, an der Art, wie sie die anderen Girls ansahen, zu erkennen, welche die Übeltäterin war. Aber alle verhielten sich wie immer. Insgeheim hatte sie Moira in Verdacht. Sollte der rothaarige Teufel alle Solonummern für sich beanspruchen und Rhonda in den Wahnsinn treiben wollen? Oder ging es ihr nur um Geld?

       Bisher waren die Botschaften im Rhythmus von zwei Tagen gekommen. Deshalb schloss sich Rhonda am sechsten Tag nach der Vorstellung in der Toilette ein und kam erst wieder heraus, als alle gegangen waren. Leise schlich sie in die Gemeinschaftsgarderobe zurück und versteckte sich hinter einem Ständer mit Kostümen. Sie hatte kaum eine halbwegs bequeme Position eingenommen, als sie Schritte hörte. Vorsichtig durch einen Spalt zwischen zwei Kleidern lugend, konnte sie mit ansehen, wie gerade wieder ein Zettel auf ihrem Schminkplatz abgelegt wurde.

       Sie konnte das Girl nur von hinten sehen, aber die leuchtend roten Haare bestätigten ihren Verdacht, dass es sich um Moira handeln musste. So ein hinterhältiges Luder, dachte Rhonda. Mal sehen, was sie heute geschrieben hat.

       Kaum hatte sich die Tür hinter dem Girl geschlossen, kam Rhonda aus ihrem Versteck hervor und überflog die Zeilen. „Du solltest dich lieber freiwillig der Polizei stellen. Oder muss ich ihnen den entscheidenden Hinweis geben?“ Jetzt habe ich aber genug, dachte Rhonda verärgert. Es wird Zeit für eine Lektion.

       Nach der nächsten Tanzprobe war Rhonda auffällig schnell verschwunden, wie den anderen Girls auffiel.

       »Vielleicht „tankt“ sie in irgendeiner dunklen Ecke etwas auf«, meinte Moira, und alle lachten.

       Dann tanzte Moira ihre Soloparts. Sie hatte inzwischen die Choreographie so sehr verinnerlicht, dass sie jeden Schritt so setzte, als seien Kreidemarkierungen auf dem Boden. Sie kam immer exakt an denselben Stellen an. Mitten in einer Pirouette patzte sie, weil sie für Bruchteile von Sekunden das Gleichgewicht verlor. Das Missgeschick rette ihr das Leben. Denn in diesem Moment fiel von oben ein Kulissenteil herunter und zerschellte genau an der Stelle, an der Moira eben noch gestanden hatte.

       »Was haben Sie da oben zu suchen?«, hörte sie die wütende Stimme des Schürmeisters. »Kommen Sie sofort da runter!«

       Alle starrten entgeistert zum Schürboden hinauf, wo eine zierliche Gestalt versuchte, in Deckung zu gehen. Dabei machte sie nur einen Fehltritt mit fatalen Folgen. Hilflos mit den Armen rudernd, kam sie ins Straucheln, verlor den Halt und stürzte schließlich in die Tiefe.

       Ein mehrstimmiger Schrei hallte durch das Theater. Auf der Bühne lag Rhonda mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen. Unter ihrem Kopf bildete sich eine stetig wachsende Blutlache. Mit ihren verrenkten Gliedern, die in seltsamen Winkeln verdreht waren, glich sie mehr einer Puppe als einem Menschen.

       Alles schrie und wuselte durcheinander. Wie nicht anders erwartet, konnte ein Rettungssanitäter nur noch den Tod feststellen. Moira bekam einen Weinkrampf. Nicht so sehr aus Trauer um die Kollegin, sondern weil ihr in dem Moment bewusst geworden war, um Haaresbreite einem Mordanschlag entkommen zu sein.

       »Sie hat versucht, mich umzubringen«, presste sie leise hervor. »Warum nur? Es gab doch genügend Raum für uns beide.«

       Die Probe wurde sofort abgebrochen und eine längere Pause angeordnet. Als Moira sich halbwegs von ihrem Schreck erholt hatte, fiel ihr auf, dass Meryl nicht unter den Girls war. Sie fand sie schließlich in Tränen aufgelöst auf der Toilette.

       »Es ist alles meine Schuld«, sagte Meryl immer wieder von Schluchzern unterbrochen. »Ich wollte sie nur dazu bringen, ihre Schuld einzugestehen. Wenn ich gewusst hätte, dass sie so weit gehen würde …«

       »Was für eine Schuld, wovon sprichst du?«, fragte Moira irritiert.

       »Ich glaube, sie hat etwas Schlimmes mit Ethel gemacht. Sie sind zusammen in den Heizungskeller gegangen, das habe ich genau beobachtet. Aber später ist Rhonda alleine zurückgekommen. Als sie weg war, habe ich unten nachgesehen, aber es gab keine Spur von Ethel. Nur die Heizung lief auf vollen Touren, und es hat da unten so seltsam gerochen.«

       »Glaubst du, sie hat Ethel in den Ofen geschoben, wie die Kinder die Hexe im Märchen?«

       Meryl nickte stumm.

       »Aber warum bist du nicht sofort zur Polizei gegangen?«

       »Ich habe es immer wieder in Erwägung gezogen, aber dann habe ich wieder gedacht, nur nicht bemerkt zu haben, wie Ethel heraufgekommen ist. Erst, als ich ihren Geist in der Seitengasse stehen sah, wusste ich, dass sie wirklich tot ist. Schließlich habe ich versucht, Rhonda dazu zu bringen, sich der Polizei zu stellen, indem ich ihr kleine Zettel zukommen ließ. Aber sie dachte offensichtlich nicht daran. Im Gegenteil, sie wollte die Mitwisserin auch noch beseitigen.«

       »Aber warum wollte sie mich umbringen? Aus welch einem Grund dachte sie, dass die Zettel von mir stammten?«

       Meryl bekam wieder einen Weinanfall und beruhigte sich nur langsam. »Gestern, als ich ihr die dritte Botschaft hinterlassen habe, machte ich einen verhängnisvollen Fehler, wie ich jetzt weiß. Ich griff mir irgendeine Perücke, bevor ich an Rhondas Platz ging. Sie hatte rote Haare wie du sie hast. Rhonda muss mich beobachtet haben und dachte wohl, dass du es bist. Oh, wie konnte ich nur so blöd sein. Hätte ich doch eine schwarze genommen.«

       »Jetzt mach dir keine Vorwürfe. Du hast es ja nicht mit Absicht getan. Das bleibt alles unter uns, hörst du? Das Theater kann sich keinen Skandal leisten. Sonst verlieren wir alle unseren Job. Man wird sich schon eine Ausrede einfallen lassen, was Rhonda da oben zu suchen hatte. Auf jeden Fall hat es die Richtige getroffen. Damit hat sie ihre Schuld gesühnt.«

       »Ich werde das alles nie vergessen können …«

       »Mit der Zeit verblassen Erinnerungen. Das ist der Lauf der Dinge. Vielleicht kannst du meinen Platz einnehmen, jetzt wo ich für Rhonda einspringe.«

       »Nein, das habe ich nicht verdient. Man soll mich nicht auch noch belohnen, für das, was ich getan habe.«

       »Du Schaf. Du hast im Übereifer etwas unüberlegt gehandelt. Das hätte leicht schief gehen können. Stell dir vor, sie hätte sich schon gestern Abend auf dich gestürzt und dich umgebracht.«

       »Besser mich als dich.«

       »Blödsinn. Ich lebe ja noch. Das Schicksal hat es gut mit mir gemeint. Scheinbar ist meine Stunde noch nicht gekommen. Und jetzt trockene deine Tränen und wasche dir das Gesicht, bevor die anderen etwas merken. Die Rächerin mit moralischer Attitüde wirst du jedenfalls nie wieder spielen. Versprichst du mir das?«

       Meryl nickte heftig. Im Stillen grauste ihr allerdings schon bei der Vorstellung, als Nächstes Rhonda als Geist in den Kulissen zu sehen.

      Meryl wurde nicht die zweite Solotänzerin. Regisseur und Choreograph waren sich einig, dass sie zu viele Fehler machte. Meryl brauchte einfach die Sicherheit in der Gruppe, und selbst da patzte sie mitunter.

       Als Ersatz sprang eine ein, mit der die wenigsten gerechnet hatten. Violet hatte ein Gesicht wie eine Porzellanpuppe, wunderschöne Haare und eine tadellose Figur. Sie war keine begnadete Tänzerin, machte aber vieles durch ihre bestechende Erscheinung wett. Sie war ein typisches Beispiel für das geflügelte Wort: Aus einer schönen Schüssel kann man nicht essen, denn ihre Intelligenz ließ etwas zu wünschen übrig. Dieser Art von Frauen sagte man nach, dass sie besonders gut im Bett seien. Dieser Meinung war auch Chuck Winston.

       »Ich möchte,

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